Entscheidungsstichwort (Thema)
Differenzierung zwischen Teil- und Vollzeitbeschäftigten hinsichtlich der zur Erlangung tarifvertraglicher Unkündbarkeit zurückzulegenden Dienstzeit
Leitsatz (redaktionell)
Eine Tarifnorm, die für den Ausschluß einer ordentlichen Kündigung (sogenannte tarifvertragliche Unkündbarkeit) bei Teilzeitbeschäftigten die Zurücklegung einer längeren Dienstzeit fordert als bei Vollzeitbeschäftigten, verstößt gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG.
Normenkette
TVG § 1; GG Art. 3 Abs. 1; BeschFG Art. 1 § 6 Abs. 1, § 2 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die am 6. Juli 1939 geborene Klägerin ist seit dem 1. April 1974 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Reinigungskraft beschäftigt. Nach einer anfänglichen Wochenarbeitszeit von 22 Stunden ist sie seit dem 1. August 1979 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden tätig.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb) Anwendung. § 26 a Abs. 1 TV Arb lautet wie folgt:
"Unkündbar ist ein ständiger Arbeiter, wenn er
als
a) vollbeschäftigter Arbeiter eine Dienstzeit von
25 Jahren,
b) vollbeschäftigter Arbeiter nach Vollendung des
40. Lebensjahres eine Postdienstzeit von
15 Jahren,
c) nichtvollbeschäftigter Arbeiter mit einer ar-
beitsvertraglich vereinbarten durchschnittli-
chen Wochenarbeitszeit von mindestens der
Hälfte der jeweils geltenden regelmäßigen Ar-
beitszeit nach Vollendung des 40. Lebensjahres
eine Postdienstzeit von 20 Jahren
vollendet hat."
Vom 1. Oktober 1991 bis zum 15. April 1992 wurde die Klägerin nicht beschäftigt und bezog eine Rente aus der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost. Der Beginn ihrer sog. "Postdienstzeit" wurde in diesem Zusammenhang auf den 15. Oktober 1974 festgesetzt.
Mit Schreiben vom 12. April 1994 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien krankheitsbedingt unter Einhaltung der tariflichen Kündigungsfrist zum 31. Dezember 1994.
Die Klägerin hat sich mit ihrer am 26. April 1994 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gegen die Kündigung gewandt. Sie hat die Auffassung vertreten, sie sei nach Maßgabe des § 26 a TV Arb ordentlich nicht mehr kündbar. Zwar seien dieser Vorschrift zufolge Teilzeitbeschäftigte, die im Kündigungszeitpunkt das 40. Lebensjahr vollendet hätten, erst nach 20jähriger Dienstzeit unkündbar. Für Vollzeitkräfte genügten jedoch schon 15 Jahre Beschäftigung. Diese Differenzierung verstoße gegen höherrangiges Recht.
Die Klägerin hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung, beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis aufgrund
der ordentlichen Kündigung vom 12. April 1994
nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, die von den Tarifvertragsparteien vorgenommene Differenzierung zwischen Voll- und Teilzeitkräften sei rechtlich zulässig, da sachlich begründet. Für Teilzeitbeschäftigte sei die Sicherung des Arbeitsplatzes durch die Unkündbarkeit objektiv betrachtet nicht in dem Maße existenziell wichtig, wie bei einem Vollzeitbeschäftigten, da sie entweder noch andere Einnahmequellen zur Verfügung hätten oder in weiteren Teilzeitarbeitsverhältnissen zu anderen Arbeitgebern stünden. Aufgrund der geringeren Anwesenheit im Betrieb sei die Betriebsbindung gegenüber einem vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer zudem bei weitem weniger ausgeprägt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
A. Die Revision ist zulässig. Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, daß die Revisionsbegründung, die sich in der Senatsakte befindet, keine Originalunterschrift aufweist.
Grundsätzlich muß die Revisionsbegründung zwar gem. § 554 Abs. 5, § 553 Abs. 2, § 130 Nr. 6 ZPO vom Prozeßbevollmächtigten des Revisionsklägers eigenhändig unterschrieben sein. Das Fehlen der Unterschrift ist aber dann unschädlich, wenn der Revisionsbegründung vom Prozeßbevollmächtigten des Revisionsklägers eigenhändig und handschriftlich beglaubigte Abschriften der Revisionsbegründung beigefügt sind (vgl. BAG Urteil vom 21. März 1973 - 4 AZR 225/72 - BAGE 25, 114 = AP Nr. 12 zu § 4 TVG Geltungsbereich). Letzteres war vorliegend der Fall.
B. Die Revision ist jedoch in der Sache unbegründet. Ihren Angriffen hält das angefochtene Urteil stand.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung der Beklagten sei unwirksam. Die Klägerin sei gem. § 26 a TV Arb ordentlich nicht mehr kündbar. Nach dem Wortlaut der Vorschrift habe die Klägerin die Voraussetzungen für die Unkündbarkeit im Kündigungszeitpunkt zwar noch nicht erfüllt, die Vorschrift des § 26 a Abs. 1 Lit. c) TV Arb sei jedoch gem. § 134 BGB wegen Verstoßes gegen Art. 1 § 2 BeschFG, Art. 3 Abs. 1 GG nichtig. Teilzeitbeschäftigte würden durch die tarifliche Vorschrift ohne rechtfertigenden Grund allein wegen ihrer Teilzeitarbeit benachteiligt. Die Benachteiligung könne nur dadurch ausgeglichen werden, daß auch auf Teilzeitbeschäftigte die Regelungen für Vollzeitbeschäftigte Anwendung fänden. Die danach geltenden Voraussetzungen für eine Unkündbarkeit würden durch die Klägerin erfüllt.
II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung.
1. Gemäß Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG darf der Arbeitgeber einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer nicht wegen der Teilzeitarbeit gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandeln, es sei denn, daß sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen.
a) Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG findet seit dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens am 1. Mai 1985 auf das im Jahre 1974 begründete Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Die vorgenannte Regelung gilt nicht nur für Verträge, die nach ihrem Inkrafttreten geschlossen worden sind, sondern auch für solche, die im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens bereits bestanden haben (vgl. BAG Urteil vom 25. Januar 1989 - 5 AZR 161/88 - BAGE 61, 43, 46 = AP Nr. 2 zu § 2 BeschFG 1985, zu II 1 der Gründe; BAG Urteil vom 24. Oktober 1989 - 8 AZR 5/89 - BAGE 63, 181, 186 = AP Nr. 29 zu § 11 BUrlG, zu II 2, 3 der Gründe; BAG Urteil vom 5. November 1992 - 6 AZR 420/91 - AP Nr. 5 zu § 10 TV Arb Bundespost).
b) Vorliegend will die Beklagte die Ungleichbehandlung der teilzeitbeschäftigten Klägerin gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern damit begründen, daß § 26 a Abs. 1 TV Arb dies vorsieht. Zwar kann nach dem Wortlaut des Art. 1 § 6 Abs. 1 BeschFG durch Tarifvertrag von den Vorschriften des zweiten Abschnitts des BeschFG (Teilzeitarbeit) auch zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Dies rechtfertigt aber keine Ungleichbehandlung von Teil- und Vollzeitbeschäftigten ohne sachlichen Grund, denn auch die Tarifvertragsparteien sind bei ihrer Normsetzung an die Grundrechte und damit auch an den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden (vgl. BAG Urteil vom 5. November 1992 - 6 AZR 420/91 -, aaO; vgl. auch BAG Beschluß vom 29. August 1989 - 3 AZR 370/88 - BAGE 62, 334, 338 = AP Nr. 6 zu § 2 BeschFG 1985; BAG Urteil vom 21. März 1991 - 2 AZR 616/90 - BAGE 67, 367 = AP Nr. 31 zu § 622 BGB; BAG Urteil vom 16. September 1993 - 6 AZR 691/92 - AP Nr. 2 zu § 9 TV Arb Bundespost).
2. Sachliche Gründe, die die unterschiedliche Behandlung der Teilzeitbeschäftigten gegenüber den Vollzeitbeschäftigten gemäß § 26 a Abs. 1 Lit. b) und c) TV Arb rechtfertigen, bestehen nicht. Nach dem eindeutigen Tarifwortlaut erfolgt die Differenzierung nur nach den Kriterien der Teil- bzw. Vollzeitarbeit.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts rechtfertigt jedoch allein das unterschiedliche Arbeitspensum der Teilzeitbeschäftigten und der Vollzeitbeschäftigten eine unterschiedliche Behandlung noch nicht. Die Sachgründe müssen anderer Art sein, etwa auf Arbeitsleistung, Qualifikation, Berufserfahrung oder unterschiedlichen Anforderungen am Arbeitsplatz beruhen (statt vieler: BAG Urteil vom 25. Oktober 1994 - 3 AZR 149/94 - AP Nr. 40 zu § 2 BeschFG 1985, zu II 3 der Gründe, m.w.N.). Die Menge der Arbeitsleistung stellt somit für sich genommen keinen sachlichen Grund dar, um unterschiedliche Voraussetzungen für den Eintritt der Unkündbarkeit zu rechtfertigen.
b) Soweit die Revision aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25. Oktober 1994 (- 3 AZR 149/94 -, AP, aaO) etwas anderes herleiten zu können glaubt, kann dem nicht gefolgt werden. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung darauf abgestellt, daß bei der Bemessung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung eine Anknüpfung an das unterschiedliche Arbeitsentgelt zulässig ist, da zwischen erbrachter Arbeitsleistung und zu zahlender Vergütung ein Austauschverhältnis besteht (vgl. BAG Urteil vom 25. Oktober 1994 - 3 AZR 149/94 - AP, aaO, zu III 1 a der Gründe). Gerade dies gilt im Hinblick auf einen Kündigungsausschluß aber nicht.
c) Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, soll durch die Garantie der Unkündbarkeit der Betriebstreue und der mit dem Lebensalter zunehmenden Schwierigkeit, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, Rechnung getragen werden. Hinsichtlich der Betriebstreue hat das Bundesarbeitsgericht in der von der Revision zitierten Entscheidung (BAG Urteil vom 25. Oktober 1994 - 3 AZR 149/94 -, AP, aaO, zu II 3 c cc (5) der Gründe) ausdrücklich ausgeführt, daß insoweit gerade kein wesentlicher Unterschied zwischen Voll- und Teilzeitkräften besteht. Dies hat auch das Landesarbeitsgericht erkannt. Entgegen der Ansicht der Beklagten bemißt sich die Betriebstreue nicht nach den geleisteten Arbeitsstunden, sondern nach der Dauer des rechtlichen Bestandes des Arbeitsverhältnisses. Auch besteht kein Anhaltspunkt dafür, daß bezüglich der mit dem Lebensalter zunehmenden Schwierigkeit, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, zwischen Voll- und Teilzeitkräften ein Unterschied besteht.
d) Nicht zu überzeugen vermag auch die Ansicht der Beklagten, eine Differenzierung sei aufgrund der unterschiedlichen wirtschaftlichen Bedeutung von Teil- und Vollzeitarbeitsverhältnissen für die jeweiligen Arbeitnehmer gerechtfertigt; die Sicherung des Arbeitsplatzes durch die Unkündbarkeit sei bei Teilzeitkräften existenziell nicht in dem Maße wichtig wie bei Vollzeitkräften. Diese Argumentation verkennt, daß vielen Arbeitnehmern als einzige Möglichkeit der Erwerbstätigkeit nur ein Teilzeitarbeitsverhältnis bleibt. Dies gilt im besonderen Maße für alleinerziehende Mütter und Väter, für die sich wegen der geringeren täglichen Arbeitszeit und der flexibleren Gestaltbarkeit deren Lage häufig nur eine Teilzeitbeschäftigung mit den erzieherischen Aufgaben in Einklang bringen läßt. Solche Arbeitnehmer sind zur Sicherung ihrer Existenz in gleicher Weise auf ihren Arbeitsplatz angewiesen wie Vollzeitbeschäftigte. Aber auch bei Teilzeitbeschäftigten, die anderweitig finanziell abgesichert sind (z.B. über Einkünfte des Ehepartners oder aus einer weiteren Teilzeitbeschäftigung), kann nicht generell von einer geringeren Schutzbedürftigkeit ausgegangen werden. Auch soweit es sich nur um einen Zusatzerwerb handelt, ist dieser häufig für das Auskommen der Familien notwendig oder gar unverzichtbar.
e) Schließlich ist entgegen der Ansicht der Beklagten auch unerheblich, ob die Tarifvertragsparteien davon ausgegangen sind, daß für die getroffene Regelung ein sachlicher Grund im Sinne der Rechtsprechung vorliegt. Trotz der besonderen Sachkunde der Tarifvertragsparteien kann nicht unterstellt werden, daß ihre Regelungen stets den Anforderungen des Gleichheitssatzes genügen.
3. Fehlt es somit an sachlichen Gründen für die in § 26 a Abs. 1 Lit. b) und c) TV Arb vorgenommene Differenzierung, ist diese Tarifregelung wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG insgesamt nichtig. Für die Vergangenheit läßt sich - unbeschadet der Möglichkeit der Tarifvertragsparteien, eine neue Regelung für die Zukunft zu treffen - die verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung von Voll- und Teilzeitkräften nach Vollendung des 40. Lebensjahres nur dadurch verwirklichen, daß auch den Teilzeitkräften die Unkündbarkeit bereits ab einer Postdienstzeit von 15 Jahren gewährt wird (vgl. BAGE 50, 137 = AP Nr. 136 zu Art. 3 GG). Dies gebietet auch Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG. Danach konnte die Klägerin nicht mehr ordentlich gekündigt werden. Auf Art. 119 Abs. 1 EG-Vertrag oder andere Benachteiligungsverbote kommt es deshalb nicht mehr an.
Etzel Bitter Fischermeier
Nipperdey Walter
Fundstellen
Haufe-Index 437572 |
BAGE 00, 00 |
BAGE, 257 |
BB 1997, 1638-1639 (Leitsatz 1 und Gründe) |
BB 1997, 737 (Kurzwiedergabe) |
DB 1997, 1621-1622 (Leitsatz 1 und Gründe) |
DB 1997, 683 (Kurzwiedergabe) |
DStR 1997, 977 (Kurzwiedergabe) |
NWB 1997, 1051 |
BuW 1997, 320 (Kurzwiedergabe) |
EBE/BAG 1997, 98-99 (Leitsatz 1 und Gründe) |
EBE/BAG Beilage 1997, Ls 118/97 (Leitsatz 1) |
WiB 1997, 933 (Leitsatz) |
ARST 1997, 208-209 (Leitsatz 1 und Gründe) |
ARST 1997, 97 (Kurzwiedergabe) |
ASP 1997, Nr 3/4, 68 (Kurzwiedergabe) |
JR 1998, 44 |
NZA 1997, 842 |
NZA 1997, 842-844 (Leitsatz 1 und Gründe) |
SAE 1998, 188 |
ZAP, EN-Nr 299 (red. Leitsatz und Gründe) |
AP § 2 BeschFG 1985 (Leitsatz 1 und Gründe), Nr 54 |
AP, 0 |
ArbuR 1997, 292 (Leitsatz 1) |
AuA 1998, 286 |
EzA-SD 1997, Nr 6, 4 (Kurzwiedergabe) |
MDR 1997, 848 |
MDR 1997, 848-849 (Leitsatz und Gründe) |
PersR 1997, 423 |
Streit 1997, 176 |
ZMV 1997, 249 |
ZfPR 1997, 93 (red. Leitsatz 1) |