Entscheidungsstichwort (Thema)
Zutreffende Eingruppierung. Forstrevierleiter
Leitsatz (redaktionell)
Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer zentralen Frage in den Entscheidungsgründen nicht ein, und ist der Sachvortrag nach dem Standpunkt des Gerichts nicht unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert, handelt es sich um eine Verletzung rechtlichen Gehörs durch Nichtberücksichtigung von Sachvortrag.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; ArbGG § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 21. Oktober 2020 - 2 Sa 328/19 - aufgehoben.
2. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.
3. Der Streitwert wird auf 23.179,68 Euro festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
I. Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung des Klägers. Der Kläger ist als Forstrevierleiter bei dem Beklagten tätig. Er erhielt ab dem 1. Januar 2017 zunächst eine Vergütung nach Entgeltgruppe 9b TVöD/VKA. Mit seiner Klage hat er die Feststellung einer Vergütungsverpflichtung des Beklagten nach Entgeltgruppe 12, hilfsweise 11, hilfsweise 10, hilfsweise 9c TVöD/VKA begehrt. Der Beklagte hat erstinstanzlich hinsichtlich einer Eingruppierung in Entgeltgruppe 10 TVöD/VKA den Anspruch des Klägers anerkannt. Das Arbeitsgericht hat daraufhin durch Anerkenntnisteil- und Schlussurteil der Klage hinsichtlich einer Vergütungsverpflichtung nach Entgeltgruppe 11 TVöD/VKA stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und ist lediglich aufgrund des Anerkenntnisses von einem Vergütungsanspruch des Klägers nach Entgeltgruppe 10 TVöD/VKA ausgegangen. Hinsichtlich einer Eingruppierung in Entgeltgruppe 11 TVöD/VKA hat es die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat es zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde, die er auf die Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und grundsätzliche Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage (§ 72 Abs. 2 Nr. 1, § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG) stützt.
Rz. 2
II. Die Beschwerde ist begründet, da das Landesarbeitsgericht wesentlichen Sachvortrag bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt hat (§ 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 ArbGG).
Rz. 3
1. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (st. Rspr., zuletzt zB BVerfG 17. September 2020 - 2 BvR 1605/16 - Rn. 14 mwN).
Rz. 4
2. Nach diesen Maßstäben hat das Landesarbeitsgericht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt.
Rz. 5
a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger sei kein Ingenieur iSd. tariflichen Vorschriften. Er könne nicht den erforderlichen erfolgreichen Abschluss eines technisch-ingenieurwissenschaftlichen Studiengangs einschließlich eines solchen in der Fachrichtung Forstwirtschaft nachweisen. Daher würde ohne das diesbezügliche Anerkenntnis des Klägers (gemeint wohl: des Beklagten) bereits kein Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe 10 TVöD/VKA bestehen. Bereits deshalb komme ein Anspruch auf Vergütung aus Entgeltgruppe 11 TVöD/VKA nicht in Betracht. Dies ergebe sich unabhängig davon auch daraus, dass es sich bei den Entgeltgruppen 10 und 11 TVöD/VKA um Aufbaufallgruppen handele und der Kläger bereits die Anforderungen der Entgeltgruppe 10 TVöD/VKA nicht erfülle. Der Kläger könne keine vergleichbaren Beschäftigten jedenfalls beim Beklagten benennen, da nur er sein Studium in Eberswalde absolviert habe. Eine Vergütung nach Entgeltgruppe 12 TVöD/VKA komme danach erst recht nicht in Betracht.
Rz. 6
b) Damit geht das Landesarbeitsgericht auf wesentlichen Vortrag des Klägers nicht ein, ohne dass erkennbar wäre, dass es diesen Vortrag von seinem Rechtsstandpunkt aus als unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert angesehen hätte.
Rz. 7
aa) Der Kläger hat - wie die Beschwerde darlegt - im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 5. Februar 2020 umfangreich dazu vorgetragen, dass er - sollte er entgegen seiner Auffassung nicht über den erforderlichen Studienabschluss verfügen, um als Ingenieur iSd. tariflichen Vorschriften zu gelten - jedenfalls „sonstiger Beschäftigter“ iSd. Entgeltgruppe 10 TVöD/VKA sei. Er verfüge zumindest über eine gleichwertige Beherrschung des Wissensgebietes eines Forstingenieurs mit entsprechenden Erfahrungen. Die ihm übertragenen Aufgaben würden solche Kenntnisse voraussetzen. Er übe diese Tätigkeiten seit dem Jahr 2013 aus, ihm seien in Zwischenzeugnissen auch „umfangreiche Fachkenntnisse“ bescheinigt worden. Auf diesen Sachvortrag ist das Landesarbeitsgericht an keiner Stelle seiner Entscheidung konkret eingegangen. Im Tatbestand wird ausschließlich klägerischer Vortrag zu der Frage wiedergegeben, ob der Kläger „Ingenieur“ iSd. tariflichen Vorschriften ist. Im Übrigen wird lediglich der Akteninhalt allgemein in Bezug genommen. In den Entscheidungsgründen wird die Möglichkeit, die begehrte Eingruppierung als „sonstiger Beschäftigter“ zu erreichen, nicht angesprochen. Die Klage wird ausschließlich im Hinblick auf eine nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts fehlende Ausbildung als unbegründet angesehen.
Rz. 8
bb) Das Übergehen des Sachvortrags des Klägers ist auch entscheidungserheblich.
Rz. 9
(1) Dafür genügt bei der Rüge der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs, dass nicht auszuschließen ist, dass das Landesarbeitsgericht innerhalb der von ihm selbst im angefochtenen Urteil dargelegten rechtlichen Argumentation bei Berücksichtigung des übergangenen Vortrags zu einer abweichenden Entscheidung gekommen wäre (BAG 25. August 2015 - 8 AZN 268/15 - Rn. 6 mwN).
Rz. 10
(2) Beruht die anzufechtende Entscheidung auf einer Mehrfachbegründung, so kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nur Erfolg haben, wenn jede der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründungen angegriffen wird und die Rügen gegen jede von ihnen durchgreifen (BAG 6. Mai 2015 - 2 AZN 984/14 - Rn. 12).
Rz. 11
(3) Vorliegend erscheint nicht ausgeschlossen, dass das Landesarbeitsgericht unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägers diesen als „sonstigen Beschäftigten“ angesehen und die tariflichen Anforderungen für eine Eingruppierung in Entgeltgruppe 10 TVöD/VKA als erfüllt angesehen hätte. Damit wären aber sowohl die Erst- als auch die ausdrücklich selbständig tragende Zweitbegründung des Landesarbeitsgerichts hinfällig. Denn es hat allein im Hinblick auf die seiner Ansicht nach fehlende Qualifikation des Klägers einen wertenden Vergleich als undurchführbar angesehen und ausschließlich das Studium des Klägers als für einen solchen maßgebend erachtet. Ob die Tätigkeit des Klägers die weiteren tariflichen Anforderungen der Entgeltgruppen 11 und 12 TVöD/VKA erfüllt, wäre ggf. im Anschluss zu prüfen, sollte der Kläger diejenigen der Entgeltgruppe 10 TVöD/VKA erfüllen.
Rz. 12
III. Der Senat macht zur Beschleunigung des Verfahrens von der Zurückverweisungsmöglichkeit gemäß § 72a Abs. 7 ArbGG Gebrauch (vgl. zur Zurückverweisung an eine andere Kammer BAG 12. Dezember 2006 - 3 AZN 625/06 - Rn. 33 f., BAGE 120, 322). Der Zurückverweisung steht nicht entgegen, dass der Frage, ob ein Semester, in dem gleichzeitig die Bachelorarbeit zu schreiben und mehrere Lehrveranstaltungen zu besuchen sind, ein Prüfungssemester iSd. Vorbemerkung Nr. 4 Satz 2 zur Anlage 1 zum TVöD/VKA ist, grundsätzliche Bedeutung zukommen könnte. Ob diese Frage entscheidungserheblich ist, lässt sich nur unter Berücksichtigung des gesamten Sachvortrags der Parteien feststellen. Letzteres ist aber dem Berufungsgericht vorbehalten.
Rz. 13
IV. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG, § 3 ZPO.
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W. Reinfelder |
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Rinck |
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Klug |
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S. Gey-Rommel |
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Kümpel |
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Fundstellen