BAG, Urteil vom 5.10.2023, 6 AZR 333/22
Leitsatz (amtlich)
Tarifliche Entgeltregelungen sind stets ein Kompromiss zwischen den kollidierenden Vorstellungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern über die Wertigkeit einer bestimmten Tätigkeit. Das Aushandeln von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist jedoch gerade Aufgabe der insoweit sachnahen Tarifvertragsparteien und von Art. 9 Abs. 3 GG geschützt. Der Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG ist gegenüber tariflichen Entgeltregelungen daher erst eröffnet, wenn sie den existentiellen Kern der Berufsfreiheit betreffen.
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Stufenzuordnung der Klägerin, die seit 1981 beim beklagten Land als Lehrkraft beschäftigt ist.
Bis Mai 2019 war die Klägerin in der Entgeltgruppe 14 TV-L eingruppiert und darin zuletzt der Stufe 5 zugeordnet. Im Herbst 2017 bewarb sie sich auf die Funktionsstelle einer Studiendirektorin zur Koordinierung schulfachlicher Aufgaben, welche ihr zunächst für ein Jahr kommissarisch, ab Ende Mai 2019 endgültig übertragen worden war. In der Folge wurde sie in die Entgeltgruppe 15 TV-L höhergruppiert und der Stufe 4 zugeordnet.
Im Dezember 2019 beantragte die Klägerin die Entbindung von den Aufgaben der Studiendirektorin. Dem entsprach das beklagte Land. Daraufhin wurde sie in die Entgeltgruppe 14 TV-L unter stufengleicher Zuordnung zur Stufe 4 herabgruppiert und entsprechend vergütet.
Sie hat nun mit ihrer Klage Vergütung nach Stufe 5 der Entgeltgruppe 14 TV-L verlangt.
Sie begründete dies damit, dass sie ihre ursprüngliche Unterrichtstätigkeit auch nach Übertragung der Funktionsstelle durchgehend ausgeübt und lediglich zusätzliche Tätigkeiten organisatorischer Art übernommen habe; deshalb sei die vor ihrer Höhergruppierung erworbene Berufserfahrung nicht verloren gegangen. In dieser Konstellation sei sie nach der Herabgruppierung wieder der Stufe zuzuordnen, die sie bereits vor der Höhergruppierung erreicht habe. § 17 Abs. 4 Satz 5 TV-L sei nicht anzuwenden, da dies zu einem nicht gerechtfertigten Verlust einer bereits erworbenen Erfahrungsstufe führe. Diese Auswirkungen hätten die Tarifvertragsparteien unerkannt nicht berücksichtigt.
Die Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das BAG entschied, dass § 17 Abs. 4 Satz 5 TV-L der Klägerin nach allen denkbaren Auslegungsmaßstäben keinen Anspruch auf Zuordnung zur Stufe 5 der Entgeltgruppe 14 TV-L gewährt. Die Vorschrift finde nach Auffassung des Gerichts in allen Fällen Anwendung, in denen die tariflichen Voraussetzungen für die Eingruppierung in eine niedrigere Entgeltgruppe erfüllt seien. Dies gelte auch dann, wenn der Herabgruppierung eine Höhergruppierung voranging.
Zunächst ergebe sich dies aus dem eindeutigen Wortlaut der Tarifbestimmung.
Auch aus der Systematik und dem aus ihr abgeleiteten Regelungszweck der Norm lasse sich nach Auffassung des Gerichts kein anderes Ergebnis herleiten.
Es führte hierzu aus, dass sowohl Höher- als auch Herabgruppierungen grundsätzlich vergütungsrechtliche Zäsuren darstellten, welche eine erneute Stufenzuordnung erforderten. Die Berufserfahrung, die der Beschäftigte in seiner bisherigen Entgeltgruppe erworben hatte, spiele nach der Konzeption des Tarifvertrags für die Stufenzuordnung in der neuen Entgeltgruppe keine Rolle mehr; sie werde quasi "auf null" gesetzt. Dies gelte entgegen der Auffassung der Klägerin unabhängig vom konkreten Inhalt der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit in der jeweiligen Entgeltgruppe.
Dagegen spreche auch nicht, dass § 17 Abs. 4 TV-L eine betragsbezogene Höher- und eine stufengleiche Herabgruppierung vorsehe; denn die Vorschrift habe allein eine besitzstandsregelnde Funktion. Es obliege den Tarifvertragsparteien darüber zu entscheiden, ob Einkommensverluste, die sich nach dem Regelungssystem des TV-L in Verbindung mit den Entgelttabellen durch die Stufenzuordnung nach einer Änderung der Eingruppierung häufig ergaben, überhaupt und ggf. in welchem Umfang kompensiert werden sollen.
Ein anderes Ergebnis sei auch nicht aus § 17 Abs. 3 Satz 1 Buchst. a bis e TV-L herzuleiten; denn diese Norm regele die Frage, welche Unterbrechungszeiten den Zeiten einer ununterbrochenen Tätigkeit i. S. d. § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L gleichstehen und welche Auswirkungen andere Unterbrechungen haben und beziehe sich somit nur auf § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L und damit allein auf die Stufenlaufzeit innerhalb derselben Entgeltgruppe.
Auch aus § 17 Abs. 3 Satz 1 Buchst. f TV-L, wonach Zeiten der vorübergehenden Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit den Zeiten einer ununterbrochenen Tätigkeit i. S. v. § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L gleichgestellt sind, ergab sich nach Auffassung des BAG kein Anspruch der Klägerin; denn auch diese Regelung beziehe sich nach seinem eindeutigen Wortlaut nur auf die Gleichstellung bestimmter Zeiten bezüglich der Stufenlaufzeit nach § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L innerhalb derselben Entgeltgruppe und ergänze diese Vorschrift. Entscheidend sei die vorübergehende Unterbrechung des Erwerbs von Berufserfahrung in einer bestimmten Entgelt...