Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung gemäß § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Ordnungsgemäßheit eines Widerspruches gemäß § 102 Abs. 3 BetrVG ist erforderlich, daß er auf einen der Widerspruchsgründe in Ziffer 1) bis 5) dieser Bestimmung gestützt ist und eine Begründung enthält. Es kann aber nicht verlangt werden, daß die zur Begründung im Widerspruch vorgetragenen Tatsachen den Widerspruch tatsächlich rechtfertigen. Es kann auch nicht verlangt werden, daß die vorgebrachte Begründung schlüssig ist, oder daß die zur Begründung aufgeführten Tatsachen zutreffen. Der Widerspruch ist dann ausreichend mit Gründen versehen, wenn sich der Betriebsrat auf einen Widerspruchsgrund in § 102 Abs. 3 BetrVG beruft und dabei einen Sachverhalt vorträgt, der es als möglich erscheinen läßt, daß der geltend gemachte Widerspruchsgrund vorliegt.
2. Eine einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung ist keine Regelungs- oder Sicherungsverfügung, sondern eine Befriedigungsverfügung. Sie ersetzt aber dennoch nicht das Hauptsacheverfahren. Auch hier sind die Streitgegenstände von Hauptsache- und Eilverfahren nicht identisch.
3. Der Umstand, daß das Arbeitsgericht in I. Instanz die Kündigungsschutzklage abgewiesen hat, steht dem Weiterbeschäftigungsanspruch aus § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG nicht entgegen.
Dieser Umstand kann zwar als ein Grund zur Entbindung des Arbeitgebers von der Weiterbeschäftigungspflicht gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BetrVG in Betracht kommen, jedoch kann dieser eventuelle Entbindungsgrund nicht im Rahmen des Verfahrens auf Weiterbeschäftigung berücksichtigt werden, sondern muß in einem eigenen Entbindungsverfahren gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG geltend gemacht werden.
4. Beim Antrag einer einstweiligen Verfügung auf Weiterbeschäftigung gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG bedarf es eines Verfügungsgrundes, der aber im Regelfalle bei Bejahung des Verfügungsanspruches vorliegt. Im Rahmen der Behandlung des Verfügungsgrundes findet keine besondere Interessenabwägung mehr statt; diese hat der Gesetzgeber bereits bei der Regelung des Anspruches auf Weiterbeschäftigung vorgenommen.
Normenkette
BetrVG § 102 Abs. 5 S. 1
Verfahrensgang
ArbG München (Urteil vom 03.05.1995; Aktenzeichen 31 Ga 139/95) |
Tenor
Auf die Berufung des Verfügungsklägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichtes München vom 3.5.1995 31 Ga 139/95 abgeändert:
Die Verfügungsbeklagte wird verurteilt, den Verfügungskläger bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzverfahrens 25 Ca 12109/93 Arbeitsgericht München bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
Die Verfügungsbeklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Der Verfügungskläger begehrt die Weiterbeschäftigung gem. § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG im Wege der einstweiligen Verfügung.
Der Verfügungskläger ist seit 1.4.1985 bei der Verfügungsbeklagten als sogenannter Vertragssachbearbeiter in der Abteilung HUK-Schaden zu einem Monatsgehalt von zuletzt 8.255,– DM beschäftigt. Die Verfügungsbeklagte hat das Arbeitsverhältnis mit dem Verfügungskläger am 30.7.1993 zum 31.12.1993 gekündigt. Der bei der Verfügungsbeklagten bestehende Betriebsrat hatte dieser Kündigung vor Ausspruch mit Schreiben vom 27.7.1993 (Fotokopie Blatt 51 bis 53 der Akte) innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG widersprochen. Die Verfügungsbeklagte hatte den Verfügungskläger bis 23.3.1995 weiterbeschäftigt. An diesem Tag hat das Arbeitsgericht München im Verfahren 25 Ca 12109/93 die Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung vom 20.7.1993 sowie die Klage auf Weiterbeschäftigung abgewiesen. Nach dem 23.3.1995 hat die Verfügungsbeklagte eine Weiterbeschäftigung des Verfügungsklägers abgelehnt.
Im vorliegenden Verfahren begehrt der Verfügungskläger im Wege der einstweiligen Verfügung die Weiterbeschäftigung gem. § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG bis zum rechtskräftigen Abschluß des Hauptsacheverfahrens 25 Ca 12109/93 zu den bisherigen Vertragsbedingungen als Vertragssachbearbeiter.
Das Arbeitsgericht München hat durch Endurteil vom 3.5.1995 31 Ga 00139/95 den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen mit der Begründung, es fehle am Verfügungsgrund.
Bezüglich des Sachvortrages der Parteien im ersten Rechtszug, der von ihnen gestellten Anträge sowie der rechtlichen Erwägungen des Erstgerichtes wird auf den Inhalt des Endurteils des Arbeitsgerichts München vom 3.5.1995 (Blatt 57 bis 68 der Akte) verwiesen.
Der Verfügungskläger hat gegen dieses Urteil, das ihm am 12.5.1995 zugestellt wurde, am 1.6.1995 Berufung eingelegt und sie gleichzeitig begründet.
Er trägt vor, das Ersturteil sei in zwei Hauptpunkten zu beanstanden: Soweit das Arbeitsgericht meint, ein etwaiger Entscheid des Erstgerichtes im Hauptverfahren 25 Ca 12109/93 über den dort gestellten Weiterbeschäftigungsantrag nach § 102 Abs. 5 BetrVG hindere den Erlaß einer einstweiligen Verfügung, so treffe dies nicht zu. Ein Antrag nach § 102 Abs. 5 BetrVG sei nämlich im Hauptverfahren...