Interview: "Die vorliegenden Vorschläge sind völlig ungeeignet"
Haufe Online-Redaktion: Herr Professor Henssler, in der Öffentlichkeit wir viel über Werkverträge im Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal diskutiert. Welche Probleme sehen Sie in der Praxis?
Martin Henssler: Durch die öffentliche Debatte über Werkverträge sind ganz zu Unrecht auch solche Dienstleistungen in Misskredit geraten, bei denen ein unmittelbarer Bedarf nach der Ausgestaltung als Dienst- oder Werkvertrag besteht. Die als Auftraggeber von Beratungsleistungen auftretenden Unternehmen befürchten derzeit aufgrund einer verbreiteten Rechtsunsicherheit, letztlich von den Mitarbeitern der Beratungsunternehmen in Anspruch genommen zu werden, die ihren Arbeitnehmerstatus bei ihnen einklagen. Sie drängen daher die Beratungsunternehmen in die nicht passende Leiharbeit, um für sich selbst Rechtssicherheit zu erhalten. Außerdem ist zu beobachten, dass mobile ausländische Arbeitnehmer, die nicht gewerkschaftlich vertreten sind, ihre eindeutigen Rechte nicht wahrnehmen. Hier besteht Handlungsbedarf.
Haufe Online-Redaktion: Können die vorliegenden Vorschläge für ein mögliches Gesetz diese Probleme lösen?
Henssler: Sowohl die bisher erarbeiteten Gesetzesvorschläge als auch die im Koalitionsvertrag angedachte Kodifikation der Rechtsprechungsgrundsätze sind im Gegenteil sogar völlig ungeeignet. Die Festschreibung der Rechtsprechung ist aufgrund der Vielfalt der Fallkonstellationen allenfalls auf einem sehr hohen Abstraktionsniveau möglich und wird daher die Rechtsanwendung nicht befördern. Der Vorschlag eines Negativkatalogs, nach dem bei Vorliegen einer bestimmten Anzahl von Indizien eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung vermutet wird, wiederholt die Fehler der Vergangenheit. Er erinnert fatal an das sogenannte arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Korrekturgesetz vom Dezember 1998. Dieses Gesetz, insbesondere die mit den neuen Vorschlägen vergleichbare Reform des § 7 Abs. 4 SGB IV, war wohl der größte Flop in der jüngeren Arbeitsrechtsgeschichte. Es musste schon nach wenigen Monaten aufgrund der Fehlanreize komplett revidiert werden. Jetzt sollen erneut einzelne, und zudem überholte Missbräuche, zum Anlass für eine völlige Überreaktion genommen werden.
"Es droht aus dem Blick zu geraten, dass Werkverträge grundsätzlich völlig unproblematische, ja sogar unverzichtbare Gestaltungen in einer arbeitsteiligen Wirtschaft sind."Professor Martin Henssler, Universität zu Köln.
Haufe Online-Redaktion: Sie sehen also nicht, dass Unternehmen das Institut des Werkvertrags missbräuchlich einsetzen?
Henssler: Es ist zu konzedieren, dass es Missbräuche tatsächlich gegeben hat, etwa in der Fleischindustrie. Sie sind jedoch längst erfolgreich bekämpft und inzwischen nicht mehr zu beobachten. Die Rechtsprechung hatte keine Schwierigkeiten, derartige Problemfälle auf der Grundlage ihrer bisherigen Entscheidungspraxis zu bewältigen und effektiven Arbeitnehmerschutz zu verwirklichen. Es gibt daher kein Regelungsdefizit, sondern es gab lediglich ein Rechtsdurchsetzungsdefizit. Es fehlt in eklatanter Weise an einer aktuellen Aufarbeitung der Rechtstatsachen, die aber im Vorfeld einer derart einschneidenden Reform, wie sie geplant ist, unverzichtbar wäre. Meines Erachtens droht aus dem Blick zu geraten, dass Werkverträge grundsätzlich völlig unproblematische, ja sogar unverzichtbare Gestaltungen in einer arbeitsteiligen Wirtschaft sind.
Professor Dr. Martin Henssler ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Arbeits- und Wirtschaftsrecht an der Universität zu Köln.
Hinweis: Welche Lösungen Professor Henssler vorschlägt, welche Motive tatsächlich hinter den aktuellen Reformbewegungen stehen und welche Vorgaben die Rechtsprechung macht, lesen Sie im ausführlichen Interview in Ausgabe 9/2015 des Personalmagazins (hier können Sie die Ausgabe als App herunterladen).
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