Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame Kündigung wegen Krankheit. Drei-Stufen-Prüfung bei Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung. Auswirkungen eines unterlassenen BEM-Verfahrens
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine krankheitsbedingte Kündigung ist in drei Stufen auf die folgenden Parameter hin zu prüfen: negative Gesundheitsprognose, erhebliche Beeinträchtigung des Betriebs und Interessenabwägung.
2. Eine nicht angebotene BEM-Maßnahme macht die Kündigung nicht unwirksam, schränkt aber die Verhältnismäßigkeit zu Lasten des Arbeitgebers ein.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 1-2; SGB IX § 167; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 28.07.2020; Aktenzeichen 4 Ca 1417/19) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 28.07.2020, 4 Ca 1417/19, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung, die aus personenbedingten Gründen ausgesprochen wurde.
Der 1987 geborene Kläger ist seit Juni 2008 bei der Beklagten als kaufmännischer Angestellter beschäftigt, zuletzt zu einem Bruttomonatsgehalt von 4.500,- EUR. Von 2005 bis 2008 absolvierte er eine Ausbildung bei der Beklagten. Die Beklagte beschäftigt mehr als zehn Arbeitnehmer.
2016 fehlte der Kläger an 20 Tagen, in 2017 an 52 Kalendertagen krankheitsbedingt. Die Beklagte zahlte an den Kläger im Jahr 2017 Entgeltfortzahlung in Höhe von 6.329,53 EUR.
2018 fehlte der Kläger krankheitsbedingt an insgesamt 191 Tagen, ab dem 03.07.2018 war er durchgehend arbeitsunfähig erkrankt bis zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung. Der Kläger litt zu diesem Zeitpunkt an einer psychischen Erkrankung.
Am 22.05.2019 führten die Parteien ein Fehlzeitengespräch. Der Kläger erklärte hierbei, dass er an einer Knieverletzung und einer weiteren Krankheit leide, auf der die Fehlzeiten seit dem 03.07.2018 beruhten, deren Diagnose er jedoch in dem Gespräch nicht benannte. Er teilte auch mit, dass eine Knie-OP anstehe mit anschließender Fehlzeit von zwei Wochen, und dass ein Termin hierfür noch nicht bekannt sei.
Ein weiteres Gespräch zwischen den Parteien fand im August 2019 statt. Es handelte sich um ein "Kennenlern-Gespräch" mit dem neuen Vorgesetzten des Klägers. Hierbei teilte der Kläger erneut mit, dass er am Knie operiert werden müsse, was erneute Fehlzeiten auslösen werde. Im Nachgang dieses Gesprächs, ebenfalls im August 2019, teilte der Kläger telefonisch den ihm zwischenzeitlich bekannt gegebenen OP-Termin mit.
Die Einzelheiten dieser Gespräche im August 2019 sind zwischen den Parteien streitig.
Der Kläger reichte im Nachgang der Gespräche weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein (Folgebescheinigungen bis 13.09.2019 vom 13.09.2019 bis 04.10.2019, Erstbescheinigung ab dem 26.09.2019).
Für den 17.10.2019 wurde ein Termin zum Vorgespräch anlässlich einer Wiedereingliederung vereinbart.
Bei der Beklagten besteht ein Betriebsrat. Diesen hörte die Beklagte unter dem 11.09.2019 zur beabsichtigten Kündigung an. Auf den zur Akte gereichten Anhörungsbogen wird Bezug genommen.
Nachdem der Betriebsrat am 18.09.2020 Stellung genommen hatte, sprach die Beklagte am 19.09.2019 die streitgegenständliche Kündigung zum 29.02.2019 aus, welche dem Kläger am 24.09.2019 zuging.
Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Er trägt vor, es fehle bereits an einer negativen Prognose. Die psychische Erkrankung sei seit 01.09.2019 ausgeheilt, seitdem sei er nicht mehr wegen dieser Erkrankung arbeitsunfähig. In dem Telefonat mit dem Vorgesetzten im August 2019 habe dieser ihm angeraten, sich bis zur Knie-OP weiter krankschrieben zu lassen, da eine Wiedereingliederung erst nach der Knie-OP und den dadurch veranlassten neuen Fehlzeiten sinnvoll erscheine. Mit weitere Krankheitszeiten sei nach der Knie-OP - auch aus der zeitlichen Perspektive des Kündigungszeitpunkts- nicht zu rechnen gewesen.
Die Betriebsratsanhörung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Dem Betriebsrat hätte mitgeteilt werden müssen, dass der Kläger im August 2019 angegeben hat, ab September nicht mehr wegen der Langzeiterkrankung, nur noch kurzzeitig wegen der Knie-OP, arbeitsunfähig zu sein. Die Beklagte habe gewusst, ab wann mit einer Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit zu rechnen gewesen sei. Dies hätte sie offenlegen müssen.
Schließlich habe sie den Kläger nie, auch nicht im Jahr 2017, zu einem BEM eingeladen. Ein solches BEM wäre nicht entbehrlich, sondern erfolgsversprechend gewesen. Da ein BEM vor Ausspruch der Kündigung nicht (erneut) eingeleitet wurde, sei die Kündigung bereits aus diesem Grunde unwirksam.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die mit Schreiben der Beklagten vom 19.09.2019, zugegangen am 24.09.2019, ausgesprochene ordentliche Kündigung zum 19.02.2020 nicht aufgelöst ist,
- die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zur rechtskräftigen Entscheidung dieses Rechtsstreits zu den bishe...