Entscheidungsstichwort (Thema)

Ungleichbehandlung; Sachlicher Grund; Versicherungsmathematischer Abschlag

 

Leitsatz (amtlich)

Die erstmalige Einführung eines versicherungsmathematischen Abschlags für die Inanspruchnahme der Betriebsrente vor der Altersgrenze 65 beseitigt nicht die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Renteneintrittsalters, wenn es für den Beginn der Betriebsrente bei der Anknüpfung an die gesetzliche Altersrente bleibt. Für sie ist deshalb kein sachlicher Grund gegeben zukünftige Ansprüche durch eine ablösende Betriebsvereinbarung zu schmälern.

 

Normenkette

BetrAVG § 1

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 17.03.1998; Aktenzeichen 2 Ca 2536/97)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts in Wiesbaden vom 17. März 1998 – 2 Ca 2536/97 – abgeändert:

1.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin bei Inanspruchnahme der betrieblichen Altersversorgung nach Vollendung des 60. und vor Vollendung des 65. Lebensjahres Betriebsrente ohne Kürzungen gemäß § 3 Abs. 2 der Betriebsvereinbarung vom 15. Dezember 1995 zu gewähren.

2.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte den seit 01. Januar 1996 erworbenen Teil der Betriebsrente kürzen darf um 0.4 % für jeden Monat, den die Rente vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen werden würde.

Die am 15. August 1944 geborene Klägerin trat am 16. Juli 1963 in die Dienste der Beklagten. Die Beklagte gewährt ihren Arbeitnehmern betriebliche Altersversorgung gemäß den darüber geschlossenen Betriebsvereinbarungen. Die Betriebsvereinbarung über betriebliche Altersversorgung vom 21. April 1972 wurde abgelöst durch die vom 01. Dezember 1982. Nach dieser bestand ein Anspruch auf die betriebliche Altersversorgung nach einer Betriebszugehörigkeit von zehn Jahren und ab dem Zeitpunkt, zu dem der Arbeitnehmer Anspruch auf Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung hat, bei der Beklagten ausscheidet. Daran änderten die weiteren ablösenden Betriebsvereinbarungen vom 03. Juli 1987 und vom 23.12.1992 im Wesentlichen nichts.

In der Betriebsvereinbarung vom 23.12.1992 heißt es zu den Anspruchsvoraussetzungen in § 1:

„(2) Ein Anspruch auf Leistung entsteht, wenn der Arbeitnehmer spätestens am letzten Tag des Monats- in dem das 65. Lebensjahr vollendet ist, ununterbrochen zehn Jahre in einem Arbeitsverhältnis zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft: gestanden hat und aus dem Dienst zur Kasse wegen Alters, Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit ausgeschieden ist.”

In § 2 heißt es zur Altersrente:

„Diese Betriebsrente wird gewährt, wenn der Arbeitnehmer aus der Kasse ausscheidet und zu diesem Zeitpunkt Anspruch auf eine Altersrente in voller Höhe (volle Rente) aus der gesetzlichen Rentenversicherung hat oder haben würde, wenn er nicht von der Beitragspflicht befreit wäre. Sofern als Ersatz für die gesetzliche Rentenversicherung eine befreiende Lebensversicherung abgeschlossen wurde, ist es für die Betriebsrente unerheblich, zu welchem Zeitpunkt er die befreiende Lebensversicherung beansprucht.

Macht der Arbeitnehmer von der gesetzlichen Teilrente Gebrauch, besteht kein Anspruch auf Betriebsrente. Im Falle einer befreienden Lebensversicherung besteht kein Anspruch auf Betriebsrente, wenn der Arbeitnehmer im Falle der gesetzlichen Rentenversicherung Teilrente erhalten würde.”

Hinsichtlich der Leistungshöhe heißt es in § 3, soweit hier interessierend:

„(1) Die Betriebsrente beträgt nach 10-jähriger Anwartschaftszeit monatlich 8 v. H. der letzten Gehalts- bzw. Lohnzusage des Arbeitnehmers (Sockelbetrag).

Die Betriebsrente steigert sich für jedes nach der 10-jährigen Anwartschaftszeit vollendete Dienstjahr um 0,8 v. H. der Bemessungsgrundlagen nach Abs. 1.”

Diese Betriebsvereinbarung wurde abgelöst durch eine Betriebsvereinbarung vom 15. Dezember 1995, die am 01. Januar 1996 in Kraft trat. Die Anspruchsvoraussetzung in § 1 (2) blieb unverändert.

„Zu a) Betriebsrente bei Bezug gesetzlicher Altersrente:

Das Beginnalter für diese Betriebsrente ist grundsätzlich die Vollendung des 65. Lebensjahres.

Diese Betriebsrente wird gewährt, wenn der Arbeitnehmer bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen gem. § 1 das 65. Lebensjahr vollendet hat.

Nimmt der Arbeitnehmer bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen gem. § 1 vor Vollendung des 65. Lebensjahres Altersrente in voller Höhe (Vollrente) aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch oder könnte er diese in Anspruch nehmen, wenn er nicht von der Beitragspflicht befreit wäre, wird die gem. § 4 ermittelte Betriebsrente entsprechend § 3 Ziff. 2 gekürzt.

…”

§ 3 (2) lautet:

„Nimmt ein Arbeitnehmer die Betriebsrente gem. § 2 a) vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch, werden die ab 01. Januar 1996 erworbenen Anwartschaften während der gesamten Laufzeit für jeden Monat des vorzeitigen Ausscheidens um 0.4 v. H. gekürzt (Stand der Rechtsprechung und Literatur 01. Januar 1995). Die bis zum 31.12.1995 er...

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