LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 2.2.2022, 19 Sa 62/21
Leitsätze( amtlich)
Nach § 10 Abs. 11 TV-Ärzte/VKA in der seit dem 1.1.2020 geltenden Fassung wird die Lage der Dienste der Ärztinnen und Ärzte in einem Dienstplan geregelt, der spätestens einen Monat vor Beginn des jeweiligen Planungszeitraumes aufgestellt wird. Wird die vorstehende Frist nicht eingehalten, so erhöht sich die Bewertung des Bereitschaftsdienstes bzw. wird zusätzlich zum Rufbereitschaftsentgelt ein Zuschlag auf jeden Dienst gezahlt.
Diese Rechtsfolge tritt nicht bereits dann ein, wenn die Dienste entsprechend dem rechtzeitig bekanntgegebenen Dienstplan geleistet werden, aber ein betriebliches Mitbestimmungsverfahren zuvor nicht abgeschlossen wurde und der Betriebsrat bzw. Personalrat auch nicht nachträglich dem Dienstplan zugestimmt hat. Das folgt insbesondere aus dem Sinn und Zweck von § 10 Abs. 11 TV-Ärzte/VKA, den betroffenen Arbeitskräften Planungssicherheit für ihre außerdienstlichen Aktivitäten zu gewährleisten. Die Zuschlagspflicht ist keine Sanktion für mitbestimmungswidriges Verhalten des Arbeitgebers.
Sachverhalt
Der Kläger ist Oberarzt bei der Beklagten, die als Gesellschaft mit beschränkter Haftung ein Universitätsklinikum betreibt, tätig und teilfreigestelltes Mitglied des Betriebsrats. Auf das Arbeitsverhältnis findet der TV-Ärzte/VKA Anwendung. Der Kläger ist gem. § 10 TV-Ärzte/VKA zur Leistung von Ruf- und Bereitschaftsdiensten verpflichtet. Gemäß § 10 Abs. 11 ist die Lage der Dienste der Ärztinnen und Ärzte in einem Dienstplan zu regeln, der spätestens einen Monat vor Beginn des jeweiligen Planungszeitraumes aufgestellt werden muss. Wird die vorstehende Frist nicht eingehalten, so erhöht sich die Bewertung des Bereitschaftsdienstes bzw. wird zusätzlich zum Rufbereitschaftsentgelt ein Zuschlag auf jeden Dienst gezahlt.
Im vorliegenden Fall wurden für die Monate Februar bis September 2020 dem Kläger und seinen Kolleginnen und Kollegen Dienstpläne unter Wahrung der in § 10 Abs. 11 Satz 1 TV-Ärzte/VKA genannten Frist bekanntgegeben. Jedoch lag im Zeitpunkt der jeweiligen Bekanntgabe keine Zustimmung des Betriebsrats vor und wurde auch nicht nachträglich erteilt.
Der Kläger leistete in dem genannten Zeitraum an 16 Tagen Bereitschafts- bzw. Rufbereitschaftsdienst entsprechend den ihm bekanntgegebenen Dienstplänen.
Er machte nun mit seiner Klage Zuschläge zwischen EUR 48,99 brutto und EUR 93,08 brutto für die jeweiligen Dienste geltend. Er begründete dies damit, dass die Dienste zuschlagspflichtig seien, weil die Beklagte keine wirksamen Dienstpläne veröffentlicht habe. Der Betriebsrat habe den ihm vorgelegten Dienstplänen nicht zugestimmt und diese auch nicht nachträglich genehmigt. Die Beklagte brachte dagegen vor, es komme unabhängig von der Beteiligung des Betriebsrats für die Frage der Zuschläge auf die rechtzeitige Veröffentlichung des jeweiligen Dienstplanes an.
Die Entscheidung
Die Klage hatte – im Gegensatz zur Vorinstanz – vor dem LAG keinen Erfolg.
Das Gericht entschied, dass nicht nur der nach § 87 Abs. 1 Ziff. 2 BetrVG mitbestimmte Dienstplan "aufgestellt" i. S. d. Tarifnorm sei, sondern bereits ein – ggf. unter Verstoß gegen Mitbestimmungsrechte – den betroffenen Beschäftigten bekannt gegebener Dienstplan.
Die ergebe die Auslegung des§ 10 Abs. 11 Satz 1 TV-Ärzte/VKA.
Das Gericht führte hierzu aus, dass nach der Rechtsprechung des BAG der Arbeitgeber zwar das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG bereits dadurch verletzte, wenn er im Betrieb monatliche Dienstpläne bekanntgebe und dadurch sein Weisungsrecht gegenüber den Beschäftigten ausübe, wenn keine Einigung mit dem Betriebsrat herbeigeführt wurde. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, die Tarifvertragsparteien hätten mit § 10 Abs. 11 TV-Ärzte/VKA die betriebs- oder personalverfassungsrechtliche Mitwirkung einschränken wollen. § 10 Abs. 11 Satz 4 TV-Ärzte/VKA stelle somit die Regelungsbefugnis der Betriebsparteien klar.
Die Vorschrift regele darüber hinaus jedoch auch die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber; denn der Arbeitnehmer erwerbe bei Vorliegen der Voraussetzungen der Sätze 2 oder 5 unmittelbar einen Anspruch auf Zahlung eines Zuschlages.
Nach Ansicht des LAG begründe jedoch die Verletzung der Mitbestimmungsrechte nach dem BetrVG oder dem LPVG nicht die Zahlung eines Zuschlages nach Satz 2.
Es begründete dies damit, dass der Zweck des § 10 Abs. 11 TV-Ärzte/VKA darin bestehe, den zur Leistung von Bereitschafts- und Rufbereitschaftsdiensten verpflichteten Ärztinnen und Ärzten Planungssicherheit zu geben. Werde somit die vorgesehene Frist von einem Monat unterschritten, so sei ein Zuschlag als Kompensation zu zahlen. Die Entschädigung des Arbeitnehmers solle den Arbeitgeber anhalten, seiner Planungspflicht nachzukommen. Nur ausnahmsweise sei gemäß Satz 3 der Vorschrift eine Änderung des aufgestellten Dienstplanes unter Verkürzung der Ankündigungsfrist aus Gründen, die in der Person einer Ärztin/eines Arzte...