Ist eine Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, kann der Arbeitgeber nicht frei entscheiden, wem er kündigt. Vielmehr muss er (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG) der Person kündigen, die sozial am wenigsten schutzwürdig ist, wobei er allerdings bei der Abwägung der unterschiedlichen Beurteilungskriterien gegeneinander einen gewissen Beurteilungsspielraum hat. Denn nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist eine betriebsbedingte Kündigung auch dann sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber die Sozialauswahl nicht ausreichend berücksichtigt hat.
Die Kriterien bezüglich der Sozialauswahl gelten auch für Massenentlassungen, weil der Arbeitgeber stets eine individuelle Sozialauswahl vorzunehmen hat. Hat der Arbeitgeber in einem solchen Fall bei der Sozialauswahl nur einen Fehler gemacht und mehreren Arbeitnehmern gekündigt, aber einem vergleichbaren, sozial weniger schutzwürdigen Arbeitnehmer nicht, so können sich alle gekündigten Arbeitnehmer auf diesen Auswahlfehler stützen. Dieser eine Fehler macht dann eine ganze Reihe von Kündigungen unwirksam, was für einen Betrieb schwerwiegende wirtschaftliche Folgen haben kann.
Etwas anderes gilt bei einer sog. Bedarfskündigung nach dem Einigungsvertrag. Hier findet keine Sozialauswahl statt. Die Auswahlentscheidung muss jedoch billigem Ermessen entsprechen (§ 315 Abs. 1 BGB). Soziale Belange müssen ohne Vorrang der dienstlichen Interessen angemessen berücksichtigt werden.
Bei der Sozialauswahl ist eine dreistufige Prüfung durchzuführen.
Drei Stufen der Sozialauswahl
- Der Kreis der für eine Sozialauswahl vergleichbaren Arbeitnehmer ist zu ermitteln.
- Einzelne Arbeitnehmer dürfen wieder aus diesem Kreis der Vergleichbaren entfernt werden (§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG)
- Auswahl nach sozialen Merkmalen (§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG)
9.6.1 In die Auswahl einzubeziehende Arbeitnehmer
Die Sozialauswahl ist betriebs- und nicht unternehmens- oder gar konzernbezogen. Arbeitnehmer eines anderen Betriebes sind also nicht einzubeziehen. Andererseits sind alle austauschbaren vergleichbaren Arbeitnehmer des ganzen Betriebs/der ganzen Dienststelle einzubeziehen. Eine Beschränkung auf eine Betriebsabteilung oder einen Teilbereich einer Dienststelle ist unzulässig.
Zur Auslegung des dem KSchG zugrunde liegenden Betriebsbegriffs wird auf die Darlegungen Betrieblicher Geltungsbereich (§ 23 Abs 1 KSchG) verwiesen.
Welche Arbeitnehmer können nicht in den Kreis einbezogen werden?
Nicht in die soziale Auswahl einbezogen werden können Arbeitnehmer, deren ordentliche Kündbarkeit ausgeschlossenist. Dies kann
- durch Gesetz (vgl. § 15 KSchG, § 9 MuSchG, § 18 BErzGG, §§ 2, 10 ArbPlSchG, § 78 Abs. 1 Nr. 1 ZDG, § 15 Abs. 2 BBiG, §§ 85, 90 SGB IX,
- durch Tarifvertrag (z.B. § 53 Abs. 3 BAT, § 58 MTArb, § 52 Abs. 2 BMT-G II),
- oder durch arbeitsvertraglichen Ausschluss einer ordentlichen Kündigung
geschehen sein.
Solche Regelungen gehen als Spezialvorschriften § 1 Abs. 3 vor, es sei denn, die erforderliche behördliche Zustimmung zur Kündigung ist erteilt. Dabei liegt es im Ermessen des Arbeitgebers, die behördliche Zustimmung zu beantragen oder den Sonderkündigungsschutz zu akzeptieren.
Durch die (zulässige) Möglichkeit eines arbeitsvertraglichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung oder Vereinbarung einer Beschäftigungsgarantie durch Individualzusage oder Betriebsvereinbarung entsteht aber die Gefahr einer Steuerung der Sozialauswahl und damit einer Umgehung des § 1 Abs. 3 KSchG. Eine Vereinbarung eines Kündigungsverbots mit dem Ziel der Herausnahme aus einer (bevorstehenden) Sozialauswahl ist wegen Umgehung von § 1 Abs. 3 KSchG unwirksam.
Nicht einzubeziehen sind langfristig beurlaubte Arbeitnehmer sowie für längere Einsätze bei einer Arbeitsgemeinschaft (ARGE) freigestellte Arbeitnehmer,.
In den Kreis der auswahlrelevanten Personen können nur die aufgenommen werden, die ihrer Tätigkeit nach miteinander verglichen werden können (horizontale Vergleichbarkeit). Hierfür sind in erster Linie arbeitsplatzbezogene Merkmale und somit die ausgeübte Tätigkeit maßgebend. Es sind sonach alle Arbeitnehmer einzubeziehen, deren Funktion auch von den Arbeitnehmern wahrgenommen werden könnte, deren Arbeitsplatz weggefallen ist. Die Arbeitsplätze müssen nicht identisch sein. Es genügt, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner Ausbildung und seiner Fähigkeiten eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit ausüben kann. Eine kurze Einarbeitungszeit steht der Vergleichbarkeit nicht entgegen. Wann die Einarbeitungszeit als nicht erheblich betrachtet werden kann, ist streitig. Manche stellen auf die im Betrieb übliche Probezeit ab. Allerdings hat das BAG in einer Entscheidung vom 5.5.1994 eine dreimonatige Frist als zu lang bezeichnet und eine "alsbaldige Substituierbarkeit" gefordert. 6 Wochen w...