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Weitere Konkretisierungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes stellen die Regelungen des § 167 Abs. 1 SGB IX (Präventionsverfahren) und des § 167 Abs. 2 SGB IX dar (betriebliches Eingliederungsmanagement). Durch das "betriebliche Eingliederungsmanagement" (bEM)[1] sollen mildere Mittel zur Kündigung identifiziert werden.[2]

Das Erfordernis eines bEM besteht für alle Arbeitnehmer, nicht nur für Menschen mit Behinderung.[3]

Das bEM ist nicht nur im Vorfeld von personenbedingten Kündigungen durchzuführen[4], sondern immer dann, wenn gesundheitliche Beeinträchtigungen eines Arbeitnehmers die Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb beeinflussen (können), also auch bei einer betriebsbedingten Kündigung[5].

Nach Information und Zustimmung des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber eine Klärung mit der zuständigen Interessenvertretung (und ggf. der Schwerbehindertenvertretung) von sich aus herbeizuführen. Die Initiativlast liegt also beim Arbeitgeber.[6]

Der Arbeitgeber hat erneut ein bEM durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines bEM erneut länger als 6 Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt war, und zwar auch dann, wenn nach dem zuvor durchgeführten bEM noch nicht wieder ein Jahr vergangen ist.[7] § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX begründet allerdings keinen Individualanspruch der betroffenen Arbeitnehmer auf Einleitung und Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements.[8]

Das bEM ist nicht erforderlich bzw. abgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer nicht zur (weiteren) Durchführung bereit ist bzw. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich einig sind.[9] Das setzt aber voraus, dass der Arbeitnehmer die notwendigen Kenntnisse über das bEM-Verfahren besaß, um beurteilen zu können, ob es durchgeführt, beendet oder fortgesetzt werden soll.[10]

Dem Arbeitgeber, der ein bEM vor der Kündigung unterlassen hat, ist die Darlegung gestattet, dass ein solches Verfahren z. B. aus gesundheitlichen Gründen nicht zu einer Beschäftigungsmöglichkeit geführt hätte. Er muss umfassend und konkret vortragen, dass der Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr möglich ist und warum eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung ausgeschlossen ist oder der Arbeitnehmer nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit eingesetzt werden kann.[11]

Es ist streitig, ob die Zustimmung des Integrationsamts die Vermutung rechtfertigt, dass ein bEM nicht erforderlich war.[12] Dafür könnte sprechen, dass das Integrationsamt prüfen muss, ob alle Möglichkeiten zur Vermeidung der Kündigung ausgeschöpft sind. Ist ein bEM nicht durchgeführt worden aber sinnvoll, kann das Integrationsamt das Verfahren aussetzen und den Arbeitgeber zur Nachholung auffordern. Gegen die Vermutungswirkung könnte sprechen, dass Menschen mit einer Schwerbehinderung benachteiligt wären, weil bei Arbeitnehmern ohne Schwerbehinderung das Integrationsamt nicht beteiligt ist und deshalb eine Vermutungswirkung nicht greifen kann.[13]

Hat der Arbeitgeber zwar ein bEM durchgeführt, sind ihm aber Fehler unterlaufen, kommt es darauf an, ob der Fehler Einfluss auf die Möglichkeit hatte oder hätte haben können, Maßnahmen zu identifizieren, die zu einer relevanten Reduktion der Arbeitsunfähigkeitszeiten hätten führen können. Das kann der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer gerade aufgrund des Verfahrensfehlers einer (weiteren) Durchführung des bEM nicht zugestimmt hat.[14]

Die Durchführung eines bEM ist keine Voraussetzung für die Ausübung des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber (z. B. eine Versetzung), selbst wenn die Maßnahme auf Gründe gestützt wird, die im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers stehen.[15]

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