2.2.1 Voraussetzungen
Rz. 35
Eine tarifliche Regelung "besteht" im Sinne der Schrankenregelung des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG, wenn sie im Betrieb mit unmittelbarer und zwingender Wirkung gem. § 4 Abs. 1 TVG gilt. Es reicht die Tarifbindung des Arbeitgebers. Die Arbeitnehmer des Betriebs müssen aber unter den fachlichen und persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen. Ihre Tarifbindung wird allerdings nicht für erforderlich gehalten. Der Tarifvertrag muss zudem in zeitlicher Hinsicht gelten. Ist er bereits ausgelaufen und befindet sich im Nachwirkungsstadium (§ 4 Abs. 5 TVG), reicht dies nicht.
Der tarifgebundene Arbeitgeber ist dann aber betriebsverfassungsrechtlich verpflichtet, die tarifliche Vergütungsordnung ungeachtet der Tarifbindung der Arbeitnehmer im Betrieb anzuwenden, soweit deren Gegenstände der erzwingbaren Mitbestimmung des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unterliegen. Die Bindung des Arbeitgebers an die tarifliche Entgeltstruktur begründet indes keinen Anspruch der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer auf den Tariflohn. Vielmehr kann ein tarifgebundener Arbeitgeber für die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer die Höhe des Entgelts unter Beachtung der in der tariflichen Vergütungsordnung enthaltenen Verteilungsgrundsätze festlegen.
Rz. 36
Inhaltlich muss der Tarifvertrag eine abschließende Regelung enthalten. Es gelten die gleichen Grundsätze wie beim Gesetzesvorrang. Soweit der Tarifvertrag ausgefüllt werden kann – insbesondere, aber nicht nur bei ausdrücklichen tariflichen Öffnungsklauseln –, bleibt das Mitbestimmungsrecht in diesem Umfang bestehen.
Ein Mitbestimmungsrecht bleibt bestehen, wenn der Tarifvertrag Zuschläge für Nachtarbeit vorsieht, die Betriebspartner aber die zuschlagspflichtige Zeitspanne innerhalb eines vorgegebenen Rahmens festlegen können.
Ein Mitbestimmungsrecht bleibt auch bestehen, wenn ein Tarifvertrag dem Arbeitgeber das Wahlrecht zwischen zwei Berechnungsmethoden des Urlaubsentgelts (z. B. Referenzmethode und Lohnausfallprinzip) überträgt. Der Arbeitgeber hat dieses Wahlrecht nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) auszuüben. Die Ausübung des Wahlrechts unterliegt der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, da es um die Feststellung abstrakt genereller Prinzipien der Entgeltberechnung geht und diese tariflich nicht so bestimmt festgelegt sind, dass die Mitbestimmung entfiele. Legt der Tarifvertrag einen Regelfall fest, kommt dieser bei Verletzung des Mitbestimmungsrechts zur Anwendung.
Bleibt dem Arbeitgeber indes nur der bloße Vollzug einer tariflichen Vorgabe, gibt es nichts mehr mitzubestimmen. Der Tarifvertrag kann sich nicht darauf beschränken, das Mitbestimmungsrecht auszuschließen, ohne eine eigenständige Regelung zu enthalten. Eine "Nichtregelung" lässt die Mitbestimmung nach Auffassung des BAG unberührt.
Rz. 37
Eine Tarifnorm, die das einseitige Direktionsrecht des Arbeitgebers wiederherstellt, wird nicht als Tarifnorm im Sinne des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG angesehen. Dies ist indes voreilig. Hält sich der Tarifvertrag dabei im Rahmen dessen, was auch die Betriebspartner vereinbaren könnten, kann diese Regelung durchaus Sperrwirkung entfalten.
Rz. 38
Tarifverträge können auch eine abschließende Regelung treffen und den Zusatz enthalten, dass davon durch freiwillige Betriebsvereinbarung abgewichen werden kann. In diesem Fall ist das Mitbestimmungsrecht ausgeschlossen. Es können verbindliche Sprüche der Einigungsstelle nicht ergehen. Vielmehr verbleibt es dann mangels Einigung bei der tariflichen Regelung.
2.2.2 Verhältnis zu § 77 Abs. 3 BetrVG
Rz. 39
Umstritten war das Verhältnis zwischen § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG und § 77 Abs. 3 BetrVG. Das Bundesarbeitsgericht vertritt dazu die sogenannte Vorrangtheorie. Danach schließt § 77 Abs. 3 BetrVG Betriebsvereinbarungen nur in Angelegenheiten aus, in denen dem Betriebsrat kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht zusteht. Soweit es aber um die in § 87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 14 BetrVG aufgeführten Angel...