ArbG Berlin, Urteil v. 10.8.2020, 19 Ca 13189/19
Leitsatz (amtlich)
Bei einer Änderung der Arbeitsbedingungen durch Änderungskündigung aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung muss sich diese auf das Maß beschränken, das für die Durchsetzung der unternehmerischen Entscheidung unabdingbar ist.
Sachverhalt
Die Klägerin ist als Vertriebsassistentin bei der Beklagten in der Berliner Niederlassung beschäftigt. Hauptsitz der Beklagten ist Wuppertal. Im Oktober 2019 erhielt die Klägerin eine Änderungskündigung, wodurch ihr bisheriges Arbeitsverhältnis gekündigt und ihr gleichzeitig die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit Arbeitsort in Wuppertal angeboten wurde.
Die Klägerin hielt die Kündigung für sozial ungerechtfertigt. Sie bestritt u. a., dass die Beklagte tatsächlich die Entscheidung getroffen habe, die Vertriebstätigkeit insgesamt umzustrukturieren. Und selbst wenn dies der Fall sei, hätte sie die Möglichkeit, die Arbeit von zu Hause aus, d. h. in Berlin, zu erbringen, was ein milderes Mittel gegenüber der ausgesprochenen Änderungskündigung darstellen würde. Angesichts ihrer Beschäftigungsdauer von 27,5 Jahren wäre dies auch angezeigt gewesen. Bei der Beklagten bestehe zudem bereits seit einigen Jahren die Möglichkeit digital zu arbeiten. Ihre Tätigkeit erfolge bereits komplett digital mit elektronischer Aktenführung. Die Möglichkeit einer solchen Telearbeit ergebe sich des Weiteren aus einer bei der Beklagten bestehenden Richtlinie.
Da die Klägerin die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht, auch nicht unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung angenommen hatte, ging es in diesem Rechtsstreit um die Wirksamkeit einer Beendigungskündigung.
Die Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg.
Zunächst führte das Gericht aus, dass Maßstab der Überprüfung für die Wirksamkeit der Kündigung der einer Änderungskündigung sei, da die Klägerin es grds. in der Hand gehabt hätte, eine vorbehaltliche Annahme zu erklären.
Zur Frage der sozialen Rechtfertigung entschied das Gericht, dass zwar eine unternehmerische Entscheidung vorliege, die zum Wegfall der bisherigen Beschäftigungsmöglichkeit am Standort Berlin führe und welche vom Gericht nicht zu überprüfen sei; jedoch müsse sich die Beklagte bei der Änderung der Arbeitsbedingungen auf das Maß beschränken, das für die Durchsetzung der unternehmerischen Entscheidung unabdingbar sei. Und im vorliegenden Fall hätte die Änderung der Arbeitsbedingungen auch darin bestehen können, dass die Klägerin ihre Tätigkeit zukünftig von zu Hause aus erbringe.
Das ArbG führte hierzu aus, dass es zwar keinen grundsätzlichen Anspruch eines Arbeitnehmers auf einen solchen häuslichen Arbeitsplatz gebe, sondern immer die Umstände des Einzelfalls maßgebend seien.
Vorliegend sei jedoch zu beachten, dass die Tätigkeit der Klägerin bereits insoweit digitalisiert sei, dass sie auch von zu Hause aus arbeiten könne. Die hierfür notwendige technische Infrastruktur sei im Hause der Klägerin ganz offensichtlich vorhanden, da ihr Ehemann ebenfalls schon mit dieser arbeite. Auch bestand bei der Beklagten bereits eine Rahmenvereinbarung über das Arbeiten zu Hause. Und selbst wenn diese keinen Anspruch begründe, zeige sie, so das ArbG, dass das häusliche Arbeiten bei der Beklagten durchaus üblich sei.
Zudem habe die Beklagte vorliegend nicht dargelegt, warum eine physische Präsenz der Klägerin am Standort Wuppertal zur Erfüllung der arbeitsvertraglich geschuldeten Aufgaben notwendig sei; deren bloßer Hinweis, dass die Arbeit im Homeoffice von Berlin aus nicht der unternehmerischen Entscheidung entspräche, könne das Gericht nicht ungeprüft zu Grunde legen. Denn die unternehmerische Entscheidung bestehe rein darin, den Standort Berlin zu schließen. Welche konkreten Folgerungen sich daraus ergeben würden, sei dagegen vom Gericht zu überprüfen. Und hierbei habe sich die Beklagte auf das mildeste Mittel zu beschränken, was vorliegend darin bestehe, die Klägerin von zu Hause arbeiten zu lassen.
Letztendlich erscheine aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie und der hierdurch nunmehr deutlich stärker erfolgten Verbreitung des Arbeitens von zu Hause aus das Verhalten der Beklagten als aus der Zeit gefallen und letztlich willkürlich.
Gegen das Urteil wurde Berufung eingelegt.
Hinweis:
Bislang haben Landesarbeitsgerichte solch Gesichtspunkte bei der Überprüfung von (Änderungs-)Kündigungen nicht berücksichtigt, da die Festlegung, ob die Arbeitnehmer ihre Tätigkeit in der Betriebsstätte erbringen müssen oder auch von zu Hause aus arbeiten können, grds. der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit unterliegt (u. a. LAG Hessen, Urteil vom 10.6.2015, 6 Sa 451/14). Tatsache ist jedoch, dass sich das Arbeitsleben durch die Corona-Pandemie in erheblichem Maß verändert hat und insbesondere die Digitalisierung deutlich vorangeschritten ist. Ob sich insoweit eine Kehrtwende auch in der Rechtsprechung vollzieht, ist offen. Insoweit ist die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg mit Spannung zu erwarten. Jedoch werden sich Arbeitgeber zukünftig a...