Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilzeitverlangen des Arbeitnehmers nach § 8 Abs. 1 TzBfG. Dreistufiges Prüfungsschema für entgegenstehende betriebliche Gründe i.S.d. § 8 Abs. 4 TzBfG. Berücksichtigung von Personensorgepflichten bei der Lage der Arbeitszeit. Schutz der Privatsphäre bei der Interessenabwägung. Keine Nachteile der Arbeitnehmer durch Vereinbarung arbeitsvertraglicher und familiärer Pflichten. Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Bestimmung der Lage der Arbeitszeit muss der Arbeitgeber nach Möglichkeit auch auf die Personensorgepflichten des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen, sofern betriebliche Gründe oder berechtigte Belange anderer Arbeitnehmer/innen nicht entgegenstehen.
2. Der Arbeitgeber darf sich bei der Interessenabwägung auf die ihm ohne weiteres nachvollziehbaren persönlichen Umstände der Beschäftigten beschränken, ohne die familiären Verhältnisse in ihren Einzelheiten näher erforschen zu müssen. Das ist ihm schon aus Gründen des Schutzes der Privatsphäre seiner Beschäftigten verwehrt. Zudem kann er regelmäßig nicht zuverlässig feststellen, welche Anstrengungen seine Mitarbeiter/innen jeweils unternehmen bzw. unternehmen müssen oder können, um die Kinderbetreuung sicherzustellen.
3. Dass es anderen Mitarbeiterinnen gelingt, ihre arbeitsvertraglichen und ihre familiären Pflichten miteinander zu vereinbaren, rechtfertigt es nicht, diese durch die vermehrte Zuweisung ungünstiger Schichten zusätzlich zu belasten und gegenüber einer alleinerziehenden Arbeitnehmerin zu benachteiligen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 8 Abs. 1 TzBfG kann ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat, verlangen, dass seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit verringert wird. Der Arbeitgeber hat der Verringerung der Arbeitszeit zuzustimmen und ihre Verteilung entsprechend den Wünschen des Arbeitnehmers festzulegen, soweit betriebliche Gründe nicht entgegenstehen.
2. Die Prüfung, ob betriebliche Gründe entgegenstehen, ist regelmäßig in drei Stufen vorzunehmen. Zunächst ist festzustellen, ob der vom Arbeitgeber als erforderlich angesehenen Arbeitszeitregelung überhaupt ein betriebliches Organisationskonzept zugrunde liegt und - wenn das der Fall ist - um welches Konzept es sich handelt (erste Stufe). In der Folge ist zu untersuchen, inwieweit die aus dem Organisationskonzept folgende Arbeitszeitregelung dem Arbeitszeitverlangen tatsächlich entgegensteht (zweite Stufe). Schließlich ist das Gewicht der entgegenstehenden betrieblichen Gründe zu prüfen (dritte Stufe).
3. Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt.
Normenkette
GewO § 106; TzBfG § 8 Abs. 4; BGB §§ 315, 615, 1004, 242, 293-294, 611a Abs. 2; BEEG § 15 Abs. 7 Nr. 4
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Entscheidung vom 12.07.2022; Aktenzeichen 6 Ca 73/22) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 12.07.2022 - 6 Ca 73/22 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine generelle Freistellung von Früh- und Spätschichten sowie von Samstagsarbeit aus Gründen der Kinderbetreuung.
Die im Januar 1989 geborene Klägerin nahm im Jahr 2008 bei der Beklagten, die in Norddeutschland zahlreiche Bäckereifilialen betreibt, eine Ausbildung auf. Im Anschluss daran arbeitete sie als Bäckereiverkäuferin in einer Filiale der Beklagten in L-Stadt und wechselte später zu einer Filiale in S-Stadt. Nach dem Arbeitsvertrag vom 18.01.2013 beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 40 Stunden. Die Klägerin kann laut Arbeitsvertrag in sämtlichen Filialen der Beklagten eingesetzt werden. Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Pausen richten sich nach der Übung des Betriebes. Des Weiteren ist die Klägerin arbeitsvertraglich verpflichtet, in dem gesetzlich zulässigen Rahmen Sonntags-, Feiertags- und Mehrarbeit zu leisten.
Die Klägerin war zuletzt langjährig in der Filiale 1135, M-Straße Galerie S-Stadt, eingesetzt, der zu ihrer Wohnung nächstgelegenen Filiale. Der Arbeitsweg beträgt etwa einen Kilometer. Die Filiale verfügt über ein Café.
Bedingt durch Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie galt 2021 das folgende 3-Schicht-Modell:
Anzahl Mitarb. |
Schichtzeiten |
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05:30 Uhr |
7:30 Uhr |
11:00 Uhr |
12:00 Uhr |
13:30 Uhr |
15:00 Uhr |
20:00 Uhr |
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In der Frühschicht ab 05:30 Uhr müssen die Mitarbeiterinnen das Frühstück für die Kunden vorbereiten. Zwischen 07:30 und 08:30 Uhr ist das Kundenaufkommen am höchsten. Die Spätschicht endet mit dem Säubern von Tischen und Stühlen sowie des Verkaufsbereichs.
Die Klägerin gebar am 18.07.2020 ...