BVerfG, Beschluss vom 4.10.2022, 1 BvR 382/21
Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde des Landes Berlin und einer Arbeitgebervereinigung nicht zur Entscheidung angenommen, in dem sich die Beschwerdeführenden gegen 2 Urteile des Bundesarbeitsgerichts gewendet hatten, in denen es um die Eingruppierung von Servicekräften eines Amtsgerichts in eine höhere Entgeltgruppe TV-L ging.
Sachverhalt
Beschäftigte von Serviceeinheiten hatten auf eine höhere Eingruppierung geklagt und waren vor dem BAG erfolgreich gewesen. In diesen Verfahren wurden Differenzzahlungsansprüche zwischen der Entgeltgruppe 6 und der Entgeltgruppe 9 bzw. 9a geltend gemacht. Das BAG hatte den Klagen stattgegeben und dies damit begründet, dass alle Tätigkeiten in der Serviceeinheit den Beschäftigten einheitlich zugewiesen seien und zu einem Arbeitsergebnis führten. Die gesamte Tätigkeit diene dem Arbeitsergebnis der Betreuung der Aktenvorgänge in der Serviceeinheit, vom Eingang bis zum Abschluss des Verfahrens.
Das Land Berlin und die tarifschließende Arbeitgebervereinigung wandten sich gegen diese Urteile mit der Begründung, es habe die in Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Tarifautonomie verletzt und die spezifischen Grenzen der zulässigen Auslegung von tarifvertraglichen Regelungen überschritten.
Die Entscheidung
Die Verfassungsbeschwerden wurden nicht zur Entscheidung angenommen, sondern als unzulässig abgewiesen.
Das Gericht führte hierzu aus, dass das beschwerdeführende Land Berlin nicht beschwerdeberechtigt sei; es könne sich weder auf die Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) noch auf Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG berufen. Zwar sei das tarifvertragliche Handeln kollektiv ausgeübte Privatautonomie und das Land betätige sich auch als Privatrechtssubjekt, soweit es Personen auf arbeitsrechtlicher Grundlage beschäftige; allerdings ergebe sich nach Auffassung des BVerfG daraus keine Ausnahme von dem Grundsatz, dass sich juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht auf Grundrechte berufen können. Es begründete dies damit, dass das Land vorliegend keine eigenständige, vom Staat unabhängige oder jedenfalls distanzierte Einrichtung sei, die – wie z. B. Rundfunkanstalten, Universitäten oder Kirchen – unmittelbar dem durch ein spezifisches Grundrecht geschützten Lebensbereich zuzuordnen sei und in diesem Lebensbereich den Bürgern zur Verwirklichung ihrer Grundrechte diene. Und es sei mit dem vorrangigen Sinn der Grundrechte, nämlich den Einzelnen vor Eingriffen der staatlichen Gewalt zu schützen, nicht mehr vereinbar, die Grundrechtsfähigkeit auf juristische Personen des öffentlichen Rechts weiter auszudehnen; denn dies könne dazu führen, dass die Grundrechte in ihr Gegenteil verkehrt werden, wenn Grundrechtsschutz zugunsten der öffentlichen Hand damit letztlich gegen die Bürger gewendet werde. Was die beschwerdeführende Arbeitgebervereinigung betraf, sei diese nicht beschwerdebefugt; denn sie sei durch die angegriffenen Entscheidungen des BAG nicht unmittelbar betroffen, da sie weder Partei noch Beteiligte des Ausgangsverfahrens sei. Auch wenn sie den verfahrensgegenständlichen Tarifvertrag abgeschlossen habe, wirke die gerichtliche Entscheidung rechtlich nur im Verhältnis zwischen den Prozessparteien. Es genüge für die Beschwerdebefugnis nicht, dass die hier angegriffenen Entscheidungen mittelbar auf das Tarifgeschehen einwirkten.
Die Verfassungsbeschwerde der Arbeitgebervereinigung genüge zudem nicht dem Grundsatz der Subsidiarität, wonach vor Einlegung einer Verfassungsbeschwerde alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen werden müssen, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern; denn vorliegend hätte die Arbeitgebervereinigung den Inhalt des Tarifvertrages gerichtlich verbindlich klären lassen können, da eine Verbandsklage auch dann zulässig sei, wenn sie lediglich die Gültigkeit oder Auslegung einer einzelnen Tarifnorm betreffe. Die Beschreitung des Rechtsweges wäre auch zumutbar gewesen und würde auch verhindern, dass das BVerfG über eine solche fachliche Frage auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage entscheide.
Anmerkung
Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat nun zur Folge, dass es vorerst in der seit längerem strittigen Frage über die Auslegung und Bewertung von Arbeitsvorgängen bei der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum ganzheitlichen Arbeitsvorgang bleibt, was – nicht nur in der Justizverwaltung – tendenziell zu höheren Eingruppierungen führt.
Siehe genauer hierzu in den Beiträgen "Eingruppierung" bzw. "Entgelt".