Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaubsanspruchsstaffelung nach Alter
Leitsatz (amtlich)
1. Die Urlaubsanspruchsstaffelung des § 15 Abs. 3 MTV Einzelhandel NRW beinhaltet eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters.
2. Die Unwirksamkeit der Bestimmung zieht eine Angleichung des Urlaubsanspruchs benachteiligter jüngerer Arbeitnehmer „nach oben” nach sich.
Normenkette
AGG §§ 1, 7, 10; Richtlinie 2000/78/EG Art. 6 Abs. 1; MTV Einzelhandel NRW § 15 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wesel vom 11.08.2010 – Az. 6 Ca 736/10 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Umfang des Jahresurlaubs der Klägerin.
Die am 14.08.1986 geborene Klägerin wurde von der Firma N. Handelsgesellschaft mbH & Co oHG (N.) zum 01.09.2004 als Verkäuferin eingestellt. Der gemäß § 2 Ziffer 2 des Arbeitsvertrages der Klägerin vom 18.06.2007 auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Hausmanteltarifvertrag für die Firma N. (Manteltarifvertrag AVA) sah in § 11 Ziffer 3b einen Anspruch auf Erholungsurlaub von 36 Werktagen pro Jahr vor. In der Folge ging das Arbeitsverhältnis im Wege eines Betriebsübergangs auf die Beklagte über. Die Gewerkschaft ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, deren Mitglied die Klägerin ist, und die Beklagte einigten sich unter dem 16.12.2008 auf eine „Tarifvereinbarung über Änderungen und Ergänzungen zum Anerkennungstarifvertrag vom 28.08.2007/Überleitungstarifvertrag”, nach dessen Maßgabe mit Wirkung ab dem 01.07.2009 unter anderem der Manteltarifvertrag für den Einzelhandel NRW vom 25.07.2008 (MTV Einzelhandel) für die Arbeitsverhältnisse der von N. übernommenen Mitarbeiter gelten sollte.
Die Beklagte berechnete den Erholungsurlaubsanspruch der Klägerin für das Jahr 2009 mit 34 Werktagen. Nach einer entsprechenden Mitteilung machte die Klägerin mit Schreiben vom 27.07.2009 einen Urlaubsanspruch vom 36 Werktagen geltend; die Beklagte lehnte die Gutschrift von zwei weiteren Werktagen Urlaub unter Hinweis auf die an das Lebensalters des Arbeitnehmers geknüpfte Urlaubsstaffel des § 15 Abs. 3 MTV Einzelhandel ab. Diese lautet:
„Der Urlaub beträgt im Kalenderjahr
bis zum vollendeten 20. Lebensjahr 30
nach dem vollendeten 20. Lebensjahr 32
nach dem vollendeten 23. Lebensjahr 34
nach dem vollendeten 30. Lebensjahr 36 Werktage.”
Ein von der Klägerin im Februar 2010 gleichwohl gestellter Antrag auf Gewährung von Resturlaub 2009 am 29.03./30.03.2010 wurde abschlägig beschieden. Die Beklagte nahm und nimmt den Standpunkt ein, die Klägerin habe ab dem Jahre 2010 – also nach Vollendung des 23. Lebensjahres – Anspruch auf die Gewährung von 34 Werktagen Urlaub pro Kalenderjahr.
In ihrer am 19.03.2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin die Ansicht vertreten, die Regelung des § 15 Abs. 3 MTV Einzelhandel stelle eine gemäß § 7 AGG unzulässige Altersdiskriminierung dar. Sie, die Klägerin, werde im Hinblick auf den Umfang des Urlaubsanspruchs ohne erkennbaren sachlichen Grund schlechter gestellt als die Arbeitnehmer der Beklagten, die das 30. Lebensjahr bereits vollendet hätten.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, dass sie einen jährlichen Urlaubsanspruch in Höhe von 36 Werktagen hat.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Tarifvertrag benachteilige die Klägerin nicht wegen ihres Alters. Im gebotenen Vergleich mit der gesetzlichen Urlaubsregelung stelle § 15 Abs. 3 MTV Einzelhandel schon keine weniger günstige Behandlung im Sinne des § 3 AGG dar. Überdies sei eine doch anzunehmende Benachteiligung sachlich gerechtfertigt. Die Tarifvertragsparteien hätten mit der Regelung des § 15 Abs. 3 MTV Einzelhandel die Vereinbarkeit der privaten Lebenssituation der Arbeitnehmer – zumeist weiblichen Geschlechts – mit dem Beruf fördern wollen. Es handele sich um eine gesellschaftspolitisch gewünschte Unterstützung der Familienplanung. Insoweit könne pauschalierend davon ausgegangen werden, dass ein Großteil der Arbeitnehmer bis zum Erreichen des 20. Lebensjahres ihre Berufsausbildung abschließe, daran anschließend erstmals einen eigenen Hausstand gründe und sich bereits bestehende Partnerschaften manifestierten. Im Übrigen durchliefen alle Arbeitnehmer des Einzelhandels altersmäßig gleichermaßen die tarifvertragliche Urlaubsstaffel.
Mit Urteil vom 11.08.2010 hat das Arbeitsgericht der Klage unter ausdrücklicher Zulassung der Berufung für die Beklagte stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe ungeachtet ihres Alters einen Anspruch auf einen jährlichen Erholungsurlaub von 36 Werktagen. Die Regelung des § 15 Abs. 3 MTV Einzelhandel stelle eine unmittelbare Altersdiskriminierung im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 1 AGG, welches auch auf Tarifverträge Anwendung finde, dar. Den Vergleichsrahmen bilde dabei nicht das Gesetz, sondern der MTV Einzelhandel. Dessen Urlaubsreg...