Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Gleichstellung von Ehe und nichtehelicher Lebensgemeinschaft bei tariflicher Befreiung von der Arbeitspflicht
Leitsatz (amtlich)
1. § 52 Abs. 1 a BAT-TG RV-O gewährt zulässigerweise nur eine bezahlte Freistellung eines Angestellten bei der Niederkunft der Ehefrau und nicht auch bei der Geburt seines nichtehelichen Kindes, da der tarifliche Befreiungstatbestand nicht an die Person des geborenen Kindes sondern an die Person der gebärenden Mutter und deren besonderen Beziehungen zum Angestellten und dessen familienrechtlichen Pflichten anknüpft.
2. Es kann dahinstehen, ob in der Niederkunft der Lebenspartnerin einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft ein „sonstiger dringender Fall” im Sinne des § 52 Abs. 3 BAT-TG RV-O liegt, der zu einer kurzfristigen bezahlten Freistellung führen kann. Ein solcher tariflicher Freistellungsanspruch kommt aber nur dann überhaupt in Betracht, wenn sich das Ermessen des Arbeitgebers „auf Null reduziert” hat. Dabei ist im Rahmen der Ermessenüberprüfung auch zu berücksichtigen, ob der Arbeitnehmer nicht auf eine unbezahlte Freistellung oder auf die Inanspruchnahme von Erholungsurlaub verwiesen werden kann (im vorliegenden Fall wurde eine Ermessensreduzierung auf Null mit dem Hinweis verneint, daß der Angestellte noch hinreichenden, nicht genommenen Erholungsurlaub hatte).
Normenkette
BAT - TG RV-O (Tarifrecht der Tarifgemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung in den neuen Bundesländern) § 52 Abs. 1; BAT - TG RV-O (Tarifrecht der Tarifgemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung in den neuen Bundesländern) § 52 Abs. 3; BGB §§ 315, 616; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1; ErbStG § 10 Abs. 1 StKl I Nr. 2 Buchst. D
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 07.10.1998; Aktenzeichen 6 Ca 1637/98) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) vom 07.10.1998 – 6 Ca 1637/98 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über bezahlte Freistellung.
Der Kläger steht seit dem 1992 in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Auf das Arbeitsverhältnis findet auf Grund beiderseitiger Organisationszugehörigkeit das Tarifrecht der Tarifgemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung in den neuen Bundesländern (TG RV-O) Anwendung. § 52 BAT-TG RV-O hat, soweit für den vorliegenden Rechtsstreit von Bedeutung, folgenden Wortlaut:
„§ 52 Arbeitsbefreiung
(1) Als Fälle nach § 616 BGB, in denen der Angestellte unter Fortzahlung der Vergütung (§ 26) und der in Monatsbeträge festgelegten Zulagen im nachstehend genannten Ausmaß von der Arbeit freigestellt wird, gelten nur die folgenden Anlässe:
a) Niederkunft der Ehefrau |
1 Arbeitstag |
b) …………….. |
|
(2) ……
(3) Der Arbeitgeber kann in sonstigen dringenden Fällen Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung (§ 26) und der in Monatsbeträgen festgelegten Zulagen bis zu drei Arbeitstagen gewähren.
In begründeten Fällen kann bei Verzicht auf die Bezüge kurzfristige Arbeitsbefreiung gewährt werden, wenn die dienstlichen oder betrieblichen Verhältnisse es gestatten.
(4) …..
Protokollnotizen:
1. …..
2. Zu den „begründeten Fällen” im Sinne des Absatzes 3 Unterabsatz 2 können auch solche Anlässe gehören, für die nach Absatz 1 kein Anspruch auf Arbeitsbefreiung besteht (z. B. Umzug aus persönlichen Gründen).”
Der Kläger lebte bis zur seiner Eheschließung am 1998 mit seiner jetzigen Ehefrau in nichtehelicher Lebensgemeinschaft. Am 5.8.1998 wurde die gemeinsame Tochter geboren. Seinen Antrag vom 20.5.1998 auf Genehmigung von Sonderurlaub für den voraussichtlichen Tag der Niederkunft lehnte die Beklagte ab. Sie lehnte zunächst auch eine unbezahlte Freistellung mit der Begründung ab, dass ein Freistellungsanspruch tariflich nur für die Niederkunft der Ehefrau vorgesehen sei. Nach Geltendmachung der Freistellung im einstweiligen Verfügungsverfahren einigte sie sich mit dem Kläger auf eine Dienstbefreiung, ohne jedoch eine Vergütungsregelung zu treffen. Mit der am 10.6.1998 bei dem Arbeitsgericht Frankfurt (Oder) eingegangenen und am 28.9.1998 auf Zahlung umgestellten Klage machte der Kläger die Vergütung für den Tag der Freistellung in Höhe von 128,87 DM geltend.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass sein Anspruch nach § 52 Abs. 1 a BAT TG RV-O begründet sei, weil eine tarifliche Differenzierung zwischen der Geburt eines ehelichen und eines nichtehelichen Kindes gegen Art 3 Abs. 1 GG verstoße. Die Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder sei nach Art. 6 Abs. 5 GG und dem Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts vom 16.12.1997 geboten. Auf Grund der Reform des Kindschaftsrechts sei die bisherige, seinem Rechtsstandpunkt entgegenstehende Rechtsprechung zu dem inhaltsgleichen § 52 BAT überholt. Jedenfalls stehe ihm die Zahlung nach § 52 Abs. 3 Unterabsatz 1 BAT TG RV-O zu. Das von dem Arbeitgeber nach § 315 BGB auszuübende Ermessen reduziere sich zu Gunsten des Zahlungsanspruchs auf ...