Entscheidungsstichwort (Thema)
Unangemessene Benachteiligung durch uneingeschränkte Rückzahlungspflicht von Ausbildungskosten bei Eigenkündigung. Keine geltungserhaltende Reduktion unwirksamer Klauseln bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen
Leitsatz (amtlich)
Eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die die Rückzahlung von Studienkosten in jedem Fall einer ohne wichtigen Grund ausgesprochenen Eigenkündigung vorsieht, ohne solche Kündigungen des Arbeitnehmers auszunehmen, zu der er durch Gründe in der Sphäre des Arbeitgebers veranlasst oder mitveranlasst wird, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen.
Leitsatz (redaktionell)
Eine unangemessene und damit unwirksame Klausel ist nicht mit dem Inhalt aufrechtzuerhalten, dass der Arbeitnehmer nur bei einer Eigenkündigung aus Gründen, die seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen sind, zur Rückzahlung der Ausbildungskosten verpflichtet ist. Dies wäre eine geltungserhaltende Reduktion, die im Rahmen des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht möglich ist. Auch eine dahingehende ergänzende Vertragsauslegung scheidet aus.
Normenkette
BGB § 305 Abs. 1, § 306 Abs. 1, § 307 Abs. 1 S. 1; GG Art. 12 Abs. 1; BBiG §§ 12, 17, 26; BGB § 626
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 03.08.2022; Aktenzeichen 7 Ca 750/22) |
Nachgehend
Tenor
- Die Berufung der Berufungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 3. August 2022, Az. 7 Ca 750/22, wird auf Kosten der Berufungsklägerin zurückgewiesen.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Berufungsklägerin gegen die Beklagte einen Rückzahlungsanspruch aus § 9 Abs. 2 lit. b) des Ausbildungs- und Studienvertrages vom 08.03.2018 hat.
Am 08.03.2018 schloss die Berufungsklägerin, vertreten durch den Präsidenten der B.., mit der 1998 geborenen Beklagten einen "Ausbildungs- und Studienvertrag nach dem TVAöD - Allgemeiner und Besonderer Teil BBiG - und der Richtlinie des Bundes für ausbildungsintegrierte duale Studiengänge" für die Zeit vom 27.08.2018 bis 26.08.2022 (Bl. 11 ff. d. A.).
Nach § 1 Abs. 1 dieses Ausbildungs- und Studienvertrages absolviert die Studierende ein ausbildungsintegriertes duales Studium. Dieses gliedert sich in einen Ausbildungs- und einen Studienteil, die jeweils dem Erreichen der entsprechenden Abschlussqualifikation dienen. Im Ausbildungsteil wird die Studierende in dem staatlich anerkannten oder als staatlich anerkannt geltenden Ausbildungsberuf eines Fachinformatikers - Anwendungsentwicklung ausgebildet. Im Studienteil werden die fachtheoretischen Studienabschnitte (Lehrveranstaltungen) im Studiengang Praktische Informatik an der Hochschule S. durchgeführt. Die berufspraktischen Studienabschnitte richten sich nach dem Ausbildungs- und Studienplan. Das Studium schließt mit dem akademischen Grad Bachelor of Science ab.
Nach § 2 Abs. 1 des Ausbildungs- und Studienvertrages bestimmt sich der Ausbildungsteil nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) seiner jeweiligen Fassung. Für das Vertragsverhältnis insgesamt finden die Vorschriften der Tarifverträge für Auszubildende des öffentlichen Dienstes (TVAöD) - Allgemeiner Teil und Besonderer Teil BBiG, diese ergänzenden, ändernden und ersetzenden Tarifverträge in der für den Bereich des Bundes jeweils geltenden Fassung Anwendung, soweit die Richtlinie des Bundes für ausbildungsintegrierte duale Studiengänge in der jeweils gültigen Fassung die Anwendung nicht ausschließt. Für den Studienteil gilt zudem die Richtlinie in der jeweils gültigen Fassung.
Während des Ausbildungsteils des ausbildungsintegrierten dualen Studiums erhält der Studierende ein monatliches Ausbildungsentgelt nach § 8 Abs. 1 TVAöD - Besonderer Teil BBiG (§ 6 Abs. 1 des Ausbildungs- und Studienvertrages). Daneben erhält der Studierende vom Beginn des ausbildungsintegrierten dualen Studiums bis zum Ablauf des Kalendermonats, in dem die Abschlussprüfung des Ausbildungsteils des ausbildungsintegrierten dualen Studiums erfolgreich abgeschlossen wird, zusätzlich eine monatliche Studienzulage in Höhe von pauschal 150 € (§ 6 Abs. 2 des Ausbildungs- und Studienvertrages). Der Ausbildende übernimmt die notwendigen Studiengebühren (§ 6 Abs. 5 des Ausbildungs- und Studienvertrages).
§ 9 des Ausbildungs- und Studienvertrages hat folgenden Wortlaut:
"§ 9
Rückzahlungsbedingungen/-grundsätze
(1) Wird die Studierende beim Ausbildenden nach Beendigung seines ausbildungsintegrierten dualen Studiums in ein Beschäftigungsverhältnis entsprechend ihrer mit dem Studienteil des ausbildungsintegrierten dualen Studiums erworbenen Abschlussqualifikation¹ übernommen, ist die ehemals Studierende verpflichtet, dort für die Dauer von 5 Jahren beruflich tätig zu sein (Bindebedingung).
(2) Der vom Ausbildenden bezahlte Gesamtbetrag, bestehend aus der Studienzulage (§ 6 Abs. 2 des Vertrages), dem Studienentgelt (§ 6 Abs. 4 des Vertrages), den Studiengebühren (§ 6 Abs. 5 des Vertrages) sowie den notwendigen Fahrt- und Unterkunfts...