Entscheidungsstichwort (Thema)

Insolvenzeröffnungsverfahren, Nachteilsausgleich, Betriebsschließung, Masseforderung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Beschließen der vorläufige Insolvenzverwalter und der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin im Insolvenzeröffnungsverfahren die vollständige Betriebsstilllegung, so sind die daraufhin ausgesprochenen Kündigungen nicht deshalb unwirksam, weil der Geschäftsführer den geheimen Vorbehalt hegte, unter Entwendung eines Teils der Betriebsmittel eine Betriebsabteilung fortzuführen.

2. Eine Betriebsstilllegung löst dann den Anspruch aus § 113 BetrVG aus, wenn so viele Kündigungen ausgesprochen sind, dass der Betrieb ohne Zustimmung der Belegschaft nicht mehr fortgeführt werden kann und der Verhandlungsanspruch des Betriebsrats nicht mehr zur Betriebsfortführung führen könnte.

3. Der Anspruch aus § 113 BetrVG stellt eine Insolvenzforderung und keine Masseforderung dar, wenn die Stilllegung des Betriebs vor Insolvenzeröffnung begonnen wurde.

4. § 55 Abs. 2 InsO kommt auch nicht analog zur Anwendung, wenn ein sog. schwacher Insolvenzverwalter mit partieller Ermächtigung zur Alleinvertretung tatsächlich nicht alleine gehandelt hat, sondern die Kündigungen vom Geschäftsführer mit Zustimmung des Insolvenzverwalters ausgesprochen wurden.

 

Normenkette

BetrVG § 113; InsO § 55

 

Verfahrensgang

ArbG Bonn (Aktenzeichen 5 Ca 405/00)

 

Tenor

Sowohl die Berufung der Klägerin als auch die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 27.09.2000 – 5 Ca 405/00 – werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer der Klägerin am 27.01.2000 durch den Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin mit Zustimmung des Insolvenzverwalters ausgesprochenen, betriebsbedingten, fristgerechten Kündigung sowie um die Frage, ob es sich bei einem dem Grunde nach unstreitigen, aus § 113 BetrVG hergeleiteten Anspruch der Klägerin auf Nachteilsausgleich um eine Insolvenzforderung oder eine Masseforderung handelt. Zusätzlich ist die Höhe dieses Anspruchs, soweit er insgesamt 16.653,73 DM überschreitet zwischen den Parteien streitig.

Die Klägerin, 39 Jahre alt, war seit dem 06.11.1990 Arbeitnehmerin der Beklagten. Ihr durchschnittliches Bruttomonatseinkommen betrug zuletzt 2.775,62 DM.

Ende 1999 wurde das Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin, deren Insolvenzverwalter der jetzige Beklagte ist, eingeleitet. Mit Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 17.11.1999 (AZ: 99 IN 154/99) wurde der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. In dem Beschluss wurde einerseits angeordnet, dass die Gemeinschuldnerin nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam über ihr Vermögen verfügen kann (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Der Beklagte als vorläufiger Insolvenzverwalter wurde ausdrücklich nicht als allgemeiner Vertreter der Gemeinschuldnerin eingesetzt. Allerdings wurde er ermächtigt, auch allein mit rechtlicher Wirkung für die Gemeinschuldnerin zu handeln, wobei er verpflichtet wurde, von dieser Ermächtigung nur in dringend erforderlichen Fällen Gebrauch zu machen.

Am 18.01.2000 beschlossen der Geschäftsführer der Schuldnerin und der Beklagte als deren vorläufiger Insolvenzverwalter die Betriebsstilllegung. Hiervon wurde der Betriebsrat am darauffolgenden Tag unterrichtet. Ein Interessenausgleich mit dem Betriebsrat konnte nicht erzielt werden. Der Betriebsrat unterlag auch in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit dem der drohende Ausspruch der Kündigungen verhindert werden sollte. Mit Schreiben vom 27.01.2000 wurde der Klägerin wie auch den weiteren Mitarbeitern, deren Kündigung keinem Zustimmungsvorbehalt unterlag, die Kündigung durch die Gemeinschuldnerin mit Zustimmung des Beklagten ausgesprochen. Vorangegangen war eine schriftliche Kündigungsanhörung des Betriebsrats. Am 01.02.2000 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der Gemeinschuldnerin bestellt.

Nach der Insolvenzeröffnung einigten sich der Betriebsrat und der Beklagte auf einen Sozialplan. Derzeit ist das Verfahren nicht massearm. Auf die Insolvenzforderungen können voraussichtlich 10 % geleistet werden.

Der Betrieb ist zwischenzeitlich vollständig stillgelegt worden. Nach der Stilllegung der Verwaltungsabteilung zum 31.05.2000 fand keine betriebliche Tätigkeit mehr statt.

Am 28.01.2000, noch vor Insolvenzeröffnung, versuchte der Geschäftsführer der Beklagten ohne Kenntnis und Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters die gesamte Sommerkollektion in seinen Kleinlaster zu verladen und aus dem Betrieb fortzuschaffen. Dieses wurde verhindert.

Die Klägerin hält die Kündigung vom 27.01.2000 für unwirksam, da tatsächlich nicht eine vollständige Stilllegung des Betriebes beabsichtigt gewesen sei. Vielmehr habe der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin vorgehabt, wenigstens die Musterabteilung weiterzubetreibe...

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