Leitsatz (amtlich)
Für die Zeit der Ausbildung nach nicht bestandener Gesellenprüfung bis zur Wiederholungsprüfung besteht kein Anspruch auf die tarifliche Ausbildungsvergütung für das 4. Ausbildungsjahr. Die tarifliche Ausbildungsvergütung für ein 4. Ausbildungsjahr ist nur für die Ausbildungsberufe vorgesehen, die von vornherein eine längere als dreijährige Ausbildungszeit haben.
Normenkette
BBiG §§ 10, 14, 29, 34; ZPO § 519
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 14. Juli 1976 – 2 Sa 662/76 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der am 13. März 1958 geborene Kläger schloß, vertreten durch seine Eltern, am 21. Juni 1972 mit der Beklagten einen schriftlichen Vertrag zur Ausbildung im Zentralheizungs- und Lüftungsbauer-Handwerk. Das dreijährige Ausbildungsverhältnis begann am 1. August 1972 und sollte am 31. Juli 1975 enden.
Die Parteien haben in § 5 des Ausbildungsvertrages folgende Vereinbarung getroffen:
“1. Der Ausbildende zahlt dem Lehrling eine angemessene monatliche Vergütung spätestens am letzten Arbeitstag des Monats. Sie ist nach dem Lebensalter des Lehrlings so zu bemessen, daß sie mit fortschreitender Berufsausbildung mindestens jährlich ansteigt. Soweit eine tarifliche Regelung besteht, gilt diese.
2. Es werden unter Berücksichtigung der jeweiligen von der Handwerkskammer empfohlenen Sätze folgende monatliche Vergütungen vereinbart:
im 1. Lehrjahr |
200,00 DM |
brutto |
im 2. Lehrjahr |
250,00 DM |
brutto |
im 3. Lehrjahr |
300,00 DM |
brutto |
im 4. Lehrjahr |
… DM |
brutto”. |
Die im Arbeitsvertrag vereinbarten Vergütungssätze wurden im Laufe des Berufsausbildungsverhältnisses durch die Tarifverträge “über die Ausbildungsvergütung für alle gewerblich, kaufmännisch und technisch Auszubildenden im Sanitär-Installateur-, Zentralheizungs- und Lüftungsbauer-, Klempner- und Kupferschmiede-Handwerk im Land Nordrhein-Westfalen” vom 29. November 1972, vom 17. Januar 1974 und 12. Februar 1975 ersetzt.
Die ab 1. Februar 1975 geltende tarifliche Regelung sieht in § 2 folgende Vergütung vor:
“Die Ausbildungsvergütung beträgt monatlich brutto:
im 1. Ausbildungsjahr |
295,-- DM |
im 2. Ausbildungsjahr |
355,-- DM |
im 3. Ausbildungsjahr |
415,-- DM |
im 4. Ausbildungsjahr |
475,-- DM. |
Nachdem der Kläger am 15. Juni 1975 die Gesellenprüfung nicht bestanden und deshalb gemäß § 10 des Ausbildungsvertrages die Verlängerung des Ausbildungsverhältnisses bis zur nächstmöglichen Wiederholungsprüfung verlangt hatte, zahlte ihm die Beklagte 415,-- DM Ausbildungsvergütung für das 3. Ausbildungsjahr weiter.
Ein nach Ende des Ausbildungsverhältnisses zustandegekommenes Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien wurde mit Ablauf des 18. Februar 1976 aufgelöst.
Der Kläger, der sich mit seiner Klage ursprünglich auch gegen eine von der Beklagten ihm gegenüber ausgesprochene fristlose Kündigung gewandt und zusätzlich Arbeitslohn für 11 Arbeitstage in Höhe von 590,48 DM verlangt hatte, wendet sich dagegen, daß ihm die Beklagte nach dem erstmaligen Nichtbestehen der Gesellenprüfung lediglich die Ausbildungsvergütung für das 3. und nicht diejenige für das 4. Ausbildungsjahr gezahlt hat. Er hat den Differenzbetrag zwischen der Vergütung im 3. Ausbildungsjahr (415,-- DM) und der im 4. Ausbildungsjahr (475,-- DM) von 3 × 60,-- DM für den Zeitraum vom 1. November 1975 bis 31. Januar 1976 geltend gemacht und hierzu vorgetragen, er habe sich nach dem Nichtbestehen der Prüfung nicht mehr im dritten, sondern im vierten Ausbildungsjahr befunden, so daß monatlich 60,-- DM mehr zu zahlen gewesen seien.
Er hat demgemäß insoweit beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für die Zeit vom 1. November 1975 bis 31. Januar 1976 DM 180,-- brutto nebst 4 % seit dem 1. März 1976 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, der Anspruch des Klägers auf die für das 4. Ausbildungsjahr vorgesehene Vergütung sei deshalb nicht begründet, weil ein Lehrling, der am Ende des 3. Lehrjahres die Abschlußprüfung nicht bestehe, vergütungsmäßig so zu behandeln sei, als ob er weiterhin im dritten Lehrjahr stehe. Bei der Wiederholung der Abschlußprüfung handele es sich um die Wiederholung des Ausbildungsstoffes des letzten Ausbildungsjahres.
Das Arbeitsgericht hat dieser Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter. Die Beklagte ist zum Termin vom 8. Februar 1978 ordnungsgemäß geladen worden, jedoch weder erschienen noch vertreten worden. Auf Anfrage hat der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten erklärt, daß er das Mandat niedergelegt habe. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat daraufhin beantragt, ein Versäumnisurteil gegen die Beklagte zu erlassen.
Entscheidungsgründe
Dem Antrag auf Erlaß eines Versäumnisurteils gegen die Beklagte konnte nicht stattgegeben werden. Die Revision des Klägers mußte vielmehr aus Rechtsgründen zurückgewiesen werden.
Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht entgegen der Auffassung der Revision die Berufung der Beklagten als zulässig angesehen. Zwar fehlt sowohl in der Berufungsschrift als auch in der Berufungsbegründungsschrift der Beklagten der nach § 519 Abs. 3 Nr. 1 ZPO erforderliche Berufungsantrag, d.h. ein ausdrücklicher Antrag, inwieweit das Urteil angefochten wird. Jedoch ist ein solcher bestimmt gefaßter Antrag nicht zwingend erforderlich. Es reicht vielmehr aus, wenn aus der Berufungsbegründung Umfang und Ziel des Rechtsmittels durch Auslegung eindeutig zu entnehmen sind (vgl. BAG 1, 36 [38] = AP Nr. 1 zu § 611 BGB Gratifikation; AP Nr. 5 zu § 44 BAT; BGH LM Nr. 14 zu § 546 ZPO; LM Nr. 1 zu § 519 ZPO; BGH NJW 1951, S. 153; Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, 10. Aufl., S. 753; Stein-Jonas, ZPO, 19. Aufl., § 519 III 1; Baumbach-Lauterbach-Albers, ZPO, 34. Aufl., § 519 Anm. 3 B; Thomas-Putzo, ZPO, 9. Aufl., § 519 Anm. 3 Nr. 1). Die Beklagte hatte mit ihrer Berufung die erstinstanzliche Entscheidung uneingeschränkt angegriffen und unter III der Berufungsbegründungsschrift vom 21. Juni 1976 ausdrücklich ausgeführt, daß das angefochtene Urteil auch hinsichtlich der vom Kläger hier geltend gemachten Ausbildungsvergütung unrichtig sei. Dazu ist dann weiter im einzelnen dargelegt worden, daß es sich nach Auffassung der Beklagten nicht um eine Vergütung für ein 4. Ausbildungsjahr, sondern um eine Wiederholung des Ausbildungsstoffes des früheren Ausbildungsjahres handele. Das reicht aus, um klarzustellen, daß damit der Anspruch des Klägers auf Zahlung von weiteren 180,-- DM für die Zeit vom 1. November 1975 bis 31. Januar 1976, den das Arbeitsgericht zugesprochen hatte, mit der Berufung verneint werden sollte.
Der danach zulässigen Berufung hat das Landesarbeitsgericht auch zu Recht stattgegeben, weil ein Anspruch des Klägers auf die höhere als die gewährte Ausbildungsvergütung nicht besteht. Wenn § 2 des Tarifvertrages über die Ausbildungsvergütung für alle gewerblich, kaufmännisch und technisch Auszubildenden im Sanitär-Installateur-, Zentralheizungs- und Lüftungsbauer-, Klempner- und Kupferschmiede-Handwerk im Land Nordrhein-Westfalen mit Wirkung ab 1. Februar 1975 die Ausbildungsvergütung auch für ein 4. Ausbildungsjahr mit 475,-- DM festlegt, muß aus dem Gesamtzusammenhang des Tarifvertrages entnommen werden, daß unter diesem 4. Ausbildungsjahr i.S. des Tarifvertrages nur die Ausbildungszeiten zu verstehen sind, bei denen die regelmäßige Ausbildungsdauer nach der entsprechenden Ausbildungsordnung länger als drei Jahre dauert. Einmal muß nämlich im Zusammenhang mit der Vergütungsnorm der fachliche Geltungsbereich des Tarifvertrages gesehen werden, der auch die Gas- und Wasserinstallateure und die Kupferschmiede umfaßt, für die eine Lehrzeit von 3 ½ Jahren aufgrund von § 30 Satz 2 Handwerksordnung festgelegt ist, während für den Kläger als Zentralheizungs- und Lüftungsbauer lediglich eine Lehrzeit von 3 Jahren gilt. Es mußte also schon wegen dieses besonderen Geltungsbereiches des Tarifvertrages eine Ausbildungsvergütung für solche Lehrlinge festgelegt werden, deren Lehrzeit schon nach der Verordnung über die Festsetzung der Lehrzeitdauer in das 4. Ausbildungsjahr hereinreicht.
Das für sich allein würde allerdings noch nicht ausschließen, daß die Tarifvertragsparteien eine höhere Vergütung auch für andere Ausbildungszeiten festlegen, die sich aus anderen Gründen auf mehr als drei Jahre erstrecken. Insoweit sind auch die vom Landesarbeitsgericht zu § 10 BBiG und dessen Entstehungsgeschichte herangezogenen Ausführungen zur Auslegung der tariflichen Vorschriften nicht unbedingt maßgeblich. Auch wenn danach eine fortschreitende Ausbildung bei Wiederholung der Abschlußprüfung nicht vorliegt, schließt das dennoch nicht aus, daß die Tarifvertragsparteien trotzdem eine höhere Vergütung auch für den Fall festlegen, daß der Auszubildende seine Ausbildungszeit über die festgelegte Ausbildungsdauer hinaus fortsetzt. Die Tarifvertragsparteien haben jedoch in § 5 Ziffer 3 des Tarifvertrages festgelegt, daß bei Verlängerung des Ausbildungsverhältnisses die Dauer der weiteren Ausbildung sowie die Vergütung zu vereinbaren sind. Das spricht dafür, daß für eine weitere Ausbildungszeit, als sie gesetzlich vorgesehen ist, eine tarifliche Mindestvergütung, die ohne weiteres eingreift, nicht vorgesehen ist. Eine entsprechende Vereinbarung ist auch zwischen den Parteien des Ausbildungsverhältnisses nicht getroffen worden.
Vor allem ergibt sich auch aus diesem Zusammenhang, daß ein Auszubildender, der die Prüfung nicht besteht, nicht ohne weiteres in ein weiteres Ausbildungsjahr im tariflichen Sinne eintritt, weil dann auch eine Regelung für ein 5. Ausbildungsjahr tariflich hätte getroffen werden müssen. Da nach § 34 BBiG die Abschlußprüfung zweimal wiederholt werden kann und einige Ausbildungsberufe von vornherein eine 3 ½-jährige Ausbildungszeit vorsehen, ist es ohne weiteres möglich, daß es noch zu einem 5. Ausbildungsjahr kommt.
Liegt aber damit kein Anspruch nach § 2 TV über eine Ausbildungsvergütung für das 4. Ausbildungsjahr in Höhe von 475,-- DM monatlich vor, wenn die Ausbildung nicht wegen der vorgeschriebenen Dauer der Ausbildungszeit in das 4. Jahr hineinreicht, so kann für den vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob bei einer Wiederholung nach nichtbestandener Abschlußprüfung die Ausbildungsvergütung für das 3. Ausbildungsjahr als tarifliche Mindestvergütung fortzuzahlen ist oder i.S. von § 5 Ziff. 3 des Tarifvertrages die Höhe der Vergütung bei einer Verlängerung des Ausbildungsverhältnisses überhaupt freigestellt ist. Die Tarifvertragsparteien haben insoweit keine eindeutige Regelung getroffen, zumal es unter Umständen auch noch darauf ankommen könnte, ob der Auszubildende das Ausbildungsziel aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht erreicht hat oder nicht. Eine Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses kommt nicht nur nach § 14 Abs. 3 BBiG bis zur nächsten Wiederholungsprüfung, sondern auch nach § 29 Abs. 3 BBiG in Betracht, wenn eine Verlängerung der Ausbildungszeit erforderlich ist, um das Ausbildungsziel zu erreichen, etwa wegen Krankheit des Auszubildenden oder des Ausbilders, bei längerer Betriebsstillegung oder ähnlichen von niemandem zu vertretenden Ereignissen. Dafür eine angemessene Regelung zu treffen, ist allein Sache der Tarifvertragsparteien, so daß die Gerichte für Arbeitssachen hier nicht eingreifen können. Nachdem der Kläger die Vergütung für das 3. Ausbildungsjahr erhalten hat, ist der ihm zustehende Anspruch jedenfalls auch dann erfüllt worden, wenn man die Fortsetzung der Ausbildung nach nichtbestandener Prüfung als eine Wiederholung des 3. Ausbildungsjahres ansieht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Unterschriften
Dr. Neumann, Dr. Feller, Rudolf, Dr. Apfel
Dr. Röhsler hat Urlaub
Dr. Neumann
Fundstellen