Entscheidungsstichwort (Thema)
Öffnungsmöglichkeit für Tür im Verlauf eines Rettungsweges
Leitsatz (redaktionell)
1. Türen im Verlauf von Rettungswegen, die verschlossen sind und bei denen der passende Schlüssel in einem daneben angebrachten Schlüsselkasten aufbewahrt wird, dessen Frontverglasung mit einem Werkzeug eingeschlagen werden kann, entsprechen nicht den Anforderungen des § 10 Abs 7 S 2 ArbStättV.
2. Zu den Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gem § 4 ArbStättV.
Normenkette
GewO §§ 139, 139i, 120f; ArbStättV §§ 4, 10 Abs. 7 S. 2
Verfahrensgang
VG Gelsenkirchen (Aktenzeichen 7 K 21/90) |
Nachgehend
BVerwG (Entscheidung vom 17.06.1992; Aktenzeichen 1 B 55/92) |
Tatbestand
Die Klägerin betreibt einen Papiergroßhandel. An den Außenwänden der Lagerhalle befinden sich 14 Notausgangstüren, die regelmäßig verschlossen sind. Neben den Türen sind verschlossene Schlüsselkästen angebracht, deren Verglasung mit einem daneben aufbewahrten Metallstab eingeschlagen werden kann. Durch auf § 139 i GewO gestützte Ordnungsverfügung ordnete der Beklagte folgendes an: "Im Betriebs- bzw. Lagergebäude dürfen alle Türen im Verlauf von Rettungswegen während der Arbeitszeit nicht verschlossen sein; d.h. sie müssen sich von innen ohne fremde Hilfsmittel jederzeit leicht öffnen lassen, solange sich Arbeitnehmer in der Arbeitsstätte befinden." Das VG hob die Ordnungsverfügung auf die Klage der Klägerin auf. Die Berufung des Beklagten führte zur Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die angefochtene Anordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 120 f und § 139 i GewO. Die Anordnung dient der Durchführung von Pflichten, die sich aus der ArbStättV als einer aufgrund von § 120 e Abs. 1 GewO und § 139 h Abs. 1 GewO ergangenen Rechtsverordnung ergeben und die auch der Klägerin in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeberin von Personen auferlegt sind, die entweder kaufmännische Dienste (§ 139 i GewO) oder andere Hilfsdienste (§ 120 f GewO) verrichten.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.4.1983 - 1 C 167.79 -, GewArch 1983, 339.
Zu den auf dieser Rechtsgrundlage ergangenen Vorschriften gehört § 10 Abs. 7 Satz 2 ArbStättV, der bestimmt, daß sich Türen im Verlauf von Rettungswegen von innen ohne fremde Hilfsmittel jederzeit leicht öffnen lassen müssen, solange sich Arbeitnehmer in der Arbeitsstätte befinden.
Gegen die Wirksamkeit dieser Bestimmung bestehen keine Bedenken. Sie beruht auf einer gesetzlichen Grundlage, die Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung bestimmt (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG). § 120 e Abs. 1 GewO und § 139 h Abs. 1 GewO ermächtigen die Rechtsetzungsorgane, Vorschriften u.a. darüber zu erlassen, welchen Anforderungen die Arbeits- und Lagerräume zum Zweck der Durchführung der in § 120 a Abs. 1 GewO und in § 62 Abs. 1 HGB enthaltenen Grundsätze - Schutz der Arbeitnehmer gegen eine Gefährdung ihrer Gesundheit, soweit die Natur des Betriebes es gestattet - zu genügen haben. Diesem Ziel dient die hier in Rede stehende Bestimmung über die Ausgestaltung der Türen im Verlauf von Rettungswegen.
Die in § 10 Abs. 7 Satz 2 ArbStättV getroffene Regelung verstößt nicht gegen das Übermaßverbot, sonfern darin unabhängig von den konkreten Betriebsverhältnissen Anforderungen an die Ausgestaltung der Türen im Verlauf von Rettungswegen gestellt werden. Die Forderung, daß sich derartige Türen jederzeit leicht von innen ohne fremde Hilfsmittel öffnen lassen müssen, beruht auf der für typische Betriebsverhältnisse zutreffenden Erwägung, daß in Gefahrensituationen eine ohne Schwierigkeiten zu erreichende Fluchtmöglichkeit erforderlich ist. Sofern die hier einschlägigen Anforderungen im Einzelfall zu ungerechtfertigten Ergebnissen führen, ist dem im Rahmen der in § 120 f GewO und § 139 i GewO eingeräumten Ermessensbefugnis bzw. einer gemäß § 4 ArbStättV zu erteilenden Ausnahmebewilligung Rechnung zu tragen.
Die Anwendung des somit rechtswirksamen § 10 Abs. 7 Satz 2 ArbStättV ist nicht durch § 56 ArbStättV ausgeschlossen. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift ist die ArbStättV vorbehaltlich der in Abs. 2 getroffenen Regelungen nicht anzuwenden, wenn beim Inkrafttreten der Verordnung (1.5.1976) eine Arbeitsstätte bereits errichtet ist - dies trifft vorliegend zu - und in der Verordnung Anforderungen gestellt werden, die umfangreiche Änderungen der Arbeitsstätte, der Betriebseinrichtungen, Arbeitsverfahren oder Arbeitsabläufe notwendig machen. Letzteres ist hier nicht der Fall. Der Ersatz der vorhandenen Schlüsselkasten- Lösung durch geeignete Maßnahmen - in Betracht kommen insbesondere sog. Panikschlösser, die sich von der Innenseite mit einem Treibriegel, einem Drücker oder einer Panikstange jederzeit öffnen lassen -
vgl. Heinen / Tentrop / Wienecke / Zerlett, Kommentar zum medizinischen und technischen Arbeitsschutz, Band 1, Stand: Dezember 1985, zu § 10 Abs. 7 ArbStättV, S. 12 c,
ist nicht mit umfangreichen Änderungen der Arbeitsstätte oder der Betriebseinrichtungen verbunden. Die Umrüstung erfordert weder einen Eingriff in die Bausubstanz noch ist ein vol...