LAG Hamm, Urteil vom 17.2.2022, 5 Sa 872/21
Ist ein Arbeitnehmer auch nach Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres weiterhin arbeitsunfähig erkrankt, kann sich der Arbeitgeber, auch wenn er seinen Obliegenheiten nicht nachgekommen ist, den Arbeitnehmer von dem Bestehen von Urlaubsansprüchen und deren Befristung in Kenntnis zu setzen, auf die Befristung und das Erlöschen des Urlaubsanspruchs berufen. Denn in diesem Fall sind nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal.
Sachverhalt
Der Kläger, der aufgrund einer schweren Nervenschädigung an der linken Hand eine Verkrümmung mehrerer Finger erlitt, wurde ab 2010 arbeitsunfähig geschrieben. Im September 2010 stellte die Beklagte als Versicherungsnehmerin einer betrieblichen Altersversorgung in Form einer Direktversicherung und einer darin enthaltenen Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zugunsten des Klägers den Antrag auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit, welche der Kläger in der Folgezeit erhielt.
Nachdem er Anfang Juli 2011 durch die Krankenkasse ausgesteuert wurde, erhielt er für 12 Monate Arbeitslosengeld I. Ab Januar 2013 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung Bund dem Kläger eine Weiterbildung für den Beruf als Fachkraft für Gebäudewirtschaft als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Diese Weiterbildungsmaßnahme endete am 11.7.2014. Ab dem 5.5.2014 war der Kläger in der Rehabilitationsberatung der Deutschen Rentenversicherung. In der Folgezeit leistete der Kläger verschiedene Praktika. Zudem absolvierte er in der Zeit vom 1.11.2016 bis zum 30.9.2017 einen beruflichen Integrationslehrgang, in dessen Verlauf er u. a. ein Praktikum bei Behindertenwerkstätten durchführte. Dort erhielt er ab dem 1.10.2017 zunächst eine befristete Beschäftigung bis zum 30.9.2018 und ab dem 1.10.2020 ein unbefristetes Arbeitsverhältnis.
Die Beklagte hatte dem Kläger, nachdem dieser sein Arbeitsverhältnis bei den Werkstätten begonnen hatte, eine Bescheinigung erteilt, dass er am 10.4.2014 aus dem Unternehmen ausgeschieden sei.
Ende September trat nun der Kläger an die Beklagte heran und verlangte die Abgeltung von je 30 Tagen Urlaub für die Jahre 2016 und 2017. Er begründete dies damit, dass er durchgehend arbeitsunfähig gewesen sei. Er habe auch zu keinem Zeitpunkt die Beklagte aufgefordert, ihm eine Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum 10.4.2014 zu bescheinigen.
Die Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Das LAG entschied, dass der Kläger keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung für die Kalenderjahre 2016 und 2017 habe; denn diese waren erloschen, da der Kläger in diesen Jahren durchgehend arbeitsunfähig gewesen war und dieses auch in den Übertragungszeiträumen geblieben sei. Somit bestanden keine abzugeltenden Urlaubsansprüche für diese Jahre mehr.
Nach Auffassung des Gerichts sei es hierbei nicht von Bedeutung, ob die Beklagte ihre Mitwirkungspflichten bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs des Klägers am 31.3.2018 (Anspruch für 2016) und 31.3.2019 (Anspruch für 2017) erfüllt habe. Bleibe ein Arbeitnehmer demnach auch bis nach Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankt, sei es dem Arbeitgeber, der seinen Obliegenheiten nicht nachgekommen sei, den Arbeitnehmer von dem Bestehen von Urlaubsansprüchen und deren Befristung in Kenntnis zu setzen, nicht verwehrt, sich auf die Befristung und das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu berufen; denn ist der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig, seien nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal.
Hinweis:
Es wurde in diesem Verfahren Revision zugelassen, da es sich bei der Frage der Auswirkungen einer fehlenden Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers im Fall mehrjähriger Erkrankung des Arbeitnehmers um eine noch nicht durch das BAG entschiedene Frage handelt. In dieser Frage ist bereits ein Revisionsverfahren (9 AZR 107/20) zu einem dem vorliegenden Fall vergleichbaren Sachverhalt (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.1.2020, 7 Sa 284/19) anhängig.