Bereits § 5 Abs. 1 ArbSchG verpflichtet den Arbeitgeber zur Durchführung von allgemeinen Gefährdungsbeurteilungen für sämtliche Arbeitsplätze. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG sind im Rahmen der allgemeinen Gefährdungsbeurteilungen nach § 5 Abs. 1 ArbSchG die abstrakten Gefahren für schwangere oder stillende Frauen an allen Arbeitsplätzen zu erfassen und zu beurteilen. Die Pflicht zur Beurteilung der Gefahren für schwangere oder stillende Frauen besteht losgelöst davon, ob auf diesen Arbeitsplätzen Frauen beschäftigt werden oder werden sollen.
Solange der Arbeitgeber für den konkreten Arbeitsplatz keine Beurteilung der Gefahren für schwangere oder stillende Frauen durchgeführt hat, darf er auf diesen Arbeitsplätzen eine schwangere oder stillende Frau nicht beschäftigen.
Bei der Gefährdungsbeurteilung hat der Arbeitgeber den Stand der Technik, der Arbeitsmedizin und der Hygiene sowie den sonstigen gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu beachten. Bei gleichartigen Arbeitsbedingungen ist die Beurteilung eines Arbeitsplatzes bzw. einer Tätigkeit ausreichend (§ 10 Abs. 1 Satz 2 MuSchG).
Die Gefährdungsbeurteilung, die der Arbeitgeber nach § 10 Abs. 1 MuSchG vorzunehmen hat, vollzieht sich im Wesentlichen in 2 Schritten.
Im 1. Schritt hat der Arbeitgeber sämtliche Arbeitsplätze – egal ob an ihnen Frauen beschäftigt werden oder nicht – im Rahmen der allgemeinen Gefährdungsbeurteilung nach § 5 Abs. 1 ArbSchG auch nach den besonderen Regelungen des Mutterschutzgesetzes zu beurteilen. Der Arbeitgeber muss die Gefährdungen, denen eine schwangere oder stillende Frau oder ihr Kind am Arbeitsplatz ausgesetzt sein könnte, hinsichtlich ihrer Art, ihres Ausmaßes und ihrer Dauer beurteilen, vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG. Diese Bewertung umfasst alle potenziellen Gefährdungen am spezifischen Arbeitsplatz. Dabei sind auch nur mögliche Gefahren einzubeziehen, z. B. durch Produktionsstörungen oder andere Unregelmäßigkeiten. Das Ergebnis ist nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG zu dokumentieren.
Im 2. Schritt hat der Arbeitgeber nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MuSchG unter Berücksichtigung des Ergebnisses dieser Gefährdungsbeurteilung zu ermitteln, ob für eine schwangere oder stillende Frau auf diesem Arbeitsplatz voraussichtlich
- keine Schutzmaßnahmen erforderlich sein werden,
- eine Umgestaltung der Arbeitsbedingungen nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG erforderlich sein wird oder
- eine Fortführung der Tätigkeit der Frau an diesem Arbeitsplatz nicht möglich sein wird.
Hierfür bedarf es einer umfassenden Kategorisierung der im 1. Schritt festgestellten Gefährdungen.
Der Arbeitgeber hat gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 MuSchG die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass bei der Beschäftigung schwangerer und stillender Frauen
- einfache) Gefährdungen möglichst vermieden werden und
- unverantwortbare Gefährdungen ausgeschlossen werden.
Eine unverantwortbare Gefährdung ist nach § 9 Abs. 2 Satz 2 MuSchG eine Gefährdung, bei der die Eintrittswahrscheinlichkeit angesichts der zu erwartenden Schwere des möglichen Gesundheitsschadens für Mutter oder Kind nicht hinnehmbar ist. Es ist daher abzuwägen zwischen der Eintrittswahrscheinlichkeit und den möglichen Gesundheitsschäden. Wenn für Mutter oder Kind Gesundheitsschäden denkbar sind, sind die Anforderungen an die Eintrittswahrscheinlichkeit ausgesprochen gering.
Eine gesetzliche Vermutung für unverantwortbare Gefährdungen wird für die in §§ 11 und 12 MuSchG aufgelisteten (nicht abschließenden) Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen begründet, insbesondere in Bezug auf Gefahrstoffe, Biostoffe, physikalische und chemische Exposition, eine belastende Arbeitsumgebung, körperliche Belastungen sowie Akkord- und Fließarbeit. Die Vermutung einer unverantwortbaren Gefährdung kann teilweise widerlegt werden (z. B. § 11 Abs. 1 Satz 3 MuSchG).
Hat die Gefährdungsbeurteilung ergeben, dass auf einem Arbeitsplatz eine unverantwortbare Gefährdung für Mutter oder Kind besteht, ist eine Beschäftigung der Frau auf diesem Arbeitsplatz immer verboten. Der Arbeitgeber hat zunächst zu versuchen, diese unverantwortbare Gefährdung durch geeignete Maßnahmen zu beseitigen und ggf. deren Wirksamkeit zu überprüfen. Ist ihm dies nicht möglich oder wegen eines unverhältnismäßigen Aufwands unzumutbar, hat er die Frau auf einem anderen geeigneten Arbeitsplatz einzusetzen.
Von unverantwortbaren Gefährdungen abzugrenzen sind einfache Gefährdungen. Hierbei handelt es sich um Gefährdungen unterhalb der Schwelle der Unverantwortbarkeit. Für diese gilt lediglich das Prinzip der Gefährdungsvermeidung nach § 9 Abs. 2 Satz 1 MuSchG, da die Eintrittswahrscheinlichkeit gering ist und selbst bei ihrem Eintritt weder für die Frau noch für ihr Kind eine signifikante gesundheitliche Beeinträchtigung darstellen.