Jetzt: Vier-Tage-Woche in Behörden!
Mehr Gehalt gegen den Fachkräftemangel
In den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst ruft Verdi eine deutliche Gehaltssteigerung auf und bekräftigt diese Forderungen mit frühen Warnstreiks. Die Arbeitgeber bewerten diese Lohnforderung als vollkommen überzogen, machen ein deutlich geringeres Gegenangebot, was wiederum Verdi ablehnt. Wir müssen uns wohl alle auf einen langen Arbeitskampf einstellen.
Natürlich sind deutliche Gehaltssteigerungen - gerade vor dem Hintergrund des Personalmangels - nachvollziehbar. Bei begehrten Fachkräften werden aber auch 10 Prozent mehr Lohn im öffentlichen Dienst die Schere zum Niveau der Wirtschaft nicht schließen. Auch sind schlechte Arbeitsbedingungen wie beispielsweise vielfach in der Pflege durch Geld nicht auszugleichen. Letztlich zeigen Studien immer wieder, dass Geld ein Hygienefaktor ist und gute Führung, Entwicklungsmöglichkeiten, Kollegenzusammenhalt, Möglichkeiten zum Homeoffice und weitere Maßnahmen unter dem Stichwort New Work viel eher zu einer Bewerbung motivieren.
Erfolg trotz oder dank Viertagewoche?
Seit einigen Tagen ist da eine neue Studie in aller Munde. Untersucht wurden knapp 60 Unternehmen, die ein halbes Jahr lang die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohn ausprobierten. Tatsächlich ist der Umsatz dieser Unternehmen um 1,4 Prozent gestiegen. Die Vier-Tage-Woche bedeutet also nicht zwingend einen Bedarf an mehr Personal! Wie das geht? Ich vermute einen ähnlichen Effekt wie zu Beginn des Homeoffice in Pandemiezeiten: Unnütze Meetings fielen ersatzlos aus oder verkürzten sich radikal. Ein echter Effizienzgewinn.
Was aufhorchen lässt, ist, dass gleichzeitig die Fluktuation um 57 Prozent sank. Offensichtlich ist ein Mehr an Freizeit extrem attraktiv. Bereits 2018 bot der Tarifabschluss für die Metall- und Elektroindustrie als Option acht Tage mehr Freizeit an. 190.000 Arbeitnehmer nahmen das Angebot an. Ein deutliches Zeichen kann es kaum geben, dass Zeit mehr wert ist als Lohnzuwachs. 15 Prozent der Beschäftigten der Studie gaben an, dass kein Geldbetrag sie dazu bringen würde, wieder zurück in den Fünf-Tage-Rhythmus zu wechseln. Werden im Tarifkonflikt aktuell die falschen Themen diskutiert?
Besser Leben. Und Arbeiten.
Personalerhalt ist das beste Recruiting. Denn jede Stelle, die in Zeiten des Fachkräftemangels nicht nachbesetzt werden muss, ist ein Gewinn. Die Vier-Tage-Woche kann hier offensichtlich eine Antwort sein. Aber die Studie weist weitere beeindruckende Ergebnisse auf: So sind während der 6 Monate mit 4 Arbeitstagen pro Woche die Krankmeldungen um 65 Prozent zurückgegangen. Eine Zahl, die jedes Personaler-Herz hüpfen lässt, denn Umplanung von Dienstplänen, Überstundenaufbau der verbleibenden Kollegen oder Einstellung von Aushilfen reduzieren sich massiv. Kein Wunder also, dass 56 von 61 Firmen das Arbeitsmodell fortführen wollen.
Aber auch den Menschen geht es offensichtlich viel besser. 39 Prozent gaben an, weniger gestresst zu sein, 71 Prozent haben ein reduziertes Burnout-Empfindungen, jeder zweite erlebt eine Verbesserung seiner Work-Life-Balance. Eine Win-Win-Situation. Interessant, dass gerade die an der Studie beteiligten Menschen im Non-Profit- und Dienstleistungsbereich in der freien Zeit mehr Sport machten. Welches teure BGM-Programm in Behörden kann mit solchen Ergebnissen aufwarten?
Mehr Arbeit, die Bock macht
Die Viertagewoche sollte daher für beide Seiten - Arbeitgeber und Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes - mehr als nur eine Überlegung wert sein. Allerdings ignorieren beide Seiten das Thema bisher. Das Bundesurlaubsgesetz zählt sogar den Samstag bis heute als Werktag und die 40-Stunden-Woche gilt seit 1965. Ist es da nicht längst Zeit für ein Umdenken? Zumal sich die Arbeit seitdem und vor allem durch die Digitalisierung massiv verändert hat. Mein Vorschlag ist daher, im Jahr 2023 nicht nur Lohnerhöhungen zu fordern, sondern eine Verringerung der Arbeitszeit oder eben die Viertagewoche in den Blick zu nehmen – gerade auch, um im Fachkräftemangel attraktiv zu bleiben.
Die Reaktion der Arbeitgeber auf ein Modell mit 4 Tagen Arbeit pro Woche ist ebenfalls mehr als verhalten. BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter fordert vielmehr „mehr Bock auf Arbeit“, verlangt mehr Leistung und längere Arbeitszeiten. Was er übersieht: Das Versprechen Karriere und Erfolg durch Leistung wird seitens der Unternehmen schlicht nicht eingehalten. Das gilt im Speziellen für Frauen, Teilzeitkräfte und Eltern und im Besonderen für die, die vor Fehlentscheidungen warnen. Mein Vorschlag wäre stattdessen „Mehr Arbeit, die Bock macht“ durch bessere Führung, Augenhöhe, Weiterentwicklung und flexibles Arbeiten. Und genau zu letzterem gehört auch die Vier-Tage-Woche.
Machen ist wie wollen. Nur krasser.
In der Studie wurden eher kleine Unternehmen mit bis zu 100 Beschäftigten betrachtet. Auch gab es keine Kontrollgruppe. Gerne würde ich nach einem Jahr nochmal einen Blick auf die Ergebnisse werden, um kurzfristige Effekte auszuschließen. Dennoch bestätigt diese Untersuchung ältere Forschungsergebnisse und Studien zur Arbeit der so genannten Generation Z. Fakt ist, die Menschen arbeiten gerne, wünschen sich aber mehr Flexibilität und Freizeit - für sich und die Familie. Kein Wunder, dass die Option auf ein Sabbatical hoch attraktiv ist. Wenn das alles bekannt ist, warum passiert dann so wenig?
Als Arbeitgeber muss man das Ende der Tarifverhandlung nicht abwarten. Ich bin gespannt, welche Behörde als erstes eine Viertagewoche anbietet und bin überzeugt, dass dies einen wesentlichen Unterschied beim Recruiting macht. Bei ansonsten gleichen Aufgaben, Hierarchien und Gehaltstrukturen werden die Arbeitgeber im Fachkräftemangel bestehen, die sich hinsichtlich der Arbeitszeit flexibel zeigen.
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