LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 29.8.2019, 10 Sa 563/19
Leitsatz (amtlich)
Die Diskriminierung eines schwerbehinderten Bewerbers infolge der Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch kann der öffentliche Arbeitgeber nur dadurch abwenden, dass er die öffentliche Nichteignung des Bewerbers darlegt oder Gründe außerhalb der fachlichen Eignung vorbringt.
Sachverhalt
Der 57 Jahre alte Kläger ist mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehindert. Zuvor war er bereits etwa 2 Jahre (von 2010 bis 2012) bei der Beklagten als Fachassistent in der Leistungsabteilung beschäftigt. Im Rahmen von mehreren Stellenausschreibungen hatte er sich im Jahre 2017 bei der Beklagten beworben, wobei er in den verschiedenen Anschreiben zu den Bewerbungen auf seine Schwerbehinderung hingewiesen hatte. Der Kläger wurde jedoch nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen mit dem Hinweis, man habe sich bereits für einen anderen Bewerber entschieden. Der Kläger erhob daher wegen mehrfacher Diskriminierung Klage. Er verlangte eine Entschädigung i. H. v. jeweils 3 Monatsgehältern.
Die Beklagte brachte dagegen vor, dass die 4 Stellen alle sachgrundlos befristet ausgeschrieben und auch andere schwerbehinderte Bewerber eingestellt worden seien. Der Kläger sei vorliegend aufgrund des Vorbeschäftigungsverbots des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht eingestellt worden.
Die Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das LAG Berlin-Brandenburg entschied, dass der Kläger keinen Anspruch auf Entschädigung wegen einer nicht gerechtfertigten Diskriminierung nach § 15 Abs. 2 AGG habe.
Das Gericht führte hierzu aus, dass öffentliche Arbeitgeber wie hier die Beklagte grds. verpflichtet seien, schwerbehinderte Menschen, die sich um eine Stelle beworben haben, zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Die Unterlassung stelle eine geeignete Hilfstatsache nach § 22 AGG dar, die für das Vorliegen einer diskriminierenden Benachteiligung spreche. Die Einladung des schwerbehinderten Bewerbers dürfe nur unterbleiben, wenn dem Bewerber die fachliche Eignung offensichtlich fehle, wofür der öffentliche Arbeitgeber die Beweislast treffe. Der Arbeitgeber könne im besonderen Fall der Behinderung eine Benachteiligung des einzelnen Bewerbers wegen eines unterbliebenen Vorstellungsgesprächs auch nicht dadurch widerlegen, dass in Bewerbungsverfahren die Gruppe der Schwerbehinderten nicht nachteilig behandelt wurde; denn § 165 Satz 3 SGB IX gebe dem einzelnen schwerbehinderten Bewerber einen Individualanspruch auf Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Und die Indizwirkung werde durch die Schlechterstellung des Einzelnen ausgelöst und nicht dadurch aufgehoben, dass ansonsten im Bewerbungsverfahren schwerbehinderte Bewerber als Gruppe nicht nachteilig behandelt wurden (s. hierzu auch BAG, Urteil v. 24.1.2013, 8 AZR 188/12); somit war vorliegend die Behauptung der Beklagten unerheblich, dass die ausgeschriebenen Stellen mit schwerbehinderten Menschen besetzt worden seien. Für den nach § 22 AGG möglichen Nachweis, dass für die Nichteinladung eines Bewerbers entgegen § 165 Satz 3 SGB IX ausschließlich andere Gründe als die Behinderung erheblich waren, können – so das LAG – nur solche Gründe herangezogen werden, die – abgesehen von dem Fall der offensichtlichen Nichteignung – nicht die fachliche Eignung betreffen. Und hier hatte die Beklagte hinreichend deutlich gemacht, dass sie den Kläger wegen des Vorbeschäftigungsverbots des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG und der früheren Tätigkeit des Klägers für die Beklagte nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen hatte.