Rz. 179
Bei der Frage, welche Äußerungen ein Arbeitnehmer zu unterlassen hat, ist wegen der mittelbaren Drittwirkung, die die Grundrechte auch im Verhältnis zwischen Privaten entfalten können, die besondere Bedeutung des Art. 5 Abs. 1 GG zu beachten. Geschützt wird durch Art. 5 Abs. 1 GG jedoch nur die Meinungsäußerung als Äußerung eines Werturteils als wertende Betrachtung von Tatsachen, Verhaltensweisen und Verhältnissen. Bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen gehören nicht zum Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Ebenso wenig geschützt sind Formalbeleidigungen und bloße Schmähkritik, weshalb ein Arbeitnehmer die Geschäftsführer seines Arbeitgebers nicht als "soziale Arschlöcher" bezeichnen darf.
Rz. 180
Zu den allgemeinen Gesetzen, die der Meinungsfreiheit eine Grenze ziehen und sie einschränken können, gehören auch die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis; sie müssen als "allgemeines Gesetz" nach der sog. Wechselwirkungslehre im Lichte der Bedeutung des Grundrechts gesehen und so interpretiert werden, dass der besondere Wertgehalt des Rechts auf freie Meinungsäußerung gewahrt bleibt. Dieses Grundrecht findet im Bereich des Arbeitsrechts seine Schranken in den Grundregeln über das Arbeitsverhältnis. Aus diesen Grundregeln leitet das BAG das allgemeine Pflichtengebot ab, sich so zu verhalten, dass der Betriebsfrieden nicht ernstlich und schwer gefährdet wird, und dass die Zusammenarbeit im Betrieb mit den übrigen Arbeitnehmern, aber auch mit dem Arbeitgeber zumutbar bleibt. Der Arbeitnehmer darf bei Ausübung des Grundrechts nicht den Interessen des Arbeitgebers zuwiderhandeln oder diese beeinträchtigen. In diesem Fall hat der Arbeitgeber im Rahmen der ihm zustehenden Meinungsfreiheit zunächst selbst darüber zu entscheiden, ob er ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers abmahnen will oder nicht, muss allerdings den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. In einer Abwägung ist dem unternehmerischen Arbeitgeberinteresse das Meinungsäußerungsinteresse des Arbeitnehmers gegenüberzustellen.
Rz. 181
Das BAG leitet aus den "Grundregeln über das Arbeitsverhältnis", in denen das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG seine Schranken findet, ebenfalls ab, dass der Arbeitnehmer öffentlich keine bewusst wahrheitswidrigen Behauptungen über den Arbeitgeber aufstellen und durch seine Aktionen nicht den Betriebsfrieden, den Betriebsablauf oder die Erfüllung der Arbeitspflicht stören darf. Die Verletzung dieses Gebots kann den Arbeitgeber zur außerordentlichen Kündigung berechtigen. Die Pflicht zur Verschwiegenheit kann insofern unwirksam sein, als sie durch den übergeordneten Gesichtspunkt des Grundrechts auf Freiheit der Meinungsäußerung gerechtfertigt ist. Eine Verpflichtung des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber vom Fehlverhalten seiner Kollegen zu berichten, wird hingegen regelmäßig nur bestehen, wenn ihm die Überwachung des anderen Dienstverpflichteten übertragen worden ist oder ihn wenigstens eine sogenannte aktualisierte Überwachungs- und Kontrollpflicht trifft.
Rz. 182
Handelt es sich um eine Meinungsäußerung oder sonstige Betätigung, die eine gewerkschaftliche Betätigung darstellt, so ist auch die Bedeutung des Art. 9 Abs. 3 GG zu beachten, die gegenüber Art. 5 Abs. 1 GG als die speziellere Vorschrift herangezogen werden soll Erlaubt ist ihnen, auch die Mitgliederwerbung im Betrieb während der Arbeitszeit. Dies gilt vor allem, weil die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschätzte Betätigungsfreiheit alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen erfasst. Dem Betätigungsrecht der Koalitionen dürfen nur solche Schranken gezogen werden, die im konkreten Fall zum Schutz anderer Rechtsgüter – namentlich des Betriebsfriedens oder ungestörten Arbeitsgangs – von der Sache her geboten sind.
Rz. 183
Das Grundrecht der freien Meinungsäußerung umfasst auch das Recht zu aktiver politischer Betätigung im Rahmen der demokratischen Grundordnung. Insbesondere für Angestellte des öffentlichen Dienstes ist dieses Recht eingeschränkt durch die im Arbeitsverhältnis begründete Pflicht, bei politischen Äußerungen maßvoll und zurückhaltend zu sein.