Entscheidungsstichwort (Thema)
Unionsrechtskonforme Auslegung des § 7 Abs. 3 BUrlG zum gesetzlichen Urlaub bei langer Erkrankung des Arbeitnehmers. Auslegung des normativen Teils des Tarifvertrags. Kein Gleichlauf des Fristenregimes beim Urlaubsverfall für den gesetzlichen und den tariflichen Urlaub in § 26 Abs. 2 a) TVöD-VKA. Keine Anwendung des § 26 Abs. 2 a) TVD-VKA auf den gesetzlichen Mindesturlaub bei Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers
Leitsatz (amtlich)
§ 26 Abs. 2 a) TVöD-VKA findet auf den gesetzlichen Mindesturlaub keine Anwendung, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des gesetzlichen Übertragungszeitraums krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist. (Rn. 18)
Leitsatz (redaktionell)
1. § 7 Abs. 3 BUrlG ist unionrechtskonform dahingehend auszulegen, dass der gesetzliche Urlaub nicht verfällt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahrs und/oder des Übertragungszeitraums krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist und es ihm deshalb nicht möglich ist, den Urlaub zu nehmen. Der aufrecht erhaltene Urlaubsanspruch tritt in diesem Fall zu dem im Folgejahr entstandenen Urlaubsanspruch hinzu und ist damit erneut nach § 7 Abs. 3 BUrlG befristet. Er erlischt allerdings bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit fünfzehn Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres.
2. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können.
3. Aus dem Wortlaut des § 26 Abs. 2 a) TVöD-VKA ist zu schließen, dass die Tarifvertragsparteien einen "Gleichlauf" des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub bzgl. des Verfalls nicht gewollt haben. Die tarifliche Regelung betrifft deshalb nur den vom Mindesturlaub abtrennbaren Teil der einheitlich in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD-VKA geregelten Gesamturlaubsdauer, also den tariflichen Mehrurlaub.
Normenkette
TVöD-VKA § 26 Abs. 2 Buchst. a); BUrlG §§ 1-3, 7 Abs. 3, § 13 Abs. 1; RL 2003/88/EG Art. 7 Abs. 1; TVöD-VKA § 26 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 30.08.2022; Aktenzeichen 5 Ca 2418/22) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 30.08.2022 - 5 Ca 2418/22 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zuletzt noch über die Frage, ob dem Urlaubskonto des Klägers acht Tage gesetzlicher Urlaub aus dem Jahr 2020 gutzuschreiben sind.
Der Kläger ist bei der beklagten A.-Stadt auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 29.03.1985 im Rahmen einer 5-Tage-Woche beschäftigt, und zwar zuletzt als Mitarbeiter im Warenmanagement (Lagerist). Nach § 2 Abs. 1 des Arbeitsvertrags findet der TVöD-VKA Anwendung, der für den Erholungsurlaub auszugsweise bestimmt:
"§ 26 Erholungsurlaub
(1) Beschäftigte haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 21). Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr 30 Arbeitstage. ... Der Erholungsurlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und kann auch in Teilen genommen werden.
(2) Im Übrigen gilt das Bundesurlaubsgesetzt mit folgenden Maßgaben:
a) Im Falle der Übertragung muss der Erholungsurlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden. Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden, ist er bis zum 31. Mai anzutreten. (...)"
Der Kläger erkrankte am 19.03.2020 arbeitsunfähig. Mit Schreiben vom 05.01.2021 wies die Beklagte ihn darauf hin, dass ihm aus dem Jahr 2020 ein Resturlaub im Umfang von 22 Tagen zustehe, den er bis zum 31.03.2021 antreten müsse. Sollte er über den 31.03.2021 erkranken, würden noch bestehende Resturlaubsansprüche automatisch bis zum 31.05.2021 übertragen werden. Zu diesem Zeitpunkt verfiele der Resturlaub aus 2020 ersatzlos.
Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers bestand bis zum 30.04.2021 fort. Für den Zeitraum 31.05.2021 bis 04.06.2021 beantragte der Kläger Urlaub, den die Beklagte gewährte.
Mit Schreiben vom 12.08.2021 beantragte der Kläger, den gesetzlichen und tariflichen Urlaub aus 2020 bis zum 31.03.2021 zu übertragen. Dies lehnte die Beklagte ab.
Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Die Regelung in § 26 Abs. 2 a) TVöD-VKA werde durch § 7 Abs. 3 BUrlG verdrängt, der unionsrechtskonform dahin auszulegen sei, dass der Urlaubsanspruch erst...