LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.9.2023, L 8 U 1620/22
Eine sog. Verrichtung mit gemischter Motivationslage stellt nur dann einen versicherten Wegeunfall dar, wenn das konkrete Geschehen hypothetisch auch ohne die private Motivation des Handelns vorgenommen worden wäre. Der Sturz bei einer Radtour mit einem Bekannten, der als Arbeitnehmer angeworben werden soll, erfüllt jedoch nicht diese Voraussetzungen.
Sachverhalt
Der Kläger ist selbstständiger Versicherungsmakler. Er hatte sich im Sommer 2020 mit einem langjährigen Bekannten zu einer mehrstündigen Fahrradtourt verabredet. Hierbei grillten die beiden und besuchten auch die Eltern des Klägers. Danach fuhren beide getrennt nach Hause. Auf dem Heimweg stürzte der Kläger auf einem Feldweg, rutschte einen Weinberg hinab, überschlug sich und brach sich den rechten Unterschenkel.
Der Kläger teilte gegenüber der Beklagten, seiner gesetzlichen Unfallversicherung, mit, er habe seinen Bekannten als zukünftigen Mitarbeiter bzw. Geschäftspartner für den Vertrieb und die Kundenbetreuung gewinnen wollen. Man habe sich zur Radtour verabredet, da beide gern Sport trieben und das Wetter schön gewesen sei. Nebenbei wollte man das Geschäftliche besprechen. Auch der Besuch bei seinen Eltern habe der Demonstration eines Kundengesprächs gedient und sei somit eine vorbereitende Tätigkeit für ein Arbeitsverhältnis gewesen, das aber nach dem Unfall nicht zustande gekommen sei.
Die Beklagte lehnte dagegen die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab; denn die unfallverursachende Tätigkeit habe keinen ausreichenden Zusammenhang zu betrieblichen Interessen bzw. zur Tätigkeit als Unternehmer aufgewiesen.
Die Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Der Unfall des Klägers im Rahmen seiner Radtour im Sommer 2020 stellt nach Auffassung des Gerichts keinen Arbeitsunfall gem. § 8 SGB VII dar.
Das LSG führte aus, dass die gesetzliche Unfallversicherung zwar auch Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit als sog. Wegeunfälle erfasse. Der Unfall müsse jedoch im Einzelfall tatsächlich der versicherten Arbeit zugerechnet werden können. Hierbei komme es oft darauf an, ob die Motivation für eine bestimmte Handlung – wie das Zurücklegen eines Weges – dem betrieblichen oder dem privaten Bereich zuzuordnen sei.
Im vorliegenden Fall stelle die Radtour eine sog. "Verrichtung mit gemischter Motivationslage" dar, da sie sowohl gemeinsamen privaten Interessen (Radtouren fahren) als auch – allerdings insoweit untergeordnet bzw. nachrangig – betrieblichen Interessen dienen sollte (gegenseitiges Kennenlernen, Beobachten des Verhaltens bei Kundengesprächen). Eine solche Verrichtung mit gemischter Motivationslage erfülle jedoch nur dann den Tatbestand der versicherten Tätigkeit, wenn das konkrete Geschehen hypothetisch auch ohne die private Motivation des Handelns vorgenommen worden wäre.
Und dies sei hier verneinen, da ohne das gemeinsame private Interesse am Radfahren der Kläger und sein langjähriger Bekannter ihr Kennenlernen nicht im Rahmen einer Fahrradtour durchgeführt hätten und es somit auch nicht zu dem Unfall des Klägers auf dem Heimweg von dieser Radtour gekommen wäre.