Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitskampf. Zulässigkeit von Verbalattacken im Rahmen einer Arbeitskampfmaßnahme
Leitsatz (redaktionell)
Bei der Prüfung der Zulässigkeit von Verbalattacken im Rahmen von Arbeitskampfmaßnahmen geht es darum, das über die Meinungsäußerung- und Koalitionsfreiheit (Art. 5 Abs. 1, 9 Abs. 3 GG) grundgesetzlich geschützte Recht der Arbeitnehmer und der sie unterstützenden Gewerkschaft, sich anlässlich eines rechtmäßigen Streiks kritisch oder sogar ehrverletzend über den sozialen Gegenspieler zu äußern, gegen das ebenfalls grundrechtlich geschützte Interesse des Arbeitnehmers abzuwägen, nicht Ziel diffamierender und das Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG verletzender Verbalattacken zu werden, und damit gleichzeitig in seinem eigentumsähnlichen (Art. 14 Abs. 1 GG) Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb beeinträchtigt zu werden.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3, Art. 14 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 06.07.2012; Aktenzeichen 3 Ga 44/12) |
Tenor
Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgericht Düsseldorf vom 06.07.2012 - Az. 3 Ga 44/12 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Verfügungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) begehrt von den Verfügungsbeklagten (im Folgenden: Beklagten) die Unterlassung näher bezeichneter Äußerungen im Rahmen von Streikmaßnahmen und die Einwirkung auf die streikenden Arbeitnehmer, solche Äußerungen zu unterlassen.
Die Klägerin ist ein Unternehmen der Lebensmittelbranche, welches Brühen, Suppen, Soßen, Würzen und Fertiggerichte entwickelt, produziert und vertreibt. Sie war in der Vergangenheit Vollmitglied im Arbeitgeberverband der Ernährungsindustrie Nordrhein-Westfalen, mit dem die Beklagte zu 4., eine im Betrieb der Klägerin vertretene Gewerkschaft, Flächentarifverträge für die Obst, Gemüse- und Kartoffeln verarbeitende Industrie sowie für die Essig- und Senfindustrie in Nordrhein-Westfalen abschließt. Die Beklagten zu 1) bis 3) bilden den Geschäftsführenden Hauptvorstand der Beklagten zu 4., die Beklagten zu 5. und 6. sind bei der Beklagten zu 4. beschäftigte Gewerkschaftssekretäre. Der Beklagte zu 6. befindet sich seit dem 01.07.2012 in der Passivphase der Altersteilzeit.
Am 13.07.2009 schlossen die Klägerin und die Beklagte zu 4. in Anbetracht der angespannten wirtschaftlichen Situation des Unternehmens einen (Haus-) "Tarifvertrag zur Zukunftssicherung" (TVzZ), durch den für den Zeitraum vom 01.06.2009 bis zum 01.12.2011 der Entfall des Urlaubsgeldes, eine Absenkung des Urlaubsanspruchs um jeweils zwei Kalendertage für die Jahre 2010 und 2011 und eine Reduzierung bzw. Nichtzahlung der Jahressonderzuwendung geregelt wurden. Weiterhin sah der Tarifvertrag vor, dass die für die Branche vereinbarten Tariflohnerhöhungen keine Geltung beanspruchen sollten, stattdessen wurden die Tarifentgelte zum 01.04.2010 um 3% und zum 01.04.2011 um weitere 2% erhöht. Im Gegenzug enthielt der TVzZ Bestimmungen zur Beschäftigungs- und Standortsicherung. In ihm hieß es weiter:
"§ 2 Grundsatz
Es besteht Verbandsgebundenheit der A. Nahrungsmittel GmbH & Co. KG. Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten die flächentarifvertragichen Regelungen der obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie, Essigindustrie, Senfindustrie NRW weiter fort.
§ 3 Maßnahmen
...
D. Tariferhöhung
...
Ab Januar 2012 gelten die Entgelte und Ausbildungsvergütungen des Flächentarifvertrages für die obst- gemüse- und kartoffelverarbeitende Industrie, Essigindustrie, Senfindustrie NRW."
Mit Wirkung zum 15.01.2011 stellte die Klägerin ihre Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband in eine solche ohne Tarifbindung um. Hiervon machte sie erstmals in einer Mitarbeiterversammlung im Dezember 2011 Mitteilung.
Nach Durchführung einer Urabstimmung am 18.06.2012 rief die Beklagte zu 4. die Arbeitnehmer der Klägerin für den 21./22.06.2012 zu Streikmaßnahmen auf. Anlässlich eines Marsches vom Werkstor der Klägerin zum Bürgerhaus S. am Morgen des 21.06.2012 skandierten die Streikteilnehmer folgende Parolen:
-"L. - Betrüger",
-"A. heißt er, uns bescheißt er".
Die Beklagten zu 5) und 6) nahmen an der Protestaktion teil. Während sich der Beklagte zu 5) passiv verhielt, gab der Beklagten zu 6) den Streikenden per Megaphon den jeweils ersten Teil des Sprechchors vor, den diese dann vollendeten. Am Nachmittag des 22.06.2012 fand eine weitere Demonstration vor dem Werkstor statt, bei der die Streikteilnehmer in Anwesenheit des Personalleiters X. der Klägerin riefen:
-"1, 2, 3 ... X. ist ein Dieb".
Als später der Geschäftsführer L. und die Geschäftsführerin A. das Betriebsgelände in einem Fahrzeug verließen, wiederholten die Streikenden die Parole
-"A. heißt er, uns bescheißt er".
Dabei war der Beklagte zu 5) zugegen, ohne gegen die Äußerungen vorzugehen. Zu weiteren Wiederholungen dieser oder ähnlicher Parolen kam es bei keiner der nachfolgenden Streikversammlungen. Die Beklagten weigern sich, die von der Klägerin mit Schreiben vom 27.06.2...