BAG, Urteil vom 19.6.2024, 5 AZR 167/23
Hat ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer, der während der Geltungsdauer des vormaligen § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG a. F.) die in § 20a Abs. 1 IfSG aF aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllte, von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt, sind die Zeiten dieser unbezahlten Freistellung bei der Berechnung des Jahresurlaubs zu berücksichtigen, so dass dem Arbeitnehmer nur ein anteilig kürzerer Urlaubsanspruch zusteht.
Sachverhalt
Die Klägerin ist bei der Beklagten in deren Seniorenwohnheim als Alltagsbegleiterin beschäftigt. Obwohl keine medizinischen Gründe vorlagen, die einer Impfung entgegengestanden hätten, war sie im März 2022 nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft und verfügte auch nicht über einen Immunitätsnachweis. Aufgrund dessen stellte die Beklagte mit Schreiben vom 31.3.2022 die Klägerin ab dem 1.4.2022 unter Verweis auf die Regelungen des IfSG a. F. frei. Die Freistellung sollte gelten, bis die Klägerin die im IfSG a. F. vorgesehenen Nachweise vorlegte, längstens bis zum 31.12.2022. Ab dem 1.9.2022 unterlag die Klägerin dann einem vom zuständigen Gesundheitsamt verfügten, ebenfalls befristeten Tätigkeitsverbot.
Die Beklagte zahlte an die Klägerin für die Zeit vom 1.4. bis zum 31.8.2022 keine Vergütung. Zudem vertrat sie die Auffassung, dass der Urlaubsanspruch der Klägerin für jeden vollen Monat der Freistellung anteilig zu kürzen sei, so dass wegen der fünfmonatigen Freistellung von einem um 12,5 Tage geringeren Urlaubsanspruch, aufzurunden auf 13 Tage, auszugehen sei.
Die Klägerin klagte nun für die Zeit vom 1.4. bis zum 31.8.2022 auf Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs und für einen Teilzeitraum Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Zudem hat sie die Feststellung beantragt, dass ihr für das Jahr 2022 weitere 13 Urlaubstage zustehen.
Die Entscheidung
Die Vorinstanzen haben die Klage insgesamt abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte beim BAG nur in geringem Umfang – dem halbtägigen Urlaubsanspruch wegen der Aufrundung durch die Beklagte, für die es keine Rechtsgrundlage gab – Erfolg.
Zunächst wurde festgestellt, dass der Klägerin kein Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung oder Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zustehe.
Der Feststellungsantrag auf das Bestehen des ungekürzten Urlaubsanspruchs hatte ebenfalls im Wesentlichen keinen Erfolg. Das Gericht entschied, dass die Klägerin keinen Anspruch auf weitere 12,5 Urlaubtage für das Jahr 2022 habe; denn die Freistellung wegen Nichterfüllung der Anforderungen des § 20a IfSG a. F. rechtfertigte eine unterjährige Neuberechnung des Urlaubsanspruchs. Das BAG führte aus, dass die aufgrund dieser Freistellung nicht geleisteten Arbeitstage weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht Zeiten mit Arbeitspflicht gleichzustellen seien; denn der Erholungszweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub beruhe nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auf der Prämisse, dass der Arbeitnehmer im Lauf des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet hatte. Etwas anderes gelte nur, wenn der Umstand, dass der Arbeitnehmer nicht gearbeitet hat, allein auf Entscheidungen des Arbeitgebers beruhe.
Dies lag jedoch hier nicht vor. Zum einen setzte die Beklagte mit der Freistellung lediglich die Regelungen des IfSG a. F. um und zum anderen hätte die Klägerin ihre Tätigkeit bei Vorlage der vom Gesetz vorgesehenen Nachweise wieder aufnehmen können. Dass sie dies nicht tat, beruhte auf ihrer freien und höchstpersönlichen Entscheidung, sich nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 impfen zu lassen. Insofern unterscheide sich die Freistellung wegen Nichterfüllung der Voraussetzungen nach § 20a Abs. 1 IfSG a. F. von anderen Fällen einer einseitigen Freistellung durch den Arbeitgeber, wie beispielsweise nach einer von ihm ausgesprochenen Kündigung während des Laufs der Kündigungsfrist.