BAG, Urteil v. 1.12.2020, 9 AZR 192/20
Ein übergangener Bewerber kann Schadensersatz wegen der Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung verlangen, wenn ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes eine zu besetzende Stelle zu Unrecht an einen Konkurrenten vergibt, die bei ordnungsgemäßer Auswahl ihm hätte übertragen werden müssen. Allerdings soll nach der Wertung des § 839 Abs. 3 BGB grundsätzlich nur der Stellenbewerber Schadensersatz erhalten, der sich im Vorfeld der absehbaren Auswahlentscheidung des Arbeitgebers bemüht hat, den eingetretenen Schaden dadurch abzuwenden, dass er seine Rechte aus Art. 33 Abs. 2 GG durch die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes wahrt. Sie gelte nur dann nicht, wenn es der öffentliche Arbeitgeber unterlässt, den Stellenbewerber über die Behandlung seiner Bewerbung und für den Fall, dass er ihn in den Bewerberkreis einbezieht, über den Ausgang des Bewerbungsverfahrens in Kenntnis zu setzen.
Sachverhalt
Der Kläger war ursprünglich befristet bis zum 8.3.2017 als Arbeitsvermittler mit Beratungsaufgaben in der Agentur für Arbeit in F. beschäftigt. Er bewarb sich Anfang des Jahres 2017 auf eine interne Stellenausschreibung der Beklagten. Diese betraf dieselbe Tätigkeit bei der Agentur für Arbeit in L. in unbefristeter Stellung. Allerdings richtete sich die Ausschreibung der Beklagten ausschließlich an unbefristet Beschäftigte und an Beamte. Nachdem seine Bewerbung zurückgewiesen wurde mit der Begründung, er erfülle nicht die formalen Voraussetzungen der Stellenausschreibung, bewarb sich der Kläger auf eine 2. Stellenausschreibung der Beklagten als "Sachbearbeiter/-in Leistungsgewährung im Bereich SGB II". Jedoch war auch diese ausschließlich an unbefristete Beschäftigte bzw. Beamte gerichtet. Auch diese Bewerbung hatte keinen Erfolg, ebenso wie weitere Bewerbungen auf andere Stellen, die die Beklagte ausgeschrieben hatte. Schließlich wurde er arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld. Am 1.5.2017 besetzte die Beklagte die ausgeschriebenen Stellen mit 2 Mitbewerberinnen des Klägers. Nachdem der Kläger erfolglos außergerichtlich Schadensersatz wegen der Verletzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs aus Art. 33 Abs. 2 GG gefordert hatte, erhob er Klage.
Die Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Das BAG führte zunächst aus, dass nach Art. 33 Abs. 2 GG jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt habe; hierbei seien öffentliche Ämter i. d. S. nicht nur Beamtenstellen, sondern auch solche, die ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes mit Arbeitnehmern zu besetzen beabsichtige. Der Grundsatz der Bestenauslese diene dabei neben dem öffentlichen Interesse auch dem berechtigten Interesse von Bewerberinnen und Bewerbern an einem angemessenen beruflichen Fortkommen. Aus ihm folge ein subjektives Recht jeder Bewerberin und jedes Bewerbers auf chancengleiche Teilnahme am Bewerbungsverfahren, sodass bei einem Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers hiergegen und bei unberechtigter Besetzung der Stelle mit einem Konkurrenten, der übergangene Bewerber einen Schadensersatz wegen der Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung verlangen könne.
Berücksichtige ein öffentlicher Arbeitgeber eine Bewerbung nicht, obwohl er verpflichtet wäre, den Bewerber in den Bewerberkreis mit einzubeziehen, verletze er dessen grundrechtsgleichen Bewerbungsverfahrensanspruch. Dies gelte insbesondere in den Fällen, in denen er einen befristet beschäftigten Bewerber unter Verstoß gegen das Verbot in § 4 Abs. 2 Satz 1 TzBfG deswegen benachteiligt, weil er ihn aus dem Kreis der Stellenbewerber ausschließt.
Allerdings entschied das BAG, dass vorliegend, auch wenn an sich ein Schadensersatzanspruch des Klägers in Betracht komme, dieser nach dem Rechtsgedanken des § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen sei. Die Vorschrift stelle eine besondere Ausprägung des Mitverschuldensprinzips und sei zugleich Ausdruck des Grundsatzes, dass der Primärrechtsschutz Vorrang vor dem Sekundärrechtsschutz habe. Und bei rechtswidrigem Handeln des Staates solle der Primärrechtsschutz im Vordergrund stehen. Der Betroffene solle nicht die Wahlmöglichkeit haben, entweder das rechtswidrige Verhalten des öffentlichen Arbeitgebers mit ordentlichen Rechtsschutzmitteln anzugreifen oder aber es hinzunehmen und zu liquidieren, d. h., untätig zu bleiben und sich den Schaden finanziell abgelten zu lassen; denn dieser für rechtmäßige hoheitliche Eingriffe geltende Grundsatz "Dulde und liquidiere" gelte nicht im Bereich der Haftung für rechtswidrige Eingriffe. Vielmehr solle nach der Wertung des § 839 Abs. 3 BGB nur derjenige Schadensersatz erhalten, der sich in gehörigem und ihm zumutbarem Maß für seine eigenen Belange eingesetzt und damit den Schaden abzuwenden versucht habe. Deshalb könne wie hier der zu Unrecht nicht einbezogene und nicht ausgewählte Bewerber nur dann Schadensersatz für die Verletzung seines Rechts aus Art. 33 Abs. 2 GG beanspruchen, wenn er sich um eine Schadensvermeidung bemüht habe, bs...