Cesare Vannucchi, Dr. Marcel Holthusen
Rz. 841
Im Rahmen der Sozialauswahl sind ferner die Unterhaltspflichten der einzubeziehenden Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Je stärker ein Arbeitnehmer durch Unterhaltspflichten finanziell belastet wird, desto höher ist sein Schutzniveau. So ist ein Interessenausgleich, im Rahmen dessen bei der Gewichtung der Sozialfaktoren die Unterhaltspflichten gegenüber dem Ehegatten außer Betracht gelassen werden, wegen Verstoßes gegen § 75 Abs. 1 BetrVG zumindest teilweise unwirksam. Maßgeblich sind die Unterhaltspflichten im Zeitpunkt der Kündigungserklärung. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sind unter den Unterhaltspflichten i. S. d. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG nur gesetzliche Unterhaltspflichten im Familienverband zu verstehen. Zukünftige und konkret abzusehende Unterhaltspflichten sind insofern unbeachtlich.
Der Gesetzgeber hat mit der Einbeziehung der Unterhaltspflichten in die Sozialauswahl an seine verfassungsrechtliche Schutzpflicht aus Art. 6 GG angeknüpft, entsprechend hoch ist deren Stellenwert im Rahmen der Sozialauswahl. Sowohl die Zahl der Unterhaltsberechtigten, als auch die Höhe der Unterhaltszahlungen sind zu berücksichtigen. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG stellt an sich nicht auf die in die elektronische Lohnsteuerbescheinigung eingetragenen Kinderfreibeträge ab, sodass es im Prinzip auf die tatsächlichen, nicht aber auf die in die elektronische Lohnsteuerbescheinigung eingetragenen Daten ankommt. Den Bedürfnissen der Praxis ist ausreichend dadurch Rechnung getragen, dass der Arbeitgeber auf die ihm bekannten Daten vertrauen kann, wenn er keinen Anlass zu der Annahme hat, sie könnten nicht zutreffen. Dabei kann die Lohnsteuerbescheinigung einen wichtigen Anhaltspunkt bieten. Jedenfalls, wenn der Arbeitgeber Anlass hatte, an der Richtigkeit der Angaben auf der Lohnsteuerkarte zu zweifeln, sind jedoch die tatsächlichen Gegebenheiten zugrunde zu legen, sodass die Sozialauswahl dann fehlerhaft sein kann. Für die Betriebsratsanhörung darf der Arbeitgeber jedenfalls von der Richtigkeit der Angaben in der Lohnsteuerbescheinigung ausgehen, solange ihm nichts anderes bekannt ist.
Rz. 842
Mit dem am 1.8.2001 in Kraft getretenen LPartG ist das familienrechtliche Institut der eingetragenen Lebenspartnerschaft begründet und ein neuer Familienstand für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt worden. Ziel des Gesetzgebers war es, der Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare einen rechtlichen Rahmen zu geben, und es den Lebenspartnern zu ermöglichen, verbindlich füreinander einzustehen und wechselseitige Verantwortung zu übernehmen. Das Rechtsinstitut der eingetragenen Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare ist jedoch keine Ehe i. S. d. Art. 6 Abs. 1 GG. Wie die Ehe (§ 1353 Abs. 1 Satz 1 BGB) wurde die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft aber auf Lebenszeit eingegangen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 LPartG), die familienrechtlichen Pflichten und Rechte der Lebenspartner sind denen von Ehegatten vergleichbar. Sie tragen wie Ehegatten (§ 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB) nach § 2 Satz 2 LPartG füreinander Verantwortung. Vor allem aber sind die Lebenspartner nach § 5 Satz 1 LPartG einander zu angemessenem Unterhalt verpflichtet. Die §§ 12 und 16 LPartG regeln die Unterhaltsverpflichtungen bei Getrenntleben und für den Fall der Aufhebung der Lebenspartnerschaft, ebenfalls unter Verweis auf familienrechtliche Normen des BGB. Aufgrund der – insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht – weit gehenden Gleichstellung von Ehe und gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaft sind auch die aus dieser Form des Familienstands erwachsenden Unterhaltsverpflichtungen im Rahmen der Sozialauswahl zu berücksichtigen. Eine Nichtberücksichtigung könnte einen Verstoß gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz bedeuten.
Rz. 843
Ob bei der Bestimmung der Höhe der zu berücksichtigenden Unterhaltszahlungen des Arbeitnehmers die Einkünfte der Unterhaltsberechtigten (Ehepartner oder Kinder) zu berücksichtigen sind (sog. Doppelverdienst), ist in der rechtswissenschaftlichen Literatur nach wie vor umstritten. Das BAG hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 1985 (BAG, Urteil v. 8.8.1985, 2 AZR 464/84) darauf abgestellt, es komme auf die konkrete Höhe der Unterhaltsleistungen an. In einer späteren Entscheidung aus dem Jahr 1999 hat der Senat angenommen, es sei jedenfalls nicht grob fehlerhaft, wenn nur die tatsächliche Unterhaltslast berücksichtigt werde. Eine Verpflichtung für den Arbeitgeber, Einkünfte der Unterhaltsberechtigten zulasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, besteht demzufolge nicht.
In einem Urteil hat das LAG Düsseldorf entschieden, dass die Berücksichtigung des Doppelverdienstes bei der Sozialauswahl sachlich gerechtfertigt ist, da dieser Gesichtspunkt im Zusammenhang mit den nach § 1 Abs. 3 KSchG zu beachtenden Unterhaltsverpflichtungen steht, die sich nach den familienrechtlichen Bestimmungen der §§ 1360 ff., 1569 ff., 1601 ff. BGB richten. Auc...