Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristlose Beendigung des Ausbildungsverhältnisses zum Physiotherapeuten wegen unentschuldigter Fehlzeiten
Leitsatz (redaktionell)
Die fristlose Kündigung des Ausbildungsverhältnisses zum Physiotherapeuten ist aufgrund vorzunehmender Einzelfallbeurteilung und Interessenabwägung nicht gerechtfertigt, wenn die Ausbildungszeit zu mehr als 80% abgelaufen ist und nur noch eine Theoriephase vor der Abschlussprüfung ansteht und das Interesse des Vertragspartners an der Beendigung des Vertragsverhältnisses als gering einzustufen ist, weil ihm kein wesentlicher Nachteil durch die Fehlzeiten entstanden ist.
Normenkette
BGB § 626
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Entscheidung vom 02.11.2017; Aktenzeichen 9 Ca 670/17) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 2. November 2017 - 9 Ca 670/17 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Wesentlichen über die Wirksamkeit der Beendigungserklärung des zwischen ihnen geschlossenen Vertrags über die Ausbildung zum Physiotherapeuten durch die Beklagte.
Der 1992 geborene Kläger schloss mit der Beklagten unter dem 26. Mai 2014 einen "Ausbildungsvertrag" (Bl. 11 - 14 d. A.) zum Physiotherapeuten, dem die von der Beklagten erstellte "Ausbildungsordnung (A 02)" (Bl. 15 - 19 d. A.) beigefügt war.
Ziffer 4 des Vertrags sieht vor, dass der Kläger für seine Ausbildung an die Beklagte monatlich Ausbildungskosten in Höhe von 355,00 EUR zahlt. Nach Ziffer 2 des Vertrags sollte die in sechs Semester aufgeteilte Ausbildung im Oktober 2014 beginnen, 36 Monate dauern und am 28. September 2017 mit einer staatlichen Prüfung enden.
Zu den wechselseitigen Pflichten der Vertragsparteien heißt es unter Ziffer 3 des Ausbildungsvertrags:
Unterrichts- und Teilnahmeverpflichtungen
Die Ausbildungsstätte verpflichtet sich, den theoretischen und praktischen Unterricht sowie die Ausbildung am Patienten durch hierzu geeignete Ausbilder und mit dem Ziel der Ablegung der Prüfung nach den entsprechenden Bestimmungen der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten durchzuführen.
Der Teilnehmer verpflichtet sich zur regelmäßigen Teilnahme am und zur Mitarbeit im theoretischen und praktischen Unterricht sowie der Ausbildung am Patienten. Für die durch Stundenplan bekannt gegebenen Unterrichtseinheiten besteht Anwesenheitspflicht.
Der Teilnehmer verpflichtet sich zur Teilnahme an allen von der Ausbildungsstätte angesetzten Leistungsüberprüfungen. ...
Ist der Teilnehmer durch Krankheit verhindert, so hat er die Ausbildungsstätte unverzüglich zu unterrichten.
Ansonsten gilt die beiliegende Ausbildungsordnung.
Zur Beendigung des Ausbildungsverhältnisses heißt es unter Ziffer 7 des Ausbildungsvertrags:
Eine Kündigung des Vertrages durch den Teilnehmer ist erstmals zum Ende der ersten 3 Monate der Ausbildung mit einer Frist von 6 Wochen, sodann jeweils zum Ende der nächsten 3 Monate ohne Angabe von Gründen möglich.
Von der Ausbildungsstätte kann das Ausbildungsverhältnis nur gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. In diesem Fall sind die Ausbildungskosten ebenfalls für weitere 3 Monate zu zahlen, beginnend ab Abbruchdatum.
In der Ausbildungsordnung (A 02) heißt es unter 1.7:
Das Fernbleiben von der Ausbildung ist am gleichen Tag bis spätestens 8:00 Uhr im Sekretariat mündlich oder schriftlich anzuzeigen. Während der Ausbildung am Patienten hat sich der Teilnehmer vor Arbeitsbeginn zusätzlich auch bei seinem Betreuer oder Team vor Ort abzumelden. Alle Fehlzeiten sind schriftlich unter Angabe von Gründen umgehend zu entschuldigen. Fehlzeiten werden regelmäßig an die Leistungsträger weitergeleitet.
Unter 1.8 der Ausbildungsordnung (A 02) heißt es:
Bei mehr als dreitägigem Fehlen ist spätestens am vierten Tag eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen.
Am 20. Januar 2017 beschädigte der Kläger in den Räumlichkeiten der Beklagten nach einem Gespräch mit der Betriebsleiterin Frau Z eine Tür. Die Einzelheiten sind zwischen den Parteien streitig. Der Kläger hat den entstandenen Schaden ersetzt.
Die vier praktischen Unterrichtszeiten (Praktika), die für die Ausbildung zum Physiotherapeuten zu absolvieren sind, werden bei externen Kooperationspartnern der Beklagten durchgeführt z. B. in Physiotherapiepraxen oder in Kliniken. Die Betreuung dieser praktischen Unterrichtszeiten erfolgt durch Lehrkräfte der Beklagten, die die Praktikanten zu festgelegten Zeiten besuchen.
Der Kläger begann seine vierte und letzte praktische Unterrichtszeit am 3. April 2017 bei Y in A-Stadt, einem medizinischen Therapie- und Reha-Zentrum. Die für ihn zuständige Lehrkraft der Beklagten, Frau X, stimmte mit ihm ab, ihn am 5., 12., 19. und 26. April dort aufzusuchen. Am 19. April 2017 traf sie den Kläger am Praktikumsort nicht an. Sie erfuhr, dass er sowohl am 13. April (Gründonnerstag) als auch seit dem 18. April 2017 (Dienstag nach Ostern) ohne Entschuldigung fehlte. Die unentschuldigte Fehlzeit dauerte bis 21. April 2017 (e...