Metallindustrie: Arbeitnehmer wählen mehr Freizeit statt mehr Geld
Mehr Geld oder doch lieber mehr Freizeit? Viele Beschäftigte wünschen sich mehr Zeit für Kinder und Familie, für ein Ehrenamt oder für mehr persönlichen Freiraum - doch deshalb auf Geld verzichten? Der jüngste Tarifabschluss der Metall- und Elektroindustrie gibt Beschäftigten die Möglichkeit zwischen Geld und Freizeit zu wählen. Insbesondere die Option, acht zusätzliche freie Tage statt mehr Lohn zu wählen, findet großen Zuspruch.
Metall-Tarifvertrag: Mehr Freizeit statt mehr Geld
Im Jahr 2018 wurde der aktuelle Tarifabschluss für die Metall- und Elektroindustrie vereinbart. Danach gibt es ein Wahlmodell für Beschäftigte, die sich in einer besonderen Situation befinden, wie Schichtarbeiter, Beschäftigte mit jungen Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen: Sie können sich für acht Tage Freizeit entscheiden, statt ein für alle vereinbartes Zusatzgeld anzunehmen.
Das Interesse an diesem Modell ist groß. Nach Angaben der IG Metall haben bereits 190.000 Arbeitnehmer in ihren Betrieben für 2019 eine entsprechende Freistellung beantragt. "Wir konnten uns kaum retten vor Anträgen", formuliert es die Betriebsrätin Nektaria Chistidou vom Stuttgarter Autozulieferer Mahle Behr.
Freizeitoption: Interesse bei Arbeitnehmern ist groß
Vor allem bei Schichtarbeitern ist die Arbeitszeitverkürzung beliebt. Die Zustimmungsquote liegt hier zwischen 70 und 80 Prozent, was laut IG Metall alleine rund 140.000 Antragsteller ausmacht. Auch rund 50.000 Eltern junger Kinder und Beschäftigte, die zuhause Angehörige pflegen, wählten die Freizeitoption. Sie verzichten im Gegenzug auf ein höheres Entgelt, das neben den normalen Tariferhöhungen in Form einer Sonderzahlung im kommenden Jahr fällig würde. Bei diesen Gruppen ist allerdings die Gesamtzahl der Anspruchsberechtigten unklar. Insgesamt sind in der Metall- und Elektroindustrie rund 3,9 Millionen Menschen beschäftigt.
Der Erste Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, sprach von einer „enormen Resonanz“ auf die neue Tarifregelung, die nun konkret umgesetzt werden müsse. „Wir haben den Nerv der Zeit getroffen“, erklärte er. Das Bild sei noch nicht vollständig, erläuterte die Gewerkschaft. Es sei erst rund die Hälfte der 2.800 tarifgebundenen Betriebe abgefragt worden, wobei dem Vernehmen nach sowohl kleine als auch ganz große Unternehmen wie beispielsweise Bosch und Audi noch fehlten.
Arbeitgeber kann Anträge auch ablehnen
Die Arbeitgeber bestätigten ihrerseits das große Interesse in den Belegschaften an den kürzeren Arbeitszeiten. Der Verband Gesamtmetall mahnte aber erneut, dass das entfallende Arbeitsvolumen wegen des großen Fachkräftemangels und der guten Auftragslage unmittelbar im Betrieb ausgeglichen werden müsse. „Deshalb bemühen sich die Betriebsparteien, Lösungen zu finden, ob und wie man die Freistellungstage und deren Ausgleich organisieren kann. Der Arbeitgeber hat aber nach dem neuen Tarifvertrag das Recht, Anträge schlicht abzulehnen, wenn keine Kollegin oder kein Kollege länger arbeiten will“, erklärte ein Gesamtmetall-Sprecher.
Kurze Vollzeit: Reduzierte Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich
Ebenfalls im Tarifvertrag vereinbart haben Arbeitgeberverband und IG Metall eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit. Danach können Beschäftigte ab 2019 ohne Lohnausgleich für bis zu zwei Jahre ihre Wochenarbeitszeit auf 28 Stunden senken. Dieses Arbeitszeitmodell der „kurzen Vollzeit“ spiele sich meist oberhalb der Facharbeiter-Ebene ab, berichtete der IG-Metall-Tarifexperte Stefan Schaumburg. Für dieses Modell haben sich bislang 8.000 Arbeitnehmer entschieden.
Individuelle statt Musterlösung: Betriebe weichen einvernehmlich vom Tarifmodell ab
In der Praxis der einzelnen Betriebe gibt es jedoch nach Darstellung der IG Metall zahlreiche einvernehmliche Abweichungen von dem tariflichen Modell. So öffneten einzelne Unternehmen die Freizeitoptionen für sämtliche Mitarbeiter einschließlich der Teilzeitkräfte. Beschäftigte, die nicht den besonders belasteten Personengruppen angehören, bekommen aber nur sechs freie Tage, wenn sie auf das tarifliche Zusatzgeld verzichten.
Es gebe zudem Betriebe wie Opel, die wegen fehlender Auslastung sämtliche Beschäftigten nach Hause schickten, statt das tarifliche Zusatzgeld zu zahlen, berichtete IG-Metall-Chef Hofmann. Diese Abweichung vom Tarifvertrag sei mit der Gewerkschaft vereinbart. Ähnliche Überlegungen soll es bei Ford und der kriselnden Kraftwerkssparte von Siemens geben.
Flexible Arbeitszeiten: Weniger arbeiten statt Lohnerhöhung
Mit dem Tarifabschluss für die Metall- und Elektroindustrie sieht sich die IG Metall als ein Wegbereiter für flexiblere Arbeitszeiten in Deutschland. Tatsächlich haben auch die Beschäftigten bei der Bahn und der Post bereits seit 2017 die Wahl zwischen mehr Geld oder mehr Freizeit.
Auch ein Tarifabschluss zwischen Verdi und Telekom sieht für Mitarbeiter in den operativen Bereichen die Möglichkeit vor, die Wochenarbeitszeit von 38 auf 36 Stunden zu reduzieren. Dies wurde bereits vor zwei Jahren festgelegt, beginnend für Januar 2019. Es wurde vereinbart, dass keine stundenweise wöchentliche Reduzierung erfolgen soll, sondern Beschäftigte einen Anspruch auf zusätzlich 14 freie Tage im Jahr erhalten.
Außerdem ist eine Art „Mini-Sabbatjahr“ bei der Telekom vorgesehen: Hier wurde sich auf ein Teilzeitarbeitsmodell geeinigt, bei dem die Mitarbeiter bei gleicher Arbeitszeit einen Teil ihres Gehaltes reduzieren und dafür weitere freie Tage im Jahr bekommen können.
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