Wird ein Arbeitnehmer, der Arbeit auf Abruf leistet, arbeitsunfähig krank, so stellt sich regelmäßig die Frage, ob der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat. Nach § 3 EFZG ist einem Arbeitnehmer im Krankheitsfall und an Feiertagen das ihm zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen. Zur Berechnung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts ist nach § 4 Abs. 1 EFZG die für den Arbeitnehmer an dem Tag des Arbeitsausfalls maßgebende regelmäßige Arbeitszeit zugrunde zu legen.
Für Arbeit auf Abruf ist nunmehr neu festgelegt, dass zur Bestimmung der regelmäßigen Arbeitszeit eine vergangenheitsbezogene Betrachtung über einen Referenzzeitraum vorzunehmen ist. Grundlage für die Berechnung des Entgeltfortzahlungsanspruchs im Krankheitsfall und an Feiertagen ist nach dem neuen § 12 Abs. 4 TzBfG grundsätzlich die durchschnittliche Arbeitszeit der letzten 3 Monate vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit. Hat das Arbeitsverhältnis bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit keine 3 Monate bestanden, ist die durchschnittliche Arbeitszeit dieses kürzeren Zeitraums maßgebend. Zeiten von Kurzarbeit, unverschuldeter Arbeitsversäumnis, Arbeitsausfällen und Urlaub im Referenzzeitraum bleiben außer Betracht.
Diese Regelung wirft einige Fragen auf.
Nach bisherigem Verständnis hatte der Arbeitnehmer, der nach einem Abruf der Arbeit an dem Tag der Arbeitsleistung erkrankt ist, einen Anspruch auf die Zahlung der ohne Krankheit erzielten Vergütung.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben Arbeit auf Abruf mit einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden, flexibilisiert auf einen Monat, vereinbart. Der Arbeitgeber bestimmt, dass der Arbeitnehmer in der kommenden Woche am Dienstag und Donnerstag jeweils 8 Stunden arbeiten muss. Der Arbeitnehmer ist die ganze kommende Woche arbeitsunfähig.
Nach bisherigem Verständnis erhält er für die Tage Dienstag und Donnerstag Entgeltfortzahlung für jeweils 8 Stunden, für die anderen Tage nichts, weil er an diesen Tagen nicht gearbeitet hätte.
Aufgrund der neuen gesetzlichen Regelung stellt sich die Frage, ob es seit 1.1.2019 nicht mehr darauf ankommt, ob der Arbeitnehmer überhaupt gearbeitet hätte und der Arbeitnehmer für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit Entgeltfortzahlung für die durchschnittliche Arbeitszeit der letzten 3 Monate verlangen kann.
Würde man die gesetzliche Neuregelung wie vorstehend aufgezeigt strikt nach dem Referenzprinzip der letzten 3 Monate anwenden, ohne die tatsächlich abgerufene Arbeitszeit zu berücksichtigen, so würde sich im obigen Beispiel folgende Entgeltfortzahlung ergeben:
- Ist der Arbeitnehmer die ganze Woche erkrankt, erhält er Entgeltfortzahlung für 20 Stunden.
- Ist er nur am Montag krank, erhält er – obwohl er nicht gearbeitet hätte – Entgeltfortzahlung für 4 Stunden.
- Ist er nur am Dienstag krank, erhält er auch – obwohl er 8 Stunden gearbeitet hätte – nur für 4 Stunden Entgeltfortzahlung.
Gegen eine solche Anwendung der Neureglung spricht, dass in § 12 Abs. 4 TzBfG n. F. ausdrücklich (nur) auf die Berechnung der Höhe der Entgeltfortzahlung in § 4 EFZG Bezug genommen wird. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Krankheit als solcher ergibt sich jedoch aus § 3 EFZG. Nach § 3 EFZG ist als Vorfrage zu entscheiden, ob der Arbeitnehmer überhaupt gearbeitet hätte, denn nur in diesem Fall fällt die Arbeit wegen Krankheit aus.
Sachgerecht erscheint es daher, danach zu unterscheiden, ob der Arbeitgeber die Arbeitsleistung schon abgerufen hat oder ob ein Abruf für den konkreten Krankheitszeitraum fehlt. Für diese Auslegung spricht auch, dass in § 12 Abs. 4 TzBfG ausdrücklich geregelt ist, dass für den Arbeitnehmer günstigere Regelungen zur Berechnung der Entgeltfortzahlung weiter anzuwenden sind. In jedem Fall sind die tatsächlich ausfallenden Stunden bei der Entgeltfortzahlung zu berücksichtigen, wenn der Arbeitgeber mehr die in den letzten 3 Monaten durchschnittlich geleisteten Wochenstunden bereits abgerufen hat. Ob das geschilderte Entgeltausfallprinzip auch dann gilt, wenn der Arbeitgeber weniger als die durchschnittlich geleisteten Stunden abgerufen hat, muss offen bleiben.
Ist der Arbeitnehmer jedoch für einen Zeitraum erkrankt, für den der Arbeitgeber die Arbeitsleistung noch nicht abgerufen hat, allerdings noch abrufen kann, erhält der Arbeitnehmer als Entgeltfortzahlung die durchschnittliche Vergütung nach dem in § 12 Abs. 4 TzBfG festgelegten Referenzzeitraum.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben Arbeit auf Abruf mit einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden, flexibilisiert auf einen Monat, vereinbart. Der Arbeitgeber bestimmt, dass der Arbeitnehmer in der kommenden Woche am Dienstag und Donnerstag jeweils 8 Stunden arbeiten muss. Der Arbeitnehmer ist für die Dauer von 2 Wochen arbeitsunfähig.
Lösungsmöglichkeiten
Alternative 1:
Für die 1. Woche erhält der Arbeitnehmer Entgeltfortzahlung für 16 Stunden, weil insoweit die Arbeitszeit schon abgerufen ist. Für die 2. Woche erhält der Arbeitnehmer nach dem Durchschnittsprinzip 20 Stunden Entgeltfortzahlung, weil die Arbeitszeit ...