Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfall. Leistungsbeeinträchtigung. Gefahr am Arbeitsplatz. Kündigung. Umorganisation des Arbeitsplatzes. Fürsorgepflicht
Leitsatz (amtlich)
Ist ein Arbeitnehmer nach einem Arbeitsunfall darauf angewiesen, blutgerinnungshemmende Mittel einzunehmen, berechtigt die sich daraus ergebende Blutungsgefahr den Arbeitgeber noch nicht, eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses auszusprechen.
Der Arbeitgeber ist zunächst gehalten, eine Überprüfung des Arbeitsplatzes, ggf. unter Hinzuziehung einer Fachkraft für Arbeitssicherheit und/oder des Betriebsarztes, vorzunehmen.
Der Arbeitgeber ist ferner gehalten, den Arbeitnehmer auf einem seinem Leiden entsprechenden Arbeitsplatz im Betrieb weiter zu beschäftigen, sofern er einen solchen durch Ausübung seines Direktionsrechts frei machen oder durch organisatorische Maßnahmen dem Arbeitnehmer nur noch bestimmte Aufgaben aus dem bisherigen Gebiet zuweisen kann. Ggf. muss er zunächst eine Änderungskündigung aussprechen.
Normenkette
KSchG § 1; SchwbG §§ 2, 15
Beteiligte
Verfahrensgang
ArbG Neumünster (Entscheidung vom 22.11.2000; Aktenzeichen 3 Ca 1186 d/00) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 22.11.2000 – 3 Ca 1186 d/00 – abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die ordentliche Kündigung vom 20.07.2000, zugegangen am 22.07.2000, beendet worden ist.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren nur noch um die Frage, ob das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung der Beklagten beendet worden ist
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes erster Instanz sowie des Inhalts des Urteils des Arbeitsgerichts wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen, gegen die der Kläger rechtzeitig Berufung eingelegt und diese begründet hat.
Der Kläger trägt vor, das Arbeitsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass aufgrund der ständigen Einnahme gerinnungshemmender Medikamente bei Fortsetzung seiner Tätigkeit im Betrieb der Beklagten die Gefahr des Eintritts gesundheitlicher Schäden bestehe. Zwar nehme er ein gerinnungshemmendes Medikament, Marcumar. Dies geschehe jedoch nur in einer geringen unterdurchschnittlichen Dosierung. Zudem führe er für den Fall, dass er sich verletzten sollte, das Medikament Konakion bei sich, das er als Gegenmittel einnehmen könne. Dazu sei es aber noch nie gekommen. Die Gefahr einer Verletzung, die zur Bewußtlosigkeit führen könne, sei nahezu ausgeschlossen. In den acht Jahren seiner Tätigkeit für die Beklagte habe er sich mit Ausnahme des Sturzes bei Glatteis auf dem Firmengelände noch nie schwer verletzt. Die meisten Arbeiten führe er gemeinsam mit einem Kollegen durch. Nur in Ausnahmefällen sei er während seiner Tätigkeit allein.
Nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist hat der Kläger einen Bescheid der Bundesanstalt für Arbeit vom 26.03.2001 eingereicht, demzufolge der Kläger für die Zeit vom 06.07. – 03.09.2000 gleichgestellt worden ist. Hierzu trägt der Kläger vor, der Betriebsrat sei Anfang August 2000 von dem Arbeitsamt über den Gleichstellungsantrag informiert worden. Auch die Beklagte habe ein Schreiben des Arbeitsamtes mit Datum vom 17.08.2000 erhalten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 22.11:2000 – 3 Ca 1186d/00 – abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die ordentliche Kündigung vom 20. Juli 2000, zugegangen am 22. Juli 2000, beendet worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, der Kläger habe sie nicht innerhalb eines Monats nach Zugang der Kündigung über seinen Antrag auf Gleichstellung unterrichtet. Damit könne der Kläger sich nicht auf einen besonderen Kündigungsschutz nach dem Schwerbehindertengesetz berufen. Zutreffend habe das Arbeitsgericht die ordentliche Kündigung aus personenbedingten Gründen als gerechtfertigt angesehen. In der Person des Klägers sei aufgrund der Medikation in besonderem Maße ein erhöhtes Risiko des Eintritts schwerwiegender Schäden an Leib und Leben begründet. Dabei sei zu berücksichtigen, dass auch geringfügige Verletzungen für Leib und Leben des Klägers ein ernsthaftes Risiko darstellten. Sie bestreite, dass der Kläger das gerinnungshemmende Medikament nur in geringen Dosen einnehme. Zudem seien aber auch geringe Dosen bereits ausreichend, um Langzeitblutungen erheblichen Ausmaßes herbeizuführen. Sie bestreite, dass der Kläger stets das Medikament Konakion bei sich führe, das die gerinnungshemmende Wirkung beseitigen oder verringern könne. Soweit der Kläger sich darauf berufe, dass er sich bislang noch nicht schwerer verletzt habe, seien zwei weitere ernsthafte Arbeitsunfälle zu berücksichtigen, und zwar am 16.08.1993, wobei der Kläger sich Mittel- und Zeigefinger der linken Hand gebrochen habe, sowie ein Vorfall vom 14.10.1998, der zu einer Quetschung des rechten Fuße...