Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlendes Vorstellungsgespräch als Hilfstatsache für Diskriminierung durch öffentlichen Arbeitgeber
Leitsatz (amtlich)
Die Diskriminierung eines schwerbehinderten Bewerbers infolge der Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch kann der öffentliche Arbeitgeber nur dadurch abwenden, dass er die öffentliche Nichteignung des Bewerbers darlegt oder Gründe außerhalb der fachlichen Eignung vorbringt.
Leitsatz (redaktionell)
Eine Entschädigungsklage setzt die vorherige außergerichtliche Geltendmachung voraus. Die Klage muss innerhalb der Zwei-Monats-Frist auch zugestellt sein.
Normenkette
AGG § 15 Abs. 2; SGB IX § 165; TzBfG § 14 Abs. 2 S. 2; AGG § 15 Abs. 4, § 22
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 16.01.2019; Aktenzeichen 21 Ca 11072/17) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 16. Januar 2019 - 21 Ca 11072/17 wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.
III. Der Gebührenwert für das Berufungsverfahren wird auf 26.280,72 EUR festgesetzt.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine Entschädigung des Klägers aufgrund einer von ihm angenommenen Diskriminierung als schwerbehinderter Mensch im Rahmen von vier Einstellungsverfahren der Beklagten.
Der Kläger ist 57 Jahre alt (geb. ... 1962) und ist mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehindert. Er war bereits vom 4. Januar 2010 bis 3. Januar 2012 bei der Beklagten als Fachassistent in der Leistungsabteilung beschäftigt. Er hat sich bei der Beklagten im Rahmen von 4 Stellenausschreibungen
1. am 30. Januar 2017 (Teamassistenz für die Aktenhaltung)
2. am 25. Februar 2017 (Sekretär der Geschäftsführung)
3. am 10. März 2017 (Fachassistent im Kundenportal)
4. am 17. März 2017 (Teamassistent in der Aktenhaltung)
beworben. In den verschiedenen Anschreiben zu den Bewerbungen hatte der Kläger jeweils auf eine 50 %ige Schwerbehinderung hingewiesen. In den der Bewerbung beigefügten E-Mails vom 30.Januar 2017 und 10. März 2017 sowie dem beigefügten Schreiben vom 17. März 2017 hatte der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er aufgrund der Struktur der Beklagten davon ausgehe, dass es sich nicht um denselben Arbeitgeber im Sinne des § 14 Abs. 2 TzBfG handele. Die Beklagte hat den Kläger nicht zu Vorstellungsgesprächen eingeladen.
Mit E-Mail der Beklagten vom 7. Juli 2017 wurde dem Kläger zur zweiten Bewerbung mitgeteilt, dass "sich die Auswahlkommission für eine/n andere/n Bewerber/in entschieden" habe. Mit drei gleichlautenden E-Mails der Beklagten vom 24. Juli 2017 wurde dem Kläger zu den Bewerbungen 1, 3 und 4 jeweils mitgeteilt, dass man ihm "nach Durchführung des Auswahlverfahrens" mitteilen müsse, dass seine Bewerbung nicht zum Ziel geführt habe.
Der Kläger erhob am 5. September 2017 Klage vor dem Arbeitsgericht wegen vierfacher Diskriminierung und verlangte eine Entschädigung in Höhe von jeweils 3 Monatsgehältern á 2.190,06 EUR, weil die Beklagte gegen ihre Verpflichtungen aus §§ 81 (jetzt 164) und 82 (jetzt 165) SGB IX verstoßen habe. Diese Klage wurde der Beklagten am 14. September 2017 zugestellt.
Der Kläger hat die Stellenanzeigen nicht vorgelegt. Er hat aber ausgeführt, dass er die vorgegebenen formalen, fachlichen und außerfachlichen Anforderungen aus den Stellenausschreibungen erfülle. Dazu hat er auf seinen beruflichen Werdegang verwiesen.
Die Beklagte hat erklärt, dass die vier Stellen alle sachgrundlos ausgeschrieben und andere schwerbehinderte Bewerber eingestellt worden seien. Der Kläger sei aufgrund des Vorbeschäftigungsverbots des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht eingestellt worden.
Der Kläger hat entgegnet, dass in keinem Stellenangebot eine Einschränkung bzw. ein Ausschlussgrund wegen einer Vorbeschäftigung enthalten gewesen sei.
Nachdem das Verfahren zwischenzeitlich längere Zeit geruht hatte, wies das Arbeitsgericht die Klage mit Urteil vom 16. Januar 2019 ab. Der Kläger habe keinen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG in Verbindung mit § 81 Abs. 2 Satz 2 SGB IX (jetzt § 164 Abs. 2 Satz 2 SGB IX). Der pauschale Vortrag des Klägers, er erfülle die formalen, fachlichen und außerfachlichen Anforderungen der ausgeschriebenen Stellen, sei nicht ausreichend. Da der Kläger die Stellenausschreibungen nicht eingereicht habe, könne diese Prüfung nicht vorgenommen werden. Es sei unschädlich, dass die Beklagte dem Kläger die Stellenausschreibungen trotz entsprechender Aufforderung nicht zur Verfügung gestellt habe, weil es der Beklagten nicht obliege, die Klage durch Einreichung der Stellenausschreibungen schlüssig zu machen. Dadurch, dass der Kläger aufgrund der Vorbeschäftigung bei der Besetzung der Stellen nicht berücksichtigt worden sei, sei die Diskriminierung aufgrund der Schwerbehinderung des Klägers widerlegt. Die Behauptung des Klägers, dass in keinem Stellenangebot eine Einschränkung bzw. ein Ausschlussgrund wegen einer Vorbeschäftigung enthalten gewesen sei, sei unbeachtlich, da diese Behauptung ins Blaue hinein aufgestellt ...