Entscheidungsstichwort (Thema)
Automatisches Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses durch Verletzung der zulässigen Arbeitnehmer-Überlassungshöchstdauer
Leitsatz (redaktionell)
Überlassungsdauer von Leiharbeitnehmern ist arbeitnehmer- und nicht arbeitsplatzbezogen zu bestimmen, wobei Bezugspunkt der Überlassungsdauer nach § 1 Abs. 1b AÜG die Dauer der Eingliederung des überlassenen Arbeitnehmers in die Arbeitsorganisation eines Entleihers ist, wohingegen es auf den konkreten Arbeitsplatz nicht ankommt.
Nach § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG kann in einem Tarifvertrag von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche eine von § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden. Die Geltung eines solchen Tarifvertrags erfordert allein die Tarifgebundenheit des Entleihers. Für den Verleiher und den überlassenen Arbeitnehmer gilt die tarifliche Regelung unabhängig von deren Tarifgebundenheit. Es handelt sich bei einer solchen tarifvertraglichen Regelung weder um eine Inhalts- noch eine Betriebsnorm i.S.v. § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 2 TVG; der Gesetzgeber hat den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche in § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG eine von den im Tarifvertragsgesetz vorgesehenen Arten von Tarifnormen (§ 1 Abs. 1 TVG) und deren Bindungswirkung (§ 3 Abs. 1 und Abs. 2, § 4 Abs. 1 TVG) abweichende Regelungsbefugnis eingeräumt.
Normenkette
AÜG § 9 Abs. 1 Nr. 1b, § 10 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Iserlohn (Entscheidung vom 30.03.2023; Aktenzeichen 4 Ca 497-22) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 30.03.2023, 4 Ca 497/22, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen wegen Verletzung der zulässigen Überlassungshöchstdauer gemäß §§ 9 Abs. Abs. 1 Nr.1b, 10 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis als zustande gekommen gilt, hilfsweise ein Angebot auf Abschluss eines Arbeitsvertrages hätte unterbreitet werden müssen sowie über die Pflicht zur Beschäftigung des Klägers.
Der Kläger war seit dem 01.02.2018 auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages als Leiharbeitnehmer zunächst bei der A GmbH und nach einem Betriebsübergang seit dem 01.05.2018 bei der Firma B GmbH zu einem durchschnittlichen Bruttoentgelt von zuletzt 3.375,98 EUR (vgl. Bl. 14 d.A.) beschäftigt.
Er wurde im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses durchgängig bis zum 08.11.2021 auf demselben Arbeitsplatz als Kommissionier eingesetzt. Entleiherin war bis zum 30.06.2018 noch die C AG D und erst seit dem 01.07.2018, aufgrund eines Betriebsteilüberganges, die hiesige Beklagte.
Die Beklagte ist ebenso wie die C AG Mitglied im Verband der Metall- und Elektroindustrie NRW. Der Kläger ist kein Gewerkschaftsmitglied.
Rückwirkend zum 01.04.2017 schlossen die Tarifvertragsparteien den Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens (TV LeiZ 2017), der den Vorgänger TV LeiZ 2012 ablöste und - soweit hier von Interesse - das Folgende bestimmt:
§ 1 Geltungsbereich
Für diesen Tarifvertrag gilt der Geltungsbereich des Einheitlichen Manteltarifvertrages (EMTV).
§ 2 Einsatz von Leih-/Zeitarbeitnehmern
...
3. Die Tarifvertragsparteien stimmen darin überein, dass die Höchstdauer eines Einsatzes nach diesem Tarifvertrag (§§ 3 und 4 Nr. 1) 48 Monate nicht überschreiten darf.
§ 3 Betriebe mit Betriebsvereinbarung
1.
Die Betriebsparteien können im Rahmen einer freiwilligen Betriebsvereinbarung den Einsatz von Leih-/Zeitarbeit und die Ausgestaltung der betrieblichen Flexibilität regeln. Auf Verlangen einer Seite sind hierzu Verhandlungen aufzunehmen.
a.
In dieser Vereinbarung können zum betrieblichen Einsatz von Leih-/Zeitarbeit u.a. geregelt werden:
....
- Höchstdauer des Einsatzes und Übernahmeregelung
§ 8 Übergangsregelung
1.
Für Betriebsvereinbarungen nach § 3 Nr. 3 ohne die Festlegung einer Überlassungshöchstdauer gilt Folgendes:
.....
c) Sofern keine Einigung erzielt wird, gilt eine Überlassungshöchstdauer von 36 Monaten ab dem 01.Juni 2017, für Leih-/Zeitarbeitnehmer, die nach dem 1. Juni 2017 im Einsatzbetrieb beschäftigt werden, gelten 36 Monate vom Zeitpunkt des Einsatzbeginns.
d) Für Beschäftigte, die zum 01. Juni 2017 bereits im Einsatzbetrieb beschäftigt waren, gilt die Überlassungshöchstdauer von 36 Monaten ab 1. Juni 2017 entsprechend.
...
3. Wird eine Betriebsvereinbarung nach § 3 gekündigt, entstehen die Pflichten nach § 4 frühestens sechs Monate nach Auslaufen der Betriebsvereinbarung."
Am 08.11.2018 einigten sich die Tarifvertragsparteien auf den Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens (TV LeiZ 2018), der zum 01.01.2019 in Kraft trat, seinerseits den TV LeiZ 2017 ablöste und - auszugsweise - das Folgende bestimmt:
§ 2 Einsatz von Leih-/Zeitarbeitnehmern
...3. Die Tarifvertragsparteien stimmen darin überein, dass die Höchstdauer eines Einsatzes nach diesem Tarifvertrag (§§ 3 und 4 Nr. 1) 48 Monate nicht überschreiten darf.
§ 3 Betriebe mit Betriebsvereinbarung
1. Die Betriebsparteien können im...