Rz. 27
Abs. 1 Satz 3 folgt dem Recht und der Politik der Europäischen Union und zielt damit zugleich auf die Beschäftigungsstruktur. Frauen sollen auf dem Arbeitsmarkt so chancenreich sein wie Männer. Darauf sind die Aktivitäten durchweg auszurichten (Gender-Mainstreaming). Im idealtypischen Zustand können Frauen die Leistungen der Arbeitsförderung ebenso annehmen und umsetzen wie Männer und die nicht durch ihre Lebenslagen benachteiligten Frauen.
Rz. 28
Die Gleichstellung von Männern und Frauen wird nicht nur in Abs. 1 als generelle Zielsetzung aufgeführt. Auch Abs. 2 Nr. 4 greift die berufliche Situation von Frauen auf. Innerhalb des SGB III werden daneben in § 8 nicht geschlechtsspezifische Regelungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf und zur Berufsrückkehr getroffen, von denen nach wie vor in der Hauptsache Frauen und nicht Männer betroffen sind. § 385 regelt die Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt.
Rz. 29
Abs. 2 Nr. 4 folgt dem Postulat in Abs. 1, nach dem im Anschluss an das verfassungsmäßige Gebot aus Art. 3 Abs. 2 GG die Gleichstellung von Mann und Frau speziell auch bei der Umsetzung des Rechts der Arbeitsförderung durchgängig zu verfolgen und damit als eine Querschnittsaufgabe anzusehen ist. Angesichts des Anteils der Frauen an der erwerbsfähigen Bevölkerung in Deutschland kann jegliches Ziel, das mit Vermeidung und Beendigung von Arbeitslosigkeit oder einem Ausgleich am Arbeits- und Ausbildungsstellenmarkt in Verbindung zu bringen ist, nur erreicht werden, wenn es gelingt, Chancengleichheit für Männer und Frauen zu realisieren. Die Vorschrift verfolgt deshalb in erster Linie den Zweck, Nachteilen von Frauen auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt insbesondere nach eingetretener Arbeitslosigkeit zu begegnen. Das muss weit darüber hinausgehen, als nur Maßnahmen und andere arbeitsmarktpolitische Angebote auch für Frauen im Leistungskatalog zu führen.
Rz. 30
Der Vorschrift liegt einerseits die Überlegung zugrunde, dass Frauen faktisch nach wie vor gegenüber Männern beim Zugang zu Erwerbstätigkeit benachteiligt sind. Diese Benachteiligung beruht auf verschiedenen Effekten, die im Kern darauf basieren, dass ein tradiertes Rollenverständnis, das den Mann eher im Beruf und die Frau eher "am Kochtopf" wiedererkennt, nicht beseitigt ist. Daran ändert die deutlich höhere Erwerbsbeteiligung der Frauen nichts, denn diese spiegelt sich hauptsächlich in der Zunahme von Teilzeitarbeit als Lösung zur Vereinbarung von Familie und Beruf wieder und verstärkt im Grunde das tradierte Rollenverständnis. Neue Arbeitsformen wie z. B. Telearbeit haben hieran nichts entscheidend verändert. Von der Arbeitsverwaltung ist vor diesem Hintergrund insbesondere ein präventives Vorgehen gefordert, und nicht nur nachgehend heilende Aktivitäten durch Gegensteuerung gegen benachteiligend wirkende Maßnahmen. Am Regelprozess eines Erwerbslebens der Frau können die Probleme skizziert werden. Schon in berufsfachlich ausgerichteten Schulen sind Mädchen, soweit es sich nicht um eine Vorbereitung auf typische Frauenberufe handelt, deutlich unterrepräsentiert. Frauen sind nur zu einem geringen Anteil in MINT-Berufen beschäftigt. Da kann es nicht verwundern, dass bei der Besetzung von betrieblichen Ausbildungsstellen in sog. Männerberufen Frauen weiterhin die Ausnahme bilden. Das wird sich verstärken, wenn – mit öffentlichem Druck – vermehrt anerkannte Flüchtlinge, die in großer Mehrzahl jung und männlich sind, ausgebildet werden (sollen). Im Berufsleben werden Frauen bei gleicher Qualifikation und gleicher Tätigkeit auch bei gleicher Leistung oft erwiesen schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen (bei typisch weiblichen Berufen ist die Schlechterbezahlung allerdings noch ausgeprägter). Wird Personal freigesetzt, trifft es Ehefrauen, die neben ihren Ehemännern berufstätig sind, vergleichsweise häufiger als Männer, wofür allerdings Gesichtspunkte der Sozialauswahl nach dem KSchG mit ausschlaggebend sein dürften. Den Agenturen für Arbeit wird quasi durch Gesetz unterstellt, dass sie sich um Männer intensiver kümmern als um Frauen, denn ansonsten bedürfte es der frauenspezifischen Regelungen im Recht der Arbeitsförderung und in anderen Gesetzen nicht. In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass bei den Grundsätzen der Arbeitsvermittlung in § 36 Regelungen aufgeführt sind, die eine Vermittlung von Frauen bei bestimmten Sachverhalten einschränken. Schließlich zeigt das Einstellungsverhalten der Arbeitgeber, dass Frauen es wesentlich schwerer haben als Männer, wieder eingestellt zu werden. Dabei kommen z. T. spezifische Hindernisse hinzu, etwa Kinderkrankheiten im Haushalt von Alleinerziehenden oder drohende Schwangerschaft jüngerer Frauen. Durch die Aussetzung der Wehrpflicht (und damit im Ergebnis auch der Wegfall des Zivildienstes) sind dagegen auf der Seite der jungen Männer die Ausfallrisiken für die Arbeitgeber gesunken. Im Übrigen zeigen die Schwierigkeiten, in ausreichendem Umfang Kinderbetreuungsplätze zur Ve...