Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung eines Überleitungstarifvertrages. Tarifauslegung
Leitsatz (amtlich)
Nimmt ein Tarifvertrag auf verschiedene andere Tarifverträge, deren originäre Geltungsbereiche sich nicht überschneiden, in der Weise Bezug, daß mit einem später geschaffenen Tarifvertrag Überschneidungen entstehen, so liegt kein Fall der Tarifkonkurrenz der in Bezug genommenen Tarifverträge vor. Vielmehr ist durch Auslegung des bezugnehmenden Tarifvertrags zu ermitteln, welchen der in Bezug genommenen Tarifregelungen der Vorrang gebührt.
Orientierungssatz
§ 3 des Tarifvertrages zur Überleitung der Angestellten der ostdeutschen Wasserversorgungs- und Abwasserbehandlungsbetriebe in das kommunale Tarifrecht vom 4. Dezember 1991 ist dahin auszulegen, daß nach wie vor der Tarifvertrag über den Rationalisierungsschutz für Angestellte vom 9. Januar 1987 Anwendung findet, obwohl am 6. Juli 1992 der Tarifvertrag zur sozialen Absicherung zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände einerseits und ua. der ÖTV andererseits für die unter den BAT-O, BAT-Ostdeutsche Sparkassen, MTArb-O, BMT-G-O und TV Arbeiter-Ostdeutsche Sparkassen fallende Arbeitnehmer – TV Sozial – abgeschlossen wurde.
Normenkette
TVG § 1; BGB § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
- Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 24. Juli 2002 – 4 Sa 489/01 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 12. September 2001 – 3 Ca 263/01 – abgeändert:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 28.606,65 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % über den Basiszinssatz ab dem 2. Januar 2001 zu zahlen; hinsichtlich des Zinsmehrbegehrens werden die Berufung zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.
- Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, nach welchen Tarifbedingungen sich die Abfindung der Klägerin für den Verlust des Arbeitsplatzes richtet.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand der Tarifvertrag vom 4. Dezember 1991 betreffend die Überleitung der Angestellten der ostdeutschen Wasserversorgungs- und Abwasserbehandlungsbetriebe in das kommunale Tarifrecht zwischen dem Verband der Unternehmen für die kommunale Wasserversorgung und Abwasserbehandlung, der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände einerseits und der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (später Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie) kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit Anwendung.
§ 3 dieses Tarifvertrages lautet auszugsweise wie folgt:
“§ 3 – Überleitung der Angestellten in das kommunale Tarifrecht
(1) Vom 1. Januar 1992 an gelten für die Angestellten
a) der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O) vom 10. Dezember 1990,
b) § 2 des Änderungstarifvertrages Nr. 1 vom 8. Mai 1991 zum Ersten Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – (BAT-O),
c) die sonstigen für die unter den BAT-O fallenden Angestellten geltenden Tarifverträge,
d) der für die unter den BAT (West) fallenden Angestellten geltende Tarifvertrag über den Rationalisierungsschutz für Angestellte vom 9. Januar 1987
in ihrer jeweiligen Fassung.
…”
Bis zum Abschluß dieses Tarifvertrages bestand für den Bereich der Wasserwirtschaft der ehemaligen DDR bereits ein Rationalisierungsschutzabkommen vom 23. Juli 1990 (TVRA-WW). Der Tarifvertrag über den Rationalisierungsschutz für Angestellte ist am 9. Januar 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände einerseits und ua. der ÖTV andererseits für die Angestellten, die unter den Geltungsbereich des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) fallen, vereinbart worden.
Die 1941 geborene Klägerin war seit dem 1. März 1980 bei dem Beklagten und dessen Rechtsvorgänger zuletzt als Ingenieurin für Investvorbereitung und Durchführung gegen ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 5.568,90 DM beschäftigt. Mit Schreiben vom 15. Juni 2000 kündigte der Beklagte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis “fristgemäß zum 01.01.2001. Die Kündigung erfolgt aus betriebsbedingten Gründen auf Grund von Strukturänderungen.” Mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte der Beklagte an die Klägerin eine Abfindung in Höhe von 27.583,75 DM brutto nach dem TV-Sozial.
Die Klägerin begehrt eine Abfindung nach dem TV-Ratio in Höhe von insgesamt 83.533,50 DM abzüglich der bereits gezahlten Abfindung in Höhe von 27.583,75 DM mithin 55.949,75 DM = 28.606,65 Euro.
Sie hat sich auf den Standpunkt gestellt, eindeutiger Wille der Tarifvertragsparteien des Tarifvertrages vom 4. Dezember 1991 betreffend die Überleitung der Angestellten der ostdeutschen Wasserversorgungs- und Abwasserbehandlungsbetriebe in das kommunale Tarifrecht (im folgenden: TV-Überleitung) sei die Anwendung des TV-Ratio in der jeweiligen Fassung gewesen. Auslegung oder Erörterungen der einzelnen Regelungsinhalte seien nicht Gegenstand der Tarifverhandlungen gewesen. Durch die Regelung in § 3 TV-Überleitung sei für den räumlichen Bereich der neuen Bundesländer und für den fachlichen Bereich der Wasserversorgungs- und Abwasserbehandlungsbetriebe eine Regelung geschaffen worden, die auch nur für diesen Bereich gegolten habe und gelte. Da den Tarifvertragsparteien bewußt gewesen sei, daß es im Bereich der Wasserversorgungs- und Abwasserbehandlungsbetriebe in den neuen Bundesländern zu Strukturveränderungen kommen werde, die unter Umständen auch Entlassungen zur Folge hätten, hätten die Tarifvertragsparteien den TV-Ratio zur Anwendung gebracht und somit rechtliche Ansprüche gesichert, die aus dem aufgehobenen Tarifvertrag vom 23. Juli 1990 zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei Rationalisierungsschutzmaßnahmen und Strukturveränderungen – Rationalisierungsschutzabkommen – in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 31. Januar 1991 Bestandskraft gehabt hätten (TVRA-WW). Der TV-Sozial erfasse den gesamten öffentlichen Dienst der neuen Bundesländer und sei nicht speziell fachlich auf die Wasserversorgungs- und Abwasserbehandlung in den neuen Bundesländern ausgerichtet. Die durch den Abschluß des TV-Sozial entstandene Tarifkonkurrenz sei dahingehend zu lösen, daß der TV-Ratio der speziellere sei. Es sei Wille der Tarifvertragsparteien gewesen, eine spezielle Regelung für den räumlichen Bereich der neuen Bundesländer und den fachlichen Bereich der Wasserversorgungs- und Abwasserbehandlungsbetriebe zu schaffen. Das ergebe sich schon aus der kurzen Abfolge der Abschlüsse des TV-Überleitung vom 4. Dezember 1991 und des TV-Sozial vom 6. Juli 1992. Zudem sei aus § 21 des Tarifvertrages Versorgungsbetriebe (TV-V) vom 5. Oktober 2000 ersichtlich, daß der TV-Ratio Anwendung finden solle. Nach Abschluß des TV-Sozial sei eine Änderung des TV-Überleitung durch die Tarifvertragsparteien nicht verhandelt worden. Ferner seien die bei dem Beklagten Beschäftigten überwiegend bei der IG Bergbau, Chemie, Energie organisiert, so daß der Überleitungstarifvertrag auf die meisten Arbeitsverhältnisse des Betriebes wirke. Des weiteren stehe der TV-Überleitung iVm. dem TV-Ratio dem Betrieb des Beklagten räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 55.949,75 DM brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungsgesetzes vom 9. Juni 1998 (BGBl. I S. 1242) ab dem 1. Januar 2001 zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat die Auffassung vertreten, es liege keine Tarifkonkurrenz vor. Der TV-Sozial sei an die Stelle des TV-Ratio getreten. Der spätere Tarifvertrag, der von denselben Tarifvertragsparteien abgeschlossen worden sei, hebe den früheren ausdrücklich oder infolge seines widersprüchlichen Inhalts auf. Aus § 21 TV-V könne die Klägerin für sich mit Erfolg nichts herleiten. Nach § 1 dieses Tarifvertrages gelte er nur für Arbeitnehmer in rechtlich selbständigen Versorgungsbetrieben, die dem Betriebsverfassungsgesetz unterlägen. Das treffe für den Beklagten nicht zu.
Bei Vorliegen einer Tarifkonkurrenz genieße der TV-Sozial den Vorrang. Dieser stelle sich als die speziellere Regelung dar. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des TV-Ratio sei nicht absehbar gewesen, daß im Jahre 1990 die Einheit Deutschlands wiederhergestellt werde. Aus diesem Grunde habe der TV-Ratio die sich herausbildenden Besonderheiten und speziellen Bedürfnisse der Arbeitsverhältnisse im Bereich des öffentlichen Dienstes der neuen Bundesländer noch nicht berücksichtigen können. Der TV-Ratio werde den Besonderheiten der neuen Bundesländer nicht gerecht. Aus diesem Grunde hätten die Tarifvertragsparteien nicht einfach den TV-Ratio in das Tarifwerk des öffentlichen Dienstes der neuen Bundesländer übernommen, sondern einen gesonderten Sozialtarifvertrag abgeschlossen. Ferner sei Sinn und Zweck des TV-Überleitung gewesen, die dort genannten Arbeitnehmer in das kommunale Tarifrecht überzuleiten. Ein gesondertes Tarifrecht habe für diese Arbeitnehmer künftig nicht mehr gelten sollen. Der TV-Ratio mache nur für den Zeitraum einen Sinn, in dem im Bereich des öffentlichen Dienstes der neuen Bundesländer ein Tarifvertrag über Rationalisierungsschutz nicht bestanden habe. Eine solche Regelung sei dann durch den TV-Sozial erfolgt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin unter Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des landesarbeitsgerichtlichen Urteils und in Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils im wesentlichen zur Stattgabe der Klage. Die Klägerin hat Anspruch auf die geltend gemachte Abfindungsdifferenz. Diese ergibt sich aus der gebotenen Anwendung des TV-Ratio vom 9. Januar 1987, der im Vergleich zum TV-Sozial vom 6. Juli 1992 eine entsprechend höhere Abfindung vorsieht.
Die Auslegung des TV-Überleitung führt dazu, daß sich die Abfindung der Klägerin nach dem TV-Ratio bemißt.
1. Eine Tarifkonkurrenz liegt vor, wenn mehrere Tarifverträge auf dasselbe Arbeitsverhältnis anwendbar sind. Nur wenn das Arbeitsverhältnis gleichzeitig unter den räumlichen, betrieblichen, fachlichen, persönlichen und zeitlichen Geltungsbereich mehrerer Tarifverträge fällt, kommt eine Tarifkonkurrenz in Frage (vgl. Senat 14. Juni 1989 – 4 AZR 200/89 – AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 16 = EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 4; 5. September 1990 – 4 AZR 59/90 – AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 19 = EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 5). Um einen solchen Fall handelt es sich hier nicht. Vielmehr geht es um eine im TV-Überleitung angelegte Bezugnahme auf mehrere Tarifverträge. Diese Bezugnahme ist in sich widersprüchlich. Die Auflösung dieser Widersprüchlichkeit richtet sich nicht nach den Grundsätzen der Tarifkonkurrenz, sondern nach denjenigen der Auslegung von Tarifverträgen.
2. Das Landesarbeitsgericht hat ausgehend von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu der Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages (vgl. zB Senat 5. Oktober 1999 – 4 AZR 578/98 – AP TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 15 = EzA TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 8) ausgeführt, nur nach dem Wortlaut des § 3 Abs. (1) Buchst. d) des TV-Überleitung bestehe ein Anspruch auf Anwendung des TV-Ratio. Im selben § 3 Abs. (1) Buchst. c) regelten die Tarifparteien, daß “die sonstigen” für die unter den BAT-O fallenden Angestellten geltenden Tarifverträge Anwendung finden sollten. Zu letzteren gehöre der TV-Sozial. Der Sinn dieser nach dem Wortlaut einander ausschließenden Regelungen über die Anwendung eines bestimmten Tarifvertrages erschließe sich aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang und dem Zeitpunkt der Entstehung des TV-Überleitung – wie die Revision zu Recht beanstandet –. Nach – unzutreffenden – Hinweisen auf die Entstehungsgeschichte des TV-Überleitung, hat das Landesarbeitsgericht weiter ausgeführt, das Gesamtgefüge des Tarifvertrages ergebe nicht, daß von dem BAT-O nebst ihn ergänzenden Tarifverträgen habe abgewichen werden sollen. Auch § 3 Abs. (1) Buchst. d) lasse diesen Schluß nicht zu. Zwar regele die Vorschrift die Anwendung des TV-Ratio vom 9. Januar 1987, was aber nicht als gewollte Abweichung gesehen werden könne, weil zu diesem Zeitpunkt ein den BAT-O ergänzender Tarifvertrag über die soziale Absicherung noch nicht vorhanden gewesen sei. Deshalb widersprächen sich auch am 4. Dezember 1991 – dem Abschlußdatum des TV-Überleitung – die Regelungen in § 3 zu Abs. (1) Buchst. c) und Abs. (1) Buchst. d) nicht. Für den dringenden sozialen Schutz bei erforderlich gewordenen Umstrukturierungen und Rationalisierungen habe es am 4. Dezember 1991 keine Regelung gegeben. Daraus sei die Regelung im TV-Überleitung § 3 Abs. (1) Buchst. d) zu verstehen. Damit seien jedoch die Vorgaben des § 3 Abs. (1) Buchst. a) und c) nicht aufgehoben gewesen. Vielmehr sei darin eindeutig zum Ausdruck gekommen, daß bestehende sonstige den BAT-O ergänzende Tarifverträge Anwendung finden sollten. Deshalb sei § 3 TV-Überleitung dahin auszulegen, daß die Regelung in Abs. (1) Buchst. d) zu dem Zeitpunkt, als der TV-Sozial abgeschlossen worden sei und in Kraft getreten sei, entfallen sei.
3. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
Entscheidend ist § 3 des TV-Überleitung. Nach § 3 Abs. (1) Buchst. d) gilt für die Angestellten “der für die unter den BAT (West) fallenden Angestellten geltende Tarifvertrag über den Rationalisierungsschutz für Angestellte vom 9. Januar 1987”. § 3 Abs. (1) Buchst. c) sieht vor, daß für die Angestellten die “sonstigen für die unter den BAT-O fallenden Angestellten geltenden Tarifverträge” gelten. Darunter fällt auch der Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992. Sonach “gelten” beide Tarifverträge, mit anderen Worten, das Arbeitsverhältnis der Parteien wird sowohl von dem TV-Ratio als auch von dem TV-Sozial erfasst. Das bedeutet aber nicht, daß durch den TV-Sozial der TV-Ratio abgelöst wurde. Die Zeitkollisionsregel greift nicht.
a) Der spätere Tarifvertrag, der TV-Sozial, hat den früheren, also den TV-Ratio hinsichtlich seiner Anwendbarkeit nach dem TV-Überleitung nicht aufgehoben. Seine Anwendbarkeit ist allerdings auch nicht ausdrücklich bestätigt worden, wie etwa in § 21 TV-V vom 5. Oktober 2000, auf den die Klägerin verwiesen hat, der aber auf das Arbeitsverhältnis der Parteien schon nach seinem in § 1 umschriebenen Geltungsbereich nicht anzuwenden ist.
b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ergibt die Auslegung des § 3 des TV-Überleitung nicht, daß der TV-Ratio durch den TV-Sozial abgelöst wurde bzw. werden sollte. Es ist zwar richtig, daß zum Zeitpunkt des Abschlusses des TV-Überleitung vom 4. Dezember 1991 im Bereich des öffentlichen Dienstes der neuen Bundesländer ein Tarifvertrag über Rationalisierungsschutz nicht bestand. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß die Regelung des § 3 Abs. (1) Buchst. d) TV-Überleitung nur solange Bestand haben sollte, als ein Tarifvertrag rationalisierungsschutzrechtlichen Inhalts abgeschlossen wird, der dann im Hinblick auf § 3 Abs. (1) Buchst. c) TV-Überleitung an dessen Stelle tritt.
Denn es existierte ein Rationalisierungsschutzabkommen im Bereich der Wasserwirtschaft (TVRA-WW vom 23. Juli 1990). Dieses wurde mit dem TV-Überleitung vom 4. Dezember 1991 durch den TV-Ratio vom 9. Januar 1987 abgelöst. Auf diese Weise wurde die Absicherung der übergeleiteten Arbeitsverhältnisse auch für den Fall der Rationalisierungsmaßnahmen gewährleistet. Dabei mag es sein, daß die Tarifvertragsparteien deswegen auf den in den alten Bundesländern geltenden TV-Ratio zurückgegriffen haben, weil für die neuen Bundesländer eine entsprechende tarifvertragliche Regelung (noch) nicht existierte.
Vor diesem Hintergrund kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß die Tarifvertragsparteien den unter Buchst. d) in Bezug genommenen TV-Ratio bereits dann als abgelöst ansehen wollten, wenn im Lichte des Buchst. c) ein Tarifvertrag für die neuen Bundesländer geschaffen wird, der zwar auch rationalisierungsschutzrechtlichen Inhalts ist, jedoch die Regelungen des TV-Ratio gerade nicht übernimmt oder modifiziert. Die Tarifvertragsparteien haben vielmehr auf Dauer auf einen fremden Tarifvertrag verwiesen.
Dafür, daß die Tarifvertragsparteien die Geltung des BAT-O und aller einbezogenen Tarifverträge vorrangig vereinbart hätten, wie der Beklagte meint, gibt es vor dem gekennzeichneten Hintergrund keine hinreichenden Anhaltspunkte.
Nach dem Vorstehenden ist das von der Klägerin genannte und vom Landesarbeitsgericht als abweichend bezeichnete Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 27. August 1998 – 1/9 Sa 463/97 – richtig, in dem die Frage der Anwendbarkeit des TV-Ratio und/oder des TV-Sozial gar nicht problematisiert wurde, sondern schlicht unter Hinweis auf § 3 Abs. (1) Buchst. d) des TV-Überleitung von dessen Geltung kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Parteien jenes Verfahrens ausgegangen wurde.
c) Die Klägerin ist, was auch der Beklagte nicht in Abrede stellt, aus Gründen der Rationalisierung entlassen worden. Sie hat daher Anspruch auf die geltend gemachte Abfindungssumme.
- Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB. Der Anspruch auf die Abfindung entsteht am Tag nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. In den Fällen der Beendigungskündigung iSd. § 5 Abs. 2 TV-Ratio, wie sie hier vorliegt, wird die Abfindung jedoch in der Regel erst am Tag nach Ablauf der Kündigungsfrist fällig, weil erst dann feststeht, ob die Kündigung wegen nicht erhobener Kündigungsschutzklage Bestand hat (§§ 4, 7 KSchG). Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bestand das Arbeitsverhältnis der Parteien bis zum 31. Dezember 2000, während das von der ersten Instanz zitierte Kündigungsschreiben auf den 1. Januar 2001 lautet. Da nach § 5 Abs. 2 TV-Ratio die Kündigungsfrist drei Monate zum Quartal beträgt, ist mit dem Landesarbeitsgericht von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 31. Dezember 2000 auszugehen mit der Folge, daß die Zinspflicht, nicht wie von der Klägerin beantragt, am 1. Januar 2001 beginnt, sondern erst am 2. Januar 2001. Der Verzug bei kalendermäßig festgelegter Leistungszeit beginnt erst mit Ablauf des Tages, an dem die Leistung zu erfolgen hatte, also hier nach Ablauf des 1. Januar 2001 mit dem 2. Januar 2001.
- Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Unterschriften
Schliemann, Friedrich, Wolter, Pfeil, Bredendiek
Fundstellen
Haufe-Index 1084284 |
BAGE 2005, 140 |
BB 2004, 612 |
DB 2004, 260 |
BuW 2003, 1055 |
SAE 2004, 161 |
ZAP 2004, 11 |
ZTR 2004, 146 |
AP, 0 |
MDR 2004, 338 |
NJ 2004, 95 |
PersR 2004, 365 |