Entscheidungsstichwort (Thema)
Tariffähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Keine Untersagung von Streikmaßnahmen gegenüber der Gewerkschaft der F. e.V. (GdF) im einstweiligen Verfügungsverfahren.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3; BGB §§ 823, 1004; ZPO §§ 935, 940; ArbGG § 97
Verfahrensgang
ArbG Offenbach am Main (Urteil vom 03.03.2004; Aktenzeichen 5 Ga 1/04) |
Tenor
Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach vom 03. März 2004 – 5 Ga 1/04 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die im Juli 2003 gegründete und am 15. Sept. 2003 in das Vereinsregister eingetragene Gewerkschaft d. F. e.V. (Verfügungsbeklagter) hat gegenüber der D. F. GmbH (Verfügungsklägerin) Arbeitskampfmaßnahmen angekündigt, um die Aufnahme von Tarifverhandlungen zu erzwingen. Eine Urabstimmung hat sie bereits durchgeführt. Die Verfügungsklägerin will dem Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung Arbeitskampfmaßnahmen untersagen lassen, weil sie ihm die Gewerkschaftseigenschaft und Tariffähigkeit aberkennt.
Der Verfügungsbeklagte hat etwa 1700 Mitglieder, die als Fluglotsen oder Flugsicherungstechniker oder -ingenieure nahezu ausschließlich bei der Verfügungsklägerin beschäftigt sind. Diese hat insgesamt etwa 5.000 Arbeitnehmer, davon ca. 2.500 im sog. operativen Bereich. Der Organisationsgrad der GdF beträgt etwa 70 %. Außerhalb des Unternehmens der Verfügungsklägerin werden bundesweit etwa 330 Fluglotsen (128 beim LBA, etwa 200 bei regionalen Flughäfen) beschäftigt. Der Verfügungsbeklagte ist nach seiner Satzung überbetrieblich organisiert. Er konkurriert im Unternehmen mit der Gewerkschaft Ver.di. Die Berufsverbände der Fluglotsen und Techniker hatten zuvor einen Kooperationsvertrag mit Ver.di bzw. der DAG, der im Herbst 2002 von beiden Seiten gekündigt worden ist. In einer Parallelsache zwischen der F. H. GmbH, wo von etwa 15 Fluglotsen ca. 75 % Mitglieder bei dem Verfügungsbeklagten sind, und diesem haben das Arbeitsgericht Mainz und das LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 11. Juni 2004 – 11 Sa 2096/03 – Bl. 737 ff. d.A.) den Anträgen der Verfügungsklägerin stattgegeben und dem Verfügungsbeklagten den Streik untersagt.
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens und Verfahrens sowie des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
Das Arbeitsgericht Offenbach hat die Anträge durch Urteil vom 3. März 2004 – 5 Ga 1/04 – zurückgewiesen, weil es den beabsichtigten Streik nicht als rechtswidrig angesehen hat. Es hat die Tariffähigkeit des Verfügungsbeklagten bejaht. Wegen der Begründung wird auf die arbeitsgerichtlichen Entscheidungsgründe verwiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Verfügungsklägerin am 1. April 2004 Berufung eingelegt und sie am 10. Mai 2004 begründet.
Die Verfügungsklägerin ist unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens der Auffassung, das Arbeitsgericht habe den Streitgegenstand des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes verkannt. Das Verfahren nach § 97 ArbGG dürfe nicht in den einstweiligen Rechtsschutz verlagert werden. Das Arbeitsgericht hätte eine Abwägung mit den Folgen vornehmen müssen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten, wenn sich im Verfahren nach § 97 ArbGG herausstellte, dass der Verfügungsbeklagte nicht tariffähig sei. Die zu befürchtenden Schäden seien – wie die Folgen der streikähnlichen Aktionen der Fluglotsen 1973 gezeigt hätten – angesichts der Streiksensibilität des Luftverkehrs und der erheblichen Drittbetroffenheit beträchtlich. Ansprüche aus § 945 ZPO könnte der Verfügungsbeklagte angesichts seines relativ geringen Vermögens nicht erfüllen. Die Voraussetzungen für die Tariffähigkeit, insbesondere Überbetrieblichkeit, Gegnerfreiheit, demokratische Organisation, Durchsetzungskraft sowie personelle und finanzielle Leistungsfähigkeit seien bei dem Verfügungsbeklagten nicht gegeben. Schließlich verletzten Arbeitskampfmaßnahmen die Friedenspflicht, da gemäß § 3 Abs. 3 TVG eine Tarifbindung bestehe.
Die Verfügungsklägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach vom 3. März 2004 – 5 Ga 1/04 – abzuändern und nach den erstinstanzlichen Anträgen zu erkennen, hilfsweise dem Verfügungsbeklagten eine Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils EUR 3.000.000 vor der Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen aufzuerlegen, weiterhin hilfsweise die Untersagung von Arbeitskampfmaßnahmen gerichtet auf bestimmte Funktionen in bestimmten Bereichen, schließlich hilfsweise auch insoweit die Auferlegung einer Sicherheitsleistung vor Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen.
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Verfügungsbeklagte verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens die erstinstanzliche Entscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Berufungsvorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsschriftsätze und den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 22. Juli 2004 verwiesen.
Entscheidungsg...