BAG, Beschluss v. 22.10.2019, 1 ABR 11/18

Leitsätze (amtlich)

Die Zeiten für das Zurücklegen selbstbestimmter außerbetrieblicher Wege zur und von der Arbeit gehören auch dann nicht zur täglichen Arbeitszeit i. S. v. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, wenn die Arbeitnehmer auf diesen Wegen notwendige betriebliche Mittel bei sich führen.

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts für die dienstplanmäßige Verteilung außerbetrieblicher Wegezeiten.

Die Arbeitgeberin, die als Tochterunternehmen der B (BVG) AöR Fahrdienstleistungen im öffentlichen Personennahverkehr in Berlin erbringt, bedient ca. 153 Buslinien und 5 U-Bahnlinien. Sie ist Mitglied des Kommunalen Arbeitgeberverbands Berlin. In ihrem Betrieb ist der am Verfahren beteiligte Betriebsrat errichtet.

Die Dienste der Omnibusfahrer beginnen oder enden auf dem Betriebshof oder an festgelegten Ablöseorten (Einsatz- und Aussetzorte) auf der jeweiligen Strecke. Vergleichbares gilt auch für die Dienste der U-Bahnfahrer. Das Fahrpersonal ist verpflichtet, den Dienst mit bestimmten Arbeitsmitteln (wie z. B. Fahrer-, Tor- und Dreikantschlüssel, Diensttaschenlampe, Warnweste, Arbeitsschutzhandschuhe und Signalpfeife; bei den Omnibusfahrern ein Fahrerabrechnungsmodul, ein Geldwechsler, 30 EUR Wechselgeld, Ersatzfahrscheinrollen, Dreikant-/Vierkant- und Toilettenschlüssel sowie Fahrtbericht und Unfallformular) anzutreten. Mangels von der Arbeitgeberin vorgehaltener Rüststellen tragen die Fahrer dies auf den Wegen zur und von der Arbeit bei sich.

Nach § 8 Abs. 1 des anzuwendenden TV-N Berlin beträgt die regelmäßige Arbeitszeit durchschnittlich 39 Stunden. § 9 TV-N Berlin regelt darüber hinaus "Besondere Arbeitsbedingungen bei Einsatz" u. a. "als Omnibusfahrer, U-Bahnfahrer" und enthält u. a. Bestimmungen zu Dienstschichten und Pausenregelungen. Gemäß der Protokollerklärung zählen zur Arbeitszeit "insbesondere Lenkzeiten, Vorbereitungs- und Abschlusszeiten sowie betrieblich veranlasste Wegezeiten". Ebenso wird gem. § 9 Abs. 5 TV-N Berlin "für die Vorbereitungs- und Abschlusszeiten … die notwendige Zeit in die Arbeitszeit eingerechnet und im Dienstplan ausgewiesen".

Im Dezember 2016 schlossen der KAV Berlin und ver.di den Tarifvertrag über Rahmenbedingungen für die Nutzung von Dienstkleidung und das Mitführen von Arbeitsmitteln (TV Pauschalentgelt). Hierin war u. a. geregelt, dass Begleitzeiten nicht zur regelmäßigen Arbeitszeit i. S. v. § 8 Abs. 1 TV-N Berlin und von § 4 Abs. 1 der Anlage 6 zum TV-N Berlin zählten, nicht Teil der Dienstschichten (§ 9 Abs. 1 TV-N Berlin) und der planmäßigen Dienste (§ 9 Abs. 7 TV-N Berlin) und nicht in den Dienstplänen auszuweisen seien. "Begleitzeiten" seien hierbei sämtlicher zeitlicher Aufwand sowie etwaige Belastungen, die den Beschäftigten über die Dienstschichten (§ 9 Abs. 1 TV-N Berlin) und Vorbereitungs- und Abschlusszeiten (§ 9 Abs. 5 TV-N Berlin) hinaus durch die Nutzung von Dienstkleidung und das Mitführen und Verwahren von Arbeitsmitteln entstünden. Diese sollten ausschließlich nach Maßgabe dieses Tarifvertrags vergütet werden. Daneben fänden diese Zeiten keinen Eingang in für die Beschäftigten geführte Arbeitszeitkonten und lösten keine Zuschläge aus, unabhängig davon, ob einzelne der von diesem Tarifvertrag erfassten Begleitzeiten als zu vergütende Arbeitszeit im Sinne des TV-N Berlin anzusehen seien oder nicht. Die Vergütungsregelungen des vorliegenden Tarifvertrags würden insoweit den Regelungen des TV-N Berlin vorgehen.

Daneben galt bei der Arbeitgeberin die "Betriebsvereinbarung Kleidungsordnung 02/2016", nach deren § 3 Abs. 1 die Mitarbeiter des Fahrdienstes "verpflichtet und berechtigt seien, während der gesamten Dienstzeit private Kleidung nach Maßgabe dieser Betriebsvereinbarung" zu tragen; alternativ könne der Dienst auf Wunsch des Mitarbeiters in BT-Kleidung abgeleistet werden, die auf Antrag zur Verfügung gestellt wurde. Zudem wurde in einer "Betriebsvereinbarung BV 05/2015 ‚Vor- und Nachbereitungszeiten’ (Neufassung)" für die Bereiche "Omnibus" und "U-Bahn" als "Vor- und Nachbereitungszeiten" die Gewährung bestimmter Zeitwerte festgelegt. Im Übrigen waren u. a. die Grundsätze der Dienstplanerstellung sowie der Mitbestimmung des Betriebsrats bei der konkreten Dienstplanung in der "Betriebsvereinbarung Arbeitszeit und Dienstplangestaltung BV 04/2015" (BV Arbeitszeit) vom 30.4.2015 näher ausgestaltet.

Im März 2016 wandte sich der Betriebsrat wegen eines Konflikts über einen beabsichtigten Dienstplan an die ständige Einigungsstelle, da er der Auffassung war, die Wegezeiten des Fahrpersonals vom und zum Arbeitsort müssten in die Dienstplangestaltung einfließen, weil keine Möglichkeit bestehe, die von der Arbeitgeberin zum Dienstantritt verlangten Betriebsmittel innerbetrieblich zu verwahren.

Die Arbeitgeberin hat dagegen geltend gemacht, die Wegezeiten von und zu den Einsatz-/Ablöseorten seien keine bei der Dienstplangestaltung zu berücksichtigenden Arbeitszeiten, was aus dem TV Pauschalentgelt fo...

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