Für die betriebliche Praxis bedeutsam dürfte die eindeutige Position des BVerfG zu den fehlenden Auswirkungen des Tarifeinheitsgesetzes auf Arbeitskampfmaßnahmen werden.
Das BVerfG entschied (Rn. 138-141), dass das in Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Recht, mit den Mitteln des Arbeitskampfes auf den jeweiligen Gegenspieler Druck und Gegendruck ausüben zu können, um zu einem Tarifabschluss zu gelangen, durch das Tarifeinheitsgesetz nicht beeinträchtigt werde. Insbesondere werde weder das Streikrecht eingeschränkt noch das mit dem Streik verbundene Haftungsrisiko erhöht.
Zwar mag der Schutz von Unternehmen und Öffentlichkeit vor zunehmendem Streikgeschehen ein Motiv des Gesetzgebers gewesen sein. In der Begründung zum Gesetzentwurf wird auf den Arbeitskampf Bezug genommen (BT-Drucks. 18/4062, S. 12). Dort heißt es: Ein Arbeitskampf dürfte unverhältnismäßig und damit unzulässig sein, wenn der begehrte Tarifvertrag wegen des Grundsatzes der Tarifeinheit offensichtlich nicht zur Anwendung kommen kann, weil die Gewerkschaft keine Mehrheit der organisierten Arbeitnehmer im Betrieb haben würde.
Nach Auffassung des BVerfG wirkt sich die Kollisionsregel des § 4a TVG jedoch nicht auf die Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen aus. Der Gesetzgeber habe sich bewusst gegen Vorschläge entschieden, Vorgaben für den Arbeitskampf zur Vermeidung untragbarer Auswirkungen auf Dritte zu regeln (Rn. 139).
Auch das Streikrecht einer Gewerkschaft, die in allen Betrieben nur die kleinere Zahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern organisieren kann, bleibe unangetastet. Das gelte selbst dann, wenn die Mehrheitsverhältnisse bereits bekannt sind. Dies ergebe sich schon daraus, dass die Kollisionsregel des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG den Abschluss eines weiteren Tarifvertrags voraussetze. Dieser müsse also erkämpft werden können.
Jedenfalls sei ein Arbeitskampf, der sich auf einen Tarifvertrag richtet, der sich mit einem anderen Tarifvertrag überschneiden wird, nicht schon deshalb rechtswidrig und insbesondere nicht unverhältnismäßig.
Auch dürfe die vom Gesetzgeber bewusst erzeugte Unsicherheit über das Risiko einer Verdrängung im Vorfeld eines Tarifabschlusses weder bei klaren noch bei unsicheren Mehrheitsverhältnissen für sich genommen ein Haftungsrisiko einer Gewerkschaft für Arbeitskampfmaßnahmen begründen. Dies haben die Arbeitsgerichte ggf. in verfassungskonformer Anwendung der Haftungsregelungen sicherzustellen.
Arbeitskampfmaßnahmen der Minderheitsgewerkschaft weiterhin zulässig
Arbeitskampfmaßnahmen der Minderheitsgewerkschaft werden weiterhin zulässig sein. Dies gilt selbst dann, wenn bekannt ist, dass die Gewerkschaft nicht die Mehrheit der Arbeitnehmer im Betrieb vertritt. Die Belastung der Betriebe und Dritter durch Arbeitskampfmaßnahmen konkurrierender Gewerkschaften bleibt somit beibehalten.