Rz. 19
Im Bereich der zwingenden Mitbestimmung können Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Frage entstehen, welches Betriebsverfassungsorgan zu beteiligen ist. Für die Anerkennung einer originären Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats bedarf es stets einer Einzelfallbeurteilung.
4.2.3.1 Soziale Angelegenheiten
Rz. 20
Zwar sind die Mitbestimmungstatbestände des § 87 Abs. 1 BetrVG betriebs- und nicht unternehmens- oder konzernbezogen ausgestaltet, sodass für die Ausübung der Mitbestimmungsrechte in sozialen Angelegenheiten grundsätzlich die Betriebsräte des betreffenden Konzernunternehmens zuständig sind. Gleichwohl kann im Einzelfall der Konzernbetriebsrat auch für soziale Angelegenheiten zuständig sein. Dies ist u. a. der Fall, wenn Regelungen über die Errichtung und Verwaltung einer Sozialeinrichtung getroffen werden sollen, deren Wirkungskreis sich auf den Konzern erstreckt (BAG, Beschluss v. 21.6.1979, 3 ABR 3/78), z. B. Unterstützungskassen (vgl. BAG, Urteil v. 14.12.1993, 3 AZR 618/93). Die originäre Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats kommt weiter für die Einführung konzernweiter Personalinformationssysteme (z. B. zentrale Personaldatenverarbeitung zur Entgeltabrechnung, Personalplanung oder Korruptionskontrolle der konzernangehörigen Mitarbeiter) sowie für Regelungen über einen konzernweiten Datenaustausch (vgl. BAG, Beschluss v. 20.12.1995, 7 ABR 8/95) in Betracht. Gleiches gilt für den Einsatz von Videokameras, die objektiv geeignet sind, die Arbeitnehmer verschiedener Konzernunternehmen aufzunehmen (LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 31.7.2013, 17 TaBV 222/13). Insbesondere bei der Verwendung technischer Einrichtungen, die objektiv zur Überwachung der Arbeitnehmer geeignet sind, hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, über technische Komponenten (z. B. Reichweite des Datentransfers, zentrale oder dezentrale Backups zur generellen Datensicherung o. ä.) maßgeblichen Einfluss auf die (Un-)Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats zu nehmen. Auch in Angelegenheiten der betrieblichen Altersversorgung ist die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats denkbar, wenn finanzielle und steuerrechtliche Auswirkungen in diesem Bereich konzerneinheitlich geregelt werden sollen. Dasselbe gilt für das Werkswohnungswesen (§ 87 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG
).
Rz. 20a
Für die Einführung von Ethik-Richtlinien in einem Verhaltenskodex ("Code of conduct") ist der Konzernbetriebsrat originär zuständig, wenn durch Ethik-Richtlinien das so genannte Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer geregelt werden soll und sich das mit der Ethik-Richtlinie verfolgte Regelungsziel nur durch eine konzerneinheitliche Regelung erreichen lässt (BAG, Beschluss v. 22.7.2008, 1 ABR 40/07). Hier eröffnen sich entsprechend Gestaltungsspielräume für den Arbeitgeber. Dieser kann den Zweck einer Ordnungsregel auf die gewünschte Repräsentationsebene (und damit den gewünschten Verhandlungspartner) heben, indem er den Zweck der Ordnungsregel mit einem konzerneinheitlichen Regelungsbedürfnis verknüpft oder aber diesen Gesichtspunkt bewusst ausklammert. Ob überhaupt ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG besteht, ist für jede Regelung einer Ethik-Richtlinie gesondert zu beurteilen (BAG, Beschluss v. 22.7.2008, 1 ABR 40/07). So besteht kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bei Regelungen, mit denen lediglich die geschuldete Arbeitsleistung konkretisiert werden soll, bei der bloßen Verlautbarung der "Unternehmensphilosophie", bei der allgemeinen Beschreibung von Unternehmenszielen oder ethisch-moralischer Programmsätze, bei Selbstverpflichtungen des Unternehmens sowie bei Bestimmungen, die lediglich gesetzliche Vorschriften wiederholen (BAG, Beschluss v. 22.7.2008, 1 ABR 40/07). Ein Mitbestimmungsrecht an einzelnen Regelungen der Ethik-Richtlinie begründet nicht automatisch ein Mitbestimmungsrecht an dem Gesamtwerk. Dies gilt z. B. auch dann, wenn sich eine in der Ethik-Richtlinie enthaltene Meldepflicht (sog. Whistle-Blowing-Klausel) auf sämtliche Regelungen des Verhaltenskodexes erstreckt (BAG, Beschluss v. 22.7.2008, 1 ABR 40/07).
Da die Meldepflicht der Arbeitnehmer bezüglich sämtlicher (auch nicht mitbestimmungspflichtiger) Regelungen der Ethik-Richtlinie nicht zu einem Mitbestimmungsrecht an dem Gesamtwerk führt, besteht keine Notwendigkeit, sog. Whistle-Blowing-Klauseln in einer separaten Betriebsvereinbarung zu regeln.