Entscheidungsstichwort (Thema)
Überprüfbarkeit einer in gerichtliches Ermessen gestellten Verfahrensaussetzung. Prüfungsbefugnis des Beschwerdegerichts. Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren. Hauptverfahren
Leitsatz (amtlich)
a) Soweit die Aussetzung eines Verfahrens in das Ermessen des Gerichts gestellt ist, kann die Entscheidung im Beschwerderechtszug nur auf Ermessensfehler kontrolliert werden. Das Beschwerdegericht hat jedoch uneingeschränkt zu prüfen, ob ein Aussetzungsgrund gegeben ist.
b) Im Beschwerderechtszug über die Aussetzung eines Verfahrens kann keine Kostenentscheidung ergehen, weil bereits die Ausgangsentscheidung als Teil der Hauptsache keine Kostenentscheidung enthalten darf und das Beschwerdeverfahren daher nur einen Bestandteil des Hauptverfahrens bildet.
Normenkette
ZPO §§ 91, 97, 252
Verfahrensgang
Brandenburgisches OLG (Beschluss vom 27.10.2004; Aktenzeichen 3 W 37/04) |
LG Frankfurt (Oder) (Beschluss vom 25.06.2004; Aktenzeichen 12 O 264/03) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 3. Zivilsenats des OLG Brandenburg v. 27.10.2004 aufgehoben und der Beschluss der 12. Zivilkammer des LG Frankfurt (Oder) v. 25.6.2004 abgeändert:
Der Rechtsstreit wird ausgesetzt.
Geschäftswert: 10.500 EUR
Gründe
I. Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die Eigentümerin des Wohn- und Geschäftshauses B. straße 15 in S. war. Sie nimmt die Beklagte, eine in der Rechtsform einer GmbH geführte Steuerberatungsgesellschaft, mit der im Jahre 2002 zugestellten Klage aus zwei mit Ablauf des Jahres 2001 beendeten Mietverhältnissen auf Zahlung von Miete und Nebenkosten i.H.v. 43.586,99 EUR in Anspruch. Die Beklagte hat mit Forderungen aus steuerlicher Beratung aufgerechnet und hilfsweise Widerklage auf Zahlung der Vergütung erhoben.
Durch eine Vereinbarung v. 8.1.2003 übertrugen die Gesellschafter der Klägerin ihre Gesellschaftsanteile mit Wirkung zum 31.12.2002 auf den Mitgesellschafter H. -J. L. und beschlossen zugleich "die Auflösung der Gesellschaft". Die bis zum 19.12.2002 begründeten Verbindlichkeiten sollten von "allen bisherigen Gesellschaftern im Verhältnis ihrer Beteiligungen" getragen werden; andererseits sollten ihnen die bis zu diesem Zeitpunkt begründeten Mietforderungen aus dem Objekt zustehen. Ab dem 19.12.2002 sollten alle Verbindlichkeiten und Einnahmen auf den Erwerber L. übergehen.
Mit Schriftsatz v. 14.4.2004 ist L. auf Klägerseite als vermeintlicher Rechtsnachfolger in den Rechtsstreit eingetreten und hat eine entsprechende Rubrumsberichtigung angeregt. Die Beklagte beantragt die Aussetzung des Verfahrens, weil die Klägerin durch Abtretung aller Gesellschaftsanteile auf einen Gesellschafter ohne Liquidation erloschen sei (§§ 239, 246 ZPO). Überdies sei die Aussetzung nach § 148 ZPO gerechtfertigt, weil ein von der Klägerin gegen den Geschäftsführer der Beklagten vor dem LG Neuruppin geführter Rechtsstreit für das vorliegende Verfahren vorgreiflich sei. Das LG hat den Antrag abgewiesen. Die dagegen eingelegte Beschwerde blieb ohne Erfolg. Mit der von dem OLG zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter.
II. Das OLG hat ausgeführt, trotz Abtretung sämtlicher Gesellschaftsanteile sei L. nicht Gesamtrechtsnachfolger der Klägerin geworden. Ziel der Abtretung sei es gewesen, L. das Eigentum an dem Anwesen B. straße 15 als einem bedeutenden Teil der Vermögenswerte der Klägerin zu übertragen. Die bis zum Stichtag des 19.12.2002 begründeten Ansprüche, zu denen auch die Klageforderung gehöre, hätten jedoch der Klägerin als Abwicklungsgesellschaft verbleiben sollen. Da die nicht vermögenslose Klägerin als Liquidationsgesellschaft fortbestehe, scheide eine Aussetzung nach §§ 246, 239 ZPO aus. Im Blick auf das vor dem LG Neuruppin anhängige Verfahren komme eine Aussetzung nach § 148 ZPO mangels Identität der Parteien nicht in Betracht.
III. Die gem. §§ 574 Abs. 1 Nr. 2, 575 Abs. 1 und 2 ZPO zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg.
1. Die Prüfungsbefugnis des Senats ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde in vorliegender Sache nicht eingeschränkt. Soweit die Aussetzung in das Ermessen des Gerichts gestellt ist (vgl. etwa §§ 148, 149 ZPO), kann zwar die Entscheidung im Beschwerderechtszug nur auf Ermessensfehler kontrolliert werden. Das Beschwerdegericht hat jedoch uneingeschränkt zu prüfen, ob ein Aussetzungsgrund gegeben ist (Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 252 Rz. 8).
2. Zutreffend führt das Beschwerdegericht aus, dass die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO nicht gegeben sind.
Eine Aussetzung des Verfahrens nach dieser Vorschrift kommt nach neuerer Rechtsprechung des BGH nur in Fällen der Vorgreiflichkeit im Sinne einer präjudiziellen Bedeutung des in dem anderen Prozess festzustellenden Rechtsverhältnisses in Betracht. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde scheidet eine Aussetzung aus, wenn die in dem anderen Prozess zu treffende Entscheidung auf das vorliegende Verfahren lediglich Einfluss ausüben kann (BGH, Beschl. v. 30.3.2005 - X ZB 26/04, MDR 2005, 1185 = BGHReport 2005, 1.000 f.). Die danach zu fordernde Vorgreiflichkeit ist nicht gegeben, weil an dem Rechtsstreit vor dem LG Neuruppin sowohl auf Kläger- als auch auf Beklagtenseite andere Parteien beteiligt sind und dem dortigen Verfahren außerdem ein anderer Gesellschaftsvertrag zu Grunde liegt.
3. Das Verfahren ist jedoch gem. §§ 246 Abs. 1 Halbs. 2, 239 Abs. 1 ZPO auf Antrag der Beklagten wegen des liquidationslosen Erlöschens der Klägerin auszusetzen.
a) Zwar hat das Beschwerdegericht nicht verkannt, dass eine Personengesellschaft bei Abtretung sämtlicher Anteile an einen einzigen Gesellschafter ohne Liquidation untergeht (BGH v. 10.5.1978 - VIII ZR 32/77, BGHZ 71, 296 [300]; BGHZ 65, 79 [82 f.]) und auf diesen Rechtsübergang während eines Rechtsstreits die §§ 239, 246 ZPO sinngemäß anzuwenden sind (BGH, Urt. v. 15.3.2004 - II ZR 247/01, BGHReport 2004, 1090 m. Anm. Pentz = GmbHR 2004, 952 = MDR 2004, 950 = WM 2004, 1138 f.; Beschl. v. 18.2.2002 - II ZR 331/00, NJW 2002, 1207). Eine solche Sachverhaltskonstellation ist jedoch, anders als das Berufungsgericht meint, im Streitfall gegeben. Mit seiner Würdigung, dass nach dem Inhalt der Vereinbarung der Parteien v. 8.1.2003 der Gesellschafter L. nicht Gesamtrechtsnachfolger der Klägerin geworden sei, verletzt das Beschwerdegericht, was im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen ist (BGH, Urt. v. 14.10.1994 - V ZR 196/93, MDR 1995, 31 = NJW 1995, 45 f.), tragende Grundsätze der Vertragsauslegung.
b) Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass L. mit Hilfe der Vereinbarung das Eigentum an dem Anwesen verschafft werden sollte, zieht daraus aber nicht die für die Auslegung gebotenen rechtlichen Konsequenzen. Da der Vertragszweck bei einer privatschriftlichen Übertragung allein des Hausgrundstücks mangels Beachtung der notariellen Form (§§ 311b, 925 BGB) vereitelt würde, ist nach dem Grundsatz der vertragskonformen Auslegung (BGH, Urt. v. 14.3.1990 - VIII ZR 18/89, MDR 1990, 1102 = NJW-RR 1990, 817 f.; Urt. v. 3.3.1971 - VIII ZR 55/70, NJW 1971, 1034 f.) einer formlos gültigen Abtretung der Gesellschaftsanteile (BGH v. 31.1.1983 - II ZR 288/81, BGHZ 86, 367 [369 ff.] = MDR 1983, 467) der Vorzug zu geben. Das Beschwerdegericht lässt ferner rechtsfehlerhaft den Wortlaut des Vertrages (BGH v. 3.11.1993 - VIII ZR 106/93, BGHZ 124, 39 [44 f.] = MDR 1994, 136; Urt. v. 7.3.2005 - II ZR 194/03, BGHReport 2005, 1119 = ZIP 2005, 1068 f.) außer Betracht, der von einer "Übertragung" wie auch einer "Abtretung" der Gesellschaftsanteile spricht und i.V.m. dem von den Parteien verfolgten Vertragszweck ein liquidationsloses Erlöschen der Gesellschaft nahe legt. Mit seiner weiteren Würdigung, der Gesellschaft seien als Vermögenswerte die bis zum 19.12.2002 begründeten Mietforderungen verblieben, setzt sich das Beschwerdegericht sogar über den Wortlaut der Vereinbarung hinweg, wonach diese Forderungen an "die bisherigen Gesellschafter im Verhältnis ihrer Beteiligung" abgetreten wurden. Auf Grund dieser Abtretung und der nachfolgenden - erst zum 31.12.2002 wirksamen - Übertragung der Gesellschaftsanteile auf L. ist der Klägerin kein auseinander setzbares Vermögen verblieben. Folglich hat L. am 31.12.2002 die Gesellschaftsanteile seiner Mitgesellschafter mit allen Rechten und Pflichten, wobei sich die Zuweisung der Altverbindlichkeiten an die Gesellschafter wegen der fortdauernden Haftung der Gesellschaft und ihres Rechtsnachfolgers L. lediglich als Erfüllungsübernahme (§§ 415 Abs. 3, 329 BGB) darstellt, übernommen. Infolge des durch die Übertragung aller Gesellschaftsanteile auf den Gesellschafter L. bedingten Erlöschens der Klägerin ist der Antrag der Beklagten auf Aussetzung des Verfahrens (§ 246 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO) begründet.
4. Eine Kostenentscheidung kann nicht ergehen, weil die Ausgangsentscheidung des LG über die Aussetzung des Verfahrens als Teil der Hauptsache keine Kostenentscheidung enthalten durfte und das Beschwerdeverfahren daher nur einen Bestandteil des Hauptverfahrens darstellt. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens bilden einen Teil der Kosten des Rechtsstreits, die unabhängig von dem Ausgang des Beschwerdeverfahrens die nach §§ 91 ff. ZPO in der Sache unterliegende Partei zu tragen hat (Musielak/Ball, ZPO, 4. Aufl., § 572 Rz. 24; Lipp in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., (AB) § 575 Rz. 23 i.V.m. § 572 Rz. 34).
Fundstellen
Haufe-Index 1475863 |
BB 2006, 465 |
BGHR 2006, 449 |
NJW-RR 2006, 1289 |
JurBüro 2006, 333 |
MDR 2006, 704 |
PA 2006, 57 |