BAG, Beschluss vom 1.10.2024, 9 AZR 264/23 (A)
Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zur Klärung der Frage, wie die in § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG geregelte Überlassungshöchstdauer unionsrechtskonform zu berechnen ist, wenn auf Entleiherseite ein Betriebsübergang stattgefunden hat.
Sachverhalt
Die Beklagte, welche einer Unternehmensgruppe angehört, die u. a. Sanitärarmaturen herstellt, unterhält am Ort der Produktionsstätte einen Betrieb, in dem die Produkte verpackt, gelagert und für den Transport vorbereitet werden. Die ehemals von dem Produktionsunternehmen als Betriebsteil selbst geführte Logistik ist zum 1.7.2018 auf die Beklagte übergegangen. Dort war der Kläger durchgängig vom 16.6.2017 bis zum 6.4.2022 als Leiharbeitnehmer beschäftigt gewesen. Bis zu dem Betriebsteilübergang auf die Beklagte am 1.7.2018 war Entleiherin das Produktionsunternehmen.
Da § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG bestimmt, dass der Verleiher denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinanderfolgende Monate "demselben Entleiher" überlassen darf, hatte der Kläger geltend gemacht, zwischen den Parteien sei zum 16.12.2018 wegen Überschreitens der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer gem. § 10 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen; denn das Produktionsunternehmen als Betriebsveräußerer und die Beklagte als Betriebserwerberin seien im Sinne des Gesetzes als derselbe Entleiher anzusehen. Dagegen brachte die Beklagte vor, dass im Fall eines Übergangs des Einsatzbetriebs auf einen anderen Inhaber die Überlassungshöchstdauer neu zu laufen beginne. Dies gelte auch dann, wenn der Leiharbeitnehmer nach dem Übergang des Betriebs unverändert auf demselben Arbeitsplatz eingesetzt werde.
Die Entscheidung
Das BAG hat nun das Verfahren ausgesetzt und den EuGH nach Art. 267 AEUV zur Klärung von Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2008/104/EG ersucht; denn klärungsbedürftig sei, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen bei der Berechnung der Überlassungsdauer im Fall eines Betriebsübergangs Veräußerer und Erwerber als ein "entleihendes Unternehmen" i. S. v. Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie anzusehen seien. Davon hänge es ab, ob das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten 18 Monate nach der Überlassung des Klägers zum 16.12.2018 oder erst 18 Monate nach dem Betriebsteilübergang zum 1.1.2020 zustande gekommen sei.
Anmerkung:
Der Vorlegbeschluss hat für den öffentlichen Dienst nur eingeschränkte Bedeutung; denn gem. § 1 Abs. 3 Nr. 2b wird die Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD/TV-L aus dem Anwendungsbereich des AÜG ausgenommen.
Die Vorschrift lautet:
„ist dieses Gesetz … nicht anzuwenden auf Arbeitnehmerüberlassung
zwischen Arbeitgebern, wenn Aufgaben eines Arbeitnehmers von dem bisherigen zu dem anderen Arbeitgeber verlagert werden und aufgrund eines Tarifvertrags des öffentlichen Dienstes
a) das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber weiter besteht und
b) die Arbeitsleistung zukünftig bei dem anderen Arbeitgeber erbracht wird.
Dies gilt ungeachtet der Rechtsform des jeweiligen Arbeitgebers. Voraussetzung für die Anwendung der Ausnahmeregelung dürfte jedoch sein, dass der Arbeitgeber kraft Mitgliedschaft im tarifschließenden Arbeitgeberverband an den Tarifvertrag gebunden ist (vgl. § 3 Abs. 2 TVG) und eine bloße Verweisung im Arbeitsvertrag auf den Tarifvertrag nicht ausreichend ist; denn in diesem Fall die Personalgestellung nicht "aufgrund eines Tarifvertrags", sondern aufgrund einer arbeitsvertraglichen Regelung erfolgt. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn die Servicebereiche eines kommunalen Krankenhauses in eine privatrechtlich organisierte Service-GmbH überführt werden.