Hat der Arbeitgeber nicht nur einen unvollständigen, sondern überhaupt keinen Nachweis über die vereinbarten Arbeitsbedingungen erteilt, kann der Arbeitnehmer im gerichtlichen Verfahren seine Ansprüche nicht auf die Nachweisurkunde stützen. Insoweit könnte es für den Arbeitgeber günstiger erscheinen, wenn er seiner Nachweispflicht überhaupt nicht nachkommt.

Schon im ursprünglichen Gesetzgebungsverfahren ist daher vorgeschlagen worden, in diesem Fall eine gesetzliche Beweislastumkehr zugunsten des Arbeitnehmers aufzunehmen. Diese hätte zur Folge gehabt, dass der Arbeitgeber gegenüber einer Behauptung des Arbeitnehmers über die Vereinbarung einer Vertragsbedingung grundsätzlich darlegungs- und beweispflichtig gewesen wäre. Zu einer solchen Regelung ist es aber nicht gekommen. Der Gesetzgeber hat hiervon auch in der Neufassung des NachwG zum 1.8.2022 Abstand genommen, obwohl die RL 2019/1152/EU durchaus diesen Weg eröffnet hätte.

 
Praxis-Beispiel

Darlegungs- und Beweislast

Der Arbeitnehmer behauptet im gerichtlichen Verfahren, ein Stundenlohn von 15 EUR sei zwischen den Parteien vereinbart worden, während der 8-monatigen Dauer des Arbeitsverhältnisses sind vom Arbeitgeber lediglich 13 EUR abgerechnet und auch vergütet worden. Bestreitet der Arbeitgeber die Angaben des Arbeitnehmers, muss dieser nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen als Anspruchsteller für seine Behauptung im Bestreitensfall Beweis antreten. Bei einer Beweislastumkehr müsste hingegen der Arbeitgeber beweisen, dass ein Bruttostundenentgelt von 13 EUR vereinbart worden ist.

Da die Möglichkeit der Beweislastumkehr vom Gesetzgeber bisher stets und auch im Rahmen der Änderungen zum 1.8.2022 verworfen wurde, kann nach der momentanen Gesetzeslage auch keine solche angenommen werden.[1] Da das NachwG aber auch keine sonstige Sanktion für den Fall der Nichterteilung des Nachweises enthält, bliebe theoretisch die Säumnis des Arbeitgebers zivilprozessual ohne Folgen. Das kann ebenfalls nicht gewollt sein, zumal es fraglich erscheint, ob eine solche Konsequenz mit den Vorgaben der Nachweis-Richtlinie zu vereinbaren wäre. Zwar enthält diese auch keine Regeln zur Beweislast. Gleichwohl ist der nationale Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des EuGH bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht zur Ergreifung von Maßnahmen verpflichtet, die hinreichend wirksam sind, das Richtlinienziel zu erreichen.[2] Die instanzgerichtliche Rechtsprechung tendiert dahin, dass die Nichterteilung des Nachweises durch den Arbeitgeber eine Beweisvereitelung zulasten des Arbeitnehmers darstellen kann, da es gerade Sinn und Zweck des NachwG ist, dem Arbeitnehmer die Beweisführung hinsichtlich seiner Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zu erleichtern.[3] Eine solche Sichtweise stünde auch im Einklang mit den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen. Das geltende Beweisrecht erlaubt die Berücksichtigung der Beseitigung oder Unterdrückung von Beweismitteln zugunsten der beweisbelasteten Partei bei der Beweisführung.[4] Der fehlende Nachweis kann deshalb die Beweisführung insoweit verändern, als das Gericht z. B. an seine Überzeugungsbildung für die Erweislichkeit der vom Arbeitnehmer behaupteten Tatsache geringere Anforderungen stellt. Denkbar ist auch, dass bei Fehlen des Nachweises und Hinzutreten weiterer Umstände für die Richtigkeit des Vortrags des Arbeitnehmers, es dann doch im Ergebnis zu einer Beweislastumkehr kommt.

Die vorstehenden Überlegungen dürften auch nach dem 1.8.2022 Gültigkeit haben. Allein dadurch, dass der Gesetzgeber nun die Verletzung der Verpflichtungen nach dem NachwG als Ordnungswidrigkeiten behandelt, ist über die zivilrechtliche Behandlung von Pflichtverletzungen nichts gesagt. Sähe man dies anders, müsste man ggf. davon ausgehen, dass der Arbeitnehmerschutz nunmehr schwächer ausgeprägt wäre als vorher, was gegen Art. 19, 20 RL 2019/1152/EU verstieße.

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