Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Annahmeverzug bei fehlendem Impfnachweis für die Arbeit in einer Einrichtung nach § 20a IfSG. Angebot der geschuldeten Arbeitsleistung i.S.d. § 297 BGB. Beschäftigungsverbot aus § 20a Abs. 3 IfSG. Kein Annahmeverzug bei Unzumutbarkeit der Beschäftigung
Leitsatz (amtlich)
Wer während der Pandemie nach § 20 a Abs. 1 IfSG verpflichtet war, über einen Impf- oder Genesenennachweis zu verfügen, konnte ohne einen solchen Nachweis die vertraglich geschuldete Arbeit in einer Einrichtung nach § 20 a Abs. 1 IfSG nicht anbieten. Ein Annahmeverzug konnte daher nicht eintreten.
Leitsatz (redaktionell)
1. Für den Annahmeverzug ist das Angebot der geschuldeten Arbeitsleistung erforderlich. Der Arbeitnehmer bietet seine Leistung nicht in der geschuldeten Form an, wenn er ohne Impfnachweis in einer Einrichtung nach § 20a IfSG arbeiten will. Denn er schuldet eine Tätigkeit mit dem Ziel, das Leben der zu pflegenden Menschen zu schützen und deren Gesundheit so weit wie möglich zu sichern. Ohne Immunisierung gefährdet er dieses Ziel.
2. Aus dem Wortlaut des § 20a Abs. 3 IfSG ergibt sich für Menschen, die in einer Pflegeeinrichtung tätig sind, ein ausdrückliches Beschäftigungsverbot ab dem 16.03.2022, wenn sie kein Impf- oder Genesenenzertifikat haben.
3. Das Interesse des Arbeitgebers einer Einrichtung nach § 20a IfSG an der Nichtbeschäftigung des nicht immunisierten Arbeitnehmers überwiegt dessen Beschäftigungsinteresse. In einem solchen Fall scheidet ein Anspruch auf Entgelt aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges aus.
Normenkette
IfSG § 20a; BGB §§ 615, 293, 297, 134
Verfahrensgang
ArbG Aachen (Entscheidung vom 08.11.2022; Aktenzeichen 6 Ca 1485/22) |
Tenor
- Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 08.11.2022 - 6 Ca 1485/22 - wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Entgeltansprüche aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges und um Beschäftigung. Kern des Streits ist die Tatsache, dass die Klägerin während des streitgegenständlichen Zeitraums einen Impf- und Genesenen-Nachweis im Sinne des damals geltenden § 20 a IfSG nicht vorgelegt hat.
Die Beklagte betreibt ein Seniorenzentrum. Die Klägerin ist seit dem 12.05.1997 bei der Beklagten als Servicemitarbeiterin in der Pflege beschäftigt. Zuletzt erhielt sie ein monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von 1.123,30 EUR für eine Teilzeittätigkeit im Umfang von 20 Stunden pro Woche. Die Klägerin hat sich nicht gegen das SARS-COV-2-Virus impfen lassen und hatte im Herbst 2021 eine Infektion. Nach dem zu jener Zeit geltenden Wortlaut des § 22 a Abs. 2 Nr. 2 IfSG galt nur diejenige als Genesen, deren "Testung zum Nachweis der vorherigen Infektion mindestens 28 Tage und höchstens 90 Tage zurückliegt"; die Klägerin galt in diesem Sinne also nicht mehr als genesen im Sinne der Vorschrift.
Die Regelungen in § 20a sind vom Gesetzgeber durch Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes vom 10.12.2021 (BGBl I Nr. 10 S. 5162) mit Wirkung zum 12.12.2021 in das Infektionsschutzgesetz eingefügt worden. Mit weiterem Gesetz vom 18.3.2022 (BGBl. I Nr. 10 S. 466), dort Art. 1 Nr. 2 Buchst a, wurde der Eingangssatz des § 20a Abs. 1 Satz 1 mit Wirkung zum 19.03.2022 konkretisiert. Im hier streitigen Zeitraum hatte die mit dem am 31.12.2022 wieder außer Kraft getretene Vorschrift unter anderem den folgenden Wortlaut (Unterstreichungen und Fettdruck nur hier):
(1) Folgende Personen müssen ab dem 15. März 2022 über einen Impf- oder Genesenennachweis nach § 22a Absatz 1 oder Absatz 2verfügen:
1. Personen, die in folgenden Einrichtungen oder Unternehmen tätig sind:
a) Krankenhäuser,
b) Einrichtungen für ambulantes Operieren,
c) Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen,
[...]
2. Personen, die in voll- oder teilstationären Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen oder in vergleichbaren Einrichtungen tätig sind,
3. Personen, die in ambulanten Pflegediensten und weiteren Unternehmen, die den in Nummer 2 genannten Einrichtungen vergleichbare Dienstleistungen im ambulanten Bereich anbieten, tätig sind; zu diesen Unternehmen gehören insbesondere:
a) ambulante Pflegeeinrichtungen gemäß § 72 des Elften Buches Sozialgesetzbuch sowie Einzelpersonen gemäß § 77 des Elften Buches Sozialgesetzbuch,
[...]
(2) Personen, die in den in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtungen oder Unternehmen tätig sind, haben der Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens bis zum Ablauf des 15. März 2022 folgenden Nachweis vorzulegen:
1. einen Impfnachweis nach § 22a Absatz 1,
2. einen Genesenennachweis nach § 22a Absatz 2,
3. ein ärztliches Zeugnis darüber, dass sie sich im ersten Schwangerschaftsdrittel befinden, oder
4. ein ärztliches Zeugnis darüber, dass sie auf Grund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden können.
2Wenn der Nachweis nach Satz 1 nicht bis zum Ablauf d...