Entscheidungsstichwort (Thema)
Auswirkung eines seuchenpolizeilichen Tätigkeitsverbots auf Mindesturlaub und Lohnfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage, ob die Zeit eines seuchenpolizeilichen Tätigkeitsverbots auf den Mindesturlaub des Arbeitnehmers nach dem BUrlG anzurechnen ist.
2. Steht einem Arbeitnehmer, gegen den ein seuchenpolizeiliches Tätigkeitsverbot verhängt worden ist, für den Verbotszeitraum ein Lohnfortzahlungsanspruch nach BGB § 616 Abs. 1 zu, so besteht ein Entschädigungsanspruch nach BSeuchG § 49 Abs. 1 nicht. Daher kann der Arbeitgeber eine Erstattung des fortgezahlten Arbeitslohns nach BSeuchG § 49 Abs. 4 S. 2 nicht beanspruchen.
Verfahrensgang
Tatbestand
Im Sommer 1974 wurden die in der Metzgerei des Klägers in U. beschäftigten Gesellen D. und S. als Ausscheider von Salmonellen ermittelt. Das Gesundheitsamt untersagte ihre weitere Beschäftigung seit dem 24. Juni 1974, bei D. bis zum 24. Juli 1974, bei S. bis zum 7. August 1974. Während dieser Zeit zahlte der Kläger ihnen den Lohn weiter.
Wegen der Beschäftigungsverbote verlängerte der Kläger die ohnehin in den von ihnen erfaßten Zeitraum fallenden Betriebsferien um eine Woche, so daß seine Metzgerei vom 24. Juni bis zum 22. Juli 1974 geschlossen blieb. Das beklagte Land erstattete dem Kläger den an die beiden Gesellen gezahlten Lohn für den über die Betriebsferien hinausreichenden Zeitraum.
Mit der Klage begehrt der Kläger, ihm auch die während der Betriebsferien gezahlten Löhne abzüglich Lohnsteuer, insgesamt 3.075,60 DM nebst Zinsen, zu erstatten.
Das Landgericht hat dem Kläger für die zusätzliche Woche der Betriebsferien einen Betrag von 770,40 DM nebst Zinsen zuerkannt und die Klage im übrigen abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Klaganspruch weiter, soweit diesem nicht stattgegeben worden ist.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.
I.
1. Die Klageforderung betrifft den Erstattungsanspruch des Arbeitgebers nach § 49 Abs 4 Satz 2 des Bundesseuchengesetzes – BSeuchG – vom 18. Juli 1961 (BGBl I S 1012, 1300) idF des 2. Änderungsgesetzes vom 25. August 1971 (BGBl I S 1401). Für Streitigkeiten über solche Ansprüche ist der ordentliche Rechtsweg gegeben (§ 61 Abs 1 BSeuchG).
a) Nach § 49 Abs 1 BSeuchG erhält eine Entschädigung, wer als Ausscheider, Ausscheidungsverdächtiger oder Ansteckungsverdächtiger auf Grund des BSeuchG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. § 49 Abs 4 Satz 1 BSeuchG bestimmt, daß bei Arbeitnehmern der Arbeitgeber für die Dauer des Arbeitsverhältnisses, längstens für sechs Wochen, die Entschädigung „für die zuständige Behörde” auszuzahlen hat. Die ausgezahlten Beträge werden ihm auf Antrag von der Behörde erstattet (Satz 2). Zweifel oder gar Streitigkeiten über den Bestand eines Entschädigungsanspruchs in dem genannten Zeitraum sollen nicht zu Lasten des betroffenen Arbeitnehmers gehen.
b) Der Erstattungsanspruch setzt demnach voraus, daß die Leistungen, die der Arbeitgeber an seine Arbeitnehmer erbracht hat, eine „Entschädigung” im Sinne des § 49 Abs 1, Abs 4 Satz 1 BSeuchG darstellen. Dem betroffenen Arbeitnehmer muß also ein – zunächst vom Arbeitgeber für die zuständige Behörde zu erfüllender – Entschädigungsanspruch nach § 49 Abs 1 BSeuchG zugestanden haben.
2. Das Berufungsgericht hat einen Erstattungsanspruch des Klägers für diesen Zeitraum verneint und ausgeführt, den Gesellen sei kein Verdienstausfall entstanden, soweit der Kläger nach den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes verpflichtet gewesen sei, ihnen das Arbeitsentgelt weiterzuzahlen. Ihr Urlaubsanspruch sei durch die Betriebsferien abgegolten; unerheblich sei, daß sie während dieser Zeit einem seuchenpolizeilichen Tätigkeitsverbot unterlegen hätten.
3. Gegen diese Auffassung des Berufungsgerichts wendet sich die Revision mit Erfolg.
a) Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß ein Erstattungsanspruch des Klägers zu verneinen ist, wenn der hier in Rede stehende Zeitraum der Betriebsferien auf den gesetzlichen Jahresmindesturlaub (§§ 1, 3 BUrlG) der von dem Tätigkeitsverbot betroffenen Arbeitnehmer angerechnet werden muß. In diesem Falle wäre der Kläger nach Maßgabe des § 11 BUrlG verpflichtet gewesen, den durchschnittlichen Arbeitsverdienst als Urlaubsentgelt weiterzuzahlen. Seine Leistungen hätten damit der Erfüllung seiner eigenen Lohnzahlungspflicht gedient; er hätte mithin nicht als „Zahlstelle” für die Behörde gehandelt, wie § 49 Abs 1 Satz 1 BSeuchG es voraussetzt. Ein Verdienstausfall der betroffenen Gesellen wäre nicht eingetreten, da sie – unabhängig von dem Tätigkeitsverbot – Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts gehabt hätten.
b) Dem Berufungsgericht ist weiter darin beizupflichten, daß der hier zu beurteilende Sachverhalt von den ausdrücklichen Regelungen in §§ 9 und 10 BUrlG nicht unmittelbar erfaßt wird. Nach § 9 BUrlG werden, wenn ein Arbeitnehmer während des Urlaubs erkrankt, die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet. Das gleiche gilt nach § 10 BUrlG für Kuren und Schonungszeiten, soweit ein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach den gesetzlichen Vorschriften über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall besteht. Bei dem von § 49 Abs 1 BSeuchG erfaßten Personenkreis – Ausscheider, Ausscheidungsverdächtige oder Ansteckungsverdächtige – handelt es sich nicht um „Kranke” im Sinne der gesetzlichen Begriffsbestimmung des § 2 BSeuchG (vgl § 2 Buchst c, d und e BSeuchG). Zwar ist der Krankheitsbegriff des Bundesseuchengesetzes nicht identisch mit dem des § 182 RVO, der seinerseits dem Krankheitsbegriff des § 9 BUrlG entspricht (vgl Stahlhacke, BUrlG, 2. Aufl 1968 Rdn 2 zu § 9 BUrlG; Boldt/Röhsler, BUrlG 2. Aufl 1968 Rdn 6 zu § 9 BUrlG); es ist danach möglich, daß ein Dauerausscheider von Salmonellen ungeachtet der Begriffsbestimmung in § 2 BSeuchG als krank im Sinne der RVO anzusehen ist (vgl BSG NJW 1971, 1908). Das Berufungsgericht hat aber mit Recht angenommen, daß bei den beiden Gesellen des Klägers eine objektive Krankheit im medizinischen Sinne weder nach § 2 BSeuchG noch auch nach §§ 182 RVO, 9 BUrlG vorgelegen hat.
c) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht indessen eine entsprechende Anwendung des in § 9 BUrlG enthaltenen Rechtsgedankens abgelehnt. Zwar gibt es keinen allgemeinen Rechtssatz, daß der Arbeitgeber in den Fällen, in denen der Erholungsurlaub durch andere, nicht auf Krankheit des Arbeitnehmers beruhende Umstände beeinträchtigt oder vereitelt wird, zur Nachgewährung von Urlaub verpflichtet ist (BAG AP § 1 BUrlG (Nachurlaub) Nr 1; Boldt/Röhsler aaO Rdn 2 zu § 9 BUrlG; Rdn 32 zu § 3 BUrlG; Stahlhacke aaO Rdn 28 zu § 1 BUrlG). Aus der gesetzlichen Regelung in §§ 9, 10 BUrlG ist vielmehr zu entnehmen, daß im Grundsatz die Nichtanrechnung der Urlaubszeit auf die dort genannten Fallgestaltungen beschränkt bleiben muß. Das schließt jedoch nicht aus, daß es auch neben der Krankheit und der Kur urlaubsstörende Ereignisse gibt, bei denen es angemessen erscheint, dem Arbeitgeber die Verpflichtung zur Gewährung von Nachurlaub in entsprechendem Umfang aufzuerlegen (BAG aaO). Diese Frage läßt sich nur nach Sinn und Zweck des im Bundesurlaubsgesetz garantierten Urlaubsanspruchs unter Berücksichtigung der den Ausnahmetatbeständen der §§ 9, 10 BUrlG zugrunde liegenden gesetzlichen Wertungen beantworten. Danach gilt hier folgendes:
aa) Erholungsurlaub im Sinne des Bundesurlaubsgesetzes ist die Freistellung des Arbeitnehmers von seiner sich aus dem Arbeitsvertrag ergebenden Arbeitspflicht und Dienstpflicht unter gleichzeitiger Weiterzahlung der Vergütung durch den Arbeitgeber (Boldt/Röhsler aaO Rdn 9 zu § 1 BUrlG). Zu einer echten Erholung gehört eine Sphäre der Selbstbestimmung, der persönlichen Freiheit und des Lebensgenusses (BAG AP Nr 1 zu § 611 BGB „Urlaub und Kur”; Boldt/Röhsler aaO Rdn 10). Der in § 9 BUrlG festgelegte Grundsatz, daß im Hinblick auf den Erholungszweck Tage, an denen der Arbeitnehmer arbeitsunfähig krank ist, auf den Erholungsurlaub nicht angerechnet werden dürfen, trägt dem Umstand Rechnung, daß ein Arbeitnehmer, der erkrankt ist, sich nicht zugleich erholen kann. Urlaub und Erkrankung schließen einander aus (Boldt/Röhsler aaO Rdn 5 zu § 9 BUrlG).
bb) Ein Ausscheider im Sinne des § 2d BSeuchG ist zwar grundsätzlich nicht krank im Sinne des BUrlG. Die Grenzen zu einer Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne sind indes fließend, wie der Sachverhalt beweist, der der Entscheidung des Bundessozialgerichts in NJW 1971, 1908 zugrunde lag. So heißt es auch in der amtlichen Begründung zu § 48 des Regierungsentwurfs eines Bundesseuchengesetzes (= dem heutigen § 49 BSeuchG; BT-Drucks III/1888 vom 27. Mai 1960), Ausscheider, Ausscheidungsverdächtige und Ansteckungsverdächtige seien „vom Schicksal in ähnlicher Weise betroffen wie Kranke” (ähnlich schriftl Bericht des Ausschusses für Gesundheitswesen vom 17. April 1961 – BT-Drucks III/2662 –: Der Betroffene Personenkreis könne „in etwa den Kranken gleichgestellt werden”). Das zeigt sich bei Ausscheidern nicht nur in den Beschränkungen der Berufsausübung, sondern auch in den strengen hygienischen Auflagen, denen sie unterworfen sind (vgl dazu: Merkblatt für Ausscheider, herausgegeben vom Bundesgesundheitsamt, abgedr bei Seyffertitz/Thomaschewski, Kommentar zum Bundesseuchengesetz, Stand 1. Oktober 1968 Bd I Anh 15). Diese Auflage, zu denen insbesondere die dauernde Desinfektion der benutzten sanitären Anlagen zählt, schließen, wie die Revision mit Recht hervorhebt, zB Aufenthalte in Gemeinschaftseinrichtungen und Hotels aus und führen dazu, daß der Betroffene sich unter anderen Personen und in fremden Räumen nicht zwanglos und frei bewegen kann. Das legt die Möglichkeit nahe, daß sich der Betroffene in dieser Zeit nicht so erholen kann, wie es dem Urlaubszweck entspricht, nämlich in freier, selbstgewählter Gestaltung der Urlaubszeit.
cc) Die Ähnlichkeit dieser Beschränkungen mit denjenigen, die auf einer Krankheit im medizinischen Sinne beruhen, rechtfertigt es, den in § 9 BUrlG enthaltenen Rechtsgedanken auf Fälle der vorliegenden Art entsprechend anzuwenden, allerdings mit der Maßgabe, daß im Einzelfall die Prüfung zulässig ist, ob durch die Beschränkungen die Gestaltung, die der Betroffene seinem Erholungsurlaub üblicherweise gegeben hätte, tatsächlich erheblich beeinträchtigt worden ist. Zu einer solchen Prüfung besteht hier um so mehr Anlaß, als dem Klagevorbringen bisher nicht eindeutig zu entnehmen ist, ob und in welcher Weise der Kläger den betroffenen Arbeitnehmern Nachurlaub gewährt oder den Urlaubsanspruch anderweitig abgegolten hat (§ 7 Abs 4 BUrlG). Zwar erwähnt der Kläger selbst mehrfach, er sei zur Nachgewährung des Urlaubs verpflichtet gewesen; offenbleibt jedoch, inwieweit er diese Verpflichtung tatsächlich erfüllt hat und ob er – falls das nicht der Fall war – noch heute ernsthaft mit einer Inanspruchnahme durch die beiden Gesellen rechnen muß.
dd) Insoweit ist der Sachverhalt noch ungeklärt; daher ist dem Senat eine abschließende Beurteilung nicht möglich.
II.
1. Das Berufungsurteil kann nach alledem mit der ihm gegebenen Begründung nicht aufrechterhalten werden.
Gelangt der Tatrichter auf Grund der vorstehenden Erwägungen zu der Feststellung, daß der Zeitraum des seuchenpolizeilichen Tätigkeitsverbots auf den Jahresmindesturlaub der betroffenen Gesellen nicht anzurechnen ist, so bedeutet das noch nicht, daß sie während dieses Zeitraums einen Verdienstausfall erlitten haben, der einen Entschädigungsanspruch nach § 49 BSeuchG begründet. Denn ein Beschäftigungsverbot kann zugleich ein in der Person des Arbeitnehmers liegendes unverschuldetes Leistungshindernis nach § 616 Abs 1 BGB darstellen und dementsprechend einen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts gegen den Arbeitgeber auslösen. Die spezielleren Regelungen der §§ 133c GewO, 63 HGB sind hier schon deshalb nicht anwendbar, weil die betroffenen Arbeitnehmer „Gesellen”, also weder technische Angestellte im Sinne des § 133c GewO (vgl zu diesem Begriff: Landmann/Rohmer, GewO 12. Aufl Stand 1970 Vorbemerk zu § 105ff Rdn 88, 89; Fuhr/Stahlhacke, GewO, Loseblattausgabe, Stand 1977 Bd III Arbeitsrechtliche Vorschriften, Anm I zu § 133c GewO) noch Handlungsgehilfen im Sinne des § 63 HGB waren.
a) Ein persönlicher Verhinderungsgrund im Sinne des § 616 Abs 1 BGB wird hier insbesondere nicht dadurch ausgeschlossen, daß die betroffenen Arbeitnehmer selbst gesund, arbeitsfähig und arbeitswillig waren, aber durch das behördliche Verbot – gleichsam „von außen her” – an der Arbeit gehindert wurden, und zwar ausschließlich aus Gründen des allgemeinen öffentlichen Interesses an der Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. Denn das seuchenpolizeiliche Tätigkeitsverbot ist – unbeschadet seines auf den Schutz der Allgemeinheit gerichteten Zwecks – lediglich die staatliche Reaktion auf den in der Person des Betroffenen entstandenen und festgestellten Tatbestand einer konkreten (bei Ausscheidern) oder potentiellen (bei Ausscheidungsverdächtigen oder Ansteckungsverdächtigen) Gefahr. Die von dem Betroffenen ausgehende Gefahr ist das eigentliche Arbeitshindernis; das zeigt sich auch darin, daß der Arbeitgeber ihn auch ohne ein behördliches Verbot für die Dauer der Gefahrenlage nicht beschäftigen dürfte. Der Arbeitgeber ist nämlich schon nach § 618 BGB gegenüber seinen übrigen Arbeitnehmern und nach § 823 BGB gegenüber jedermann aus Gründen der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht verpflichtet, den Betrieb von Ansteckungsgefahren freizuhalten. Er muß von sich aus gegen die Beschäftigung von Ausscheidern, Ausscheidungsverdächtigen und Ansteckungsverdächtigen einschreiten.
b) Damit stellt sich die Frage nach dem Verhältnis des Lohnfortzahlungsanspruchs aus § 616 Abs 1 BGB zu dem Entschädigungsanspruch nach dem Bundesseuchengesetz. Auf diese Frage brauchte das Berufungsgericht von seinem Standpunkt aus nicht einzugehen.
2. Das seuchenpolizeiliche Tätigkeitsverbot dient der Beseitigung der von dem Betroffenen ausgehenden Ansteckungsgefahr für Dritte. Diese rechtmäßigen Anordnungen belasten ihn daher nicht mit einem Sonderopfer, sondern weisen ihn lediglich in die Schranken einer Rechtsstellung zurück. Er muß solche Anordnungen daher grundsätzlich entschädigungslos hinnehmen, selbst wenn er durch sie wirtschaftliche Nachteile erleidet (vgl dazu allgemein Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I 9. Aufl § 60 I b 2, Verwaltungsrecht III 4. Aufl § 130 Rdn 2 und die Senatsurteile BGHZ 43, 196, 203 und 45, 23, 25). Die Vorschrift des § 49 Abs 1 BSeuchG stellt demnach eine Billigkeitsregelung dar, durch die den Betroffenen – die an sich Störer im polizeirechtlichen Sinne sind – eine gewisse Sicherung vor materieller Not gewährt werden soll (Begründung zu § 48 des Regierungsentwurfs des Bundesseuchengesetzes BT-Drucks III/1888; vgl auch Senatsurteil NJW 1972 S 632).
a) Diese Zweckrichtung des Entschädigungsanspruchs spricht dagegen, daß eine auf dem Arbeitsverhältnis beruhende Verpflichtung des Arbeitgebers, für die Dauer des Beschäftigungsverbots das Arbeitsentgelt weiterzuzahlen, auf die Allgemeinheit abgewälzt werden sollte. Ein „Verdienstausfall” im Sinne des § 49 Abs 1 BSeuchG liegt hiernach dann nicht vor, wenn dem Arbeitnehmer für den fraglichen Zeitraum ein gesetzlicher oder vertraglicher Anspruch auf Fortzahlung seines Lohns oder Gehalts gegen den Arbeitgeber zusteht. Eine Entschädigungspflicht des Staates besteht also nur dann, wenn der Betroffene mangels anderweitiger Ansprüche auf Grund der seuchenpolizeilichen Maßnahmen sonst in Not geraten würde. Das Nichtbestehen solcher anderweitiger Ansprüche ist also (negative) Tatbestandsvoraussetzung für diese Entschädigung. Das ist auch die einhellige Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum (vgl LG Hannover, NJW 1976, 2306; LG Düsseldorf, DB 1966, 1053; ArbG Oberhausen, DB 1967, 211; LG Tübingen, AR-Blattei „Krankheit des Arbeitnehmers”, Entscheidungen, Nr 88; AG Köln, NJW 1976, 378; ArbG Hamburg BB 1966, 1227; Fuhr/Stahlhacke aaO Anm II 2a zu § 133c GewO; Landmann/Rohmer aaO Rdn 16 zu § 133c GewO; Diekhoff, DB 1967, 382; Benne, Staatsverwaltung und Kommunalverwaltung, 1967, 183; Honnacker, BayVBl 1965, 227; Sommer in AR-Blattei „Krankheit des Arbeitnehmers”, V E 2).
b) Diese Auslegung wird dadurch bestätigt, daß nach der ursprünglichen Fassung des Bundesseuchengesetzes eine Entschädigung nur in Höhe von 90% des Verdienstausfalls, der seinerseits auf einen Höchstbetrag von monatlich 660 DM begrenzt war, gewährt wurde; im Regierungsentwurf waren sogar nur 65% vorgesehen. Hiernach kann es nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen sein, die im Arbeitsverhältnis wurzelnden Rechtspositionen des Arbeitnehmers zugunsten einer Entschädigungsregelung abzubauen, bei der der Arbeitnehmer letztlich schlechter als ohne sie stände.
c) Gegen ein Zurückstehen des Entschädigungsanspruchs gegenüber Ansprüchen auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts spricht auch nicht der gesetzliche Forderungsübergang nach § 49 Abs 7 BSeuchG. Der Forderungsübergang bezieht sich auf Ansprüche auf „Ersatz des Verdienstausfalls”, die auf gesetzlichen Vorschriften beruhen. Damit sind, wie sich aus der amtlichen Begründung zum Regierungsentwurf (BT-Drucks III/1888 zu § 48) ergibt, Schadensersatzleistungen Dritter für den Verdienstausfall gemeint; das fortgezahlte Arbeitsentgelt ist aber kein solcher „Ersatz für den Verdienstausfall”, sondern verhindert, daß ein Verdienstausfall überhaupt eintritt.
d) Ebensowenig treffen auf den Entschädigungsanspruch nach § 49 BSeuchG die in der Rechtsprechung zum Schadensersatzrecht entwickelten Grundsätze zu, nach denen bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung ein Schaden nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß der Verletzte Lohnfortzahlungsansprüche gegen seinen Arbeitgeber hat (vgl BGHZ 43, 378, 381; BGH NJW 1963, 1051) sowie daß eine Fortzahlung von Dienstbezügen ebensowenig wie die Gewährung von Versorgungsleistungen oder Leistungen des Arbeitgebers auf Grund des Lohnfortzahlungsgesetzes „anderweitige Ersatzmöglichkeiten” im Sinne des § 839 Abs 1 Satz 2 BGB darstellen (Senatsurteile in BGHZ 43, 115, 117 und BGHZ 62, 380). Diese Grundsätze sollen verhindern, daß durch die Leistung des Arbeitgebers der Schädiger entlastet wird. Um eine solche Entlastung des entschädigungspflichtigen Staates geht es hier indessen nicht, da der Staat nicht in einer einem „Schädiger” vergleichbaren Position steht, sondern seine Leistungspflicht auf Billigkeitsgründen beruht.
e) Der grundsätzliche Charakter des Entschädigungsanspruchs als einer Billigkeitsregelung hat sich durch die Neufassung des § 49 BSeuchG (2. Änderungsgesetz – BSeuchG vom 25. August 1971 – BGBl I 1401) nicht geändert. In § 49 Abs 2 Satz 2 ist der Entschädigungssatz nunmehr für die ersten sechs Wochen des Verbotszeitraums auf den vollen Verdienstausfall angehoben; außerdem wurde in § 49 Abs 4 die Vorschußpflicht des Arbeitgebers für längstens sechs Wochen festgelegt. Der Gesetzgeber wollte durch die Einführung dieser Bestimmung keinen neuen Entschädigungstatbestand für den lohnfortzahlungsverpflichteten Arbeitgeber schaffen (LG Hannover, NJW 1976, 2306); Zweck dieser Regelung ist, wie eingangs ausgeführt worden ist, eine schnelle Hilfe für den Geschädigten zu schaffen (vgl dazu die Begründung zu Art 1 Nr 03 des 2. ÄndG = § 49 Abs 2 – 9 BSeuchG; BT-Drucks VI/2176).
3. Danach ist für die Anwendung des § 49 BSeuchG kein Raum, wenn der Arbeitgeber auf Grund gesetzlicher Bestimmungen verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer für den Verbotszeitraum das Arbeitsentgelt weiterzuzahlen, insbesondere nach § 616 Abs 1 BGB. In diesen Fällen scheitert ein Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers am fehlenden Tatbestandsmerkmal des „Verdienstausfalls”.
a) Diese Lohnfortzahlungspflicht während des Tätigkeitsverbots belastet den Arbeitgeber nicht unbillig. Das Bundesseuchengesetz erlegt ihm keine weitergehenden Verpflichtungen auf, als sie ohnehin bestehen. Denn die – bewußt weit gefaßte – Vorschrift des § 616 Abs 1 BGB würde ihn auch dann zur Fortzahlung des Lohns verpflichten, wenn es die Entschädigungsregelung des Bundesseuchengesetzes nicht gäbe. Dementsprechend verschlechtert sich seine Rechtsposition nicht, wenn die Entschädigungsregelung diesen arbeitsrechtlichen Anspruch unberührt läßt und nur die Fälle erfaßt, in denen ein solcher nicht besteht.
b) Auch für sonstige Fälle einer Arbeitsverhinderung auf Grund hoheitlicher Anordnung oder anderweitiger hoheitlicher Inanspruchnahme ist anerkannt, daß sie von § 616 Abs 1 BGB erfaßt werden.
aa) Der Anspruch des Zeugen auf Ersatz des Verdienstausfalls nach § 2 ZSEG setzt voraus, daß der Zeuge keinen Anspruch nach § 616 Abs 1 BGB gegen seinen Arbeitgeber hat. Hat er einen solchen Anspruch, so erhält er nur die Mindestentschädigung nach § 2 Abs 3 ZSEG (vgl Hartmann, Kostengesetze, 19. Aufl 1977, Anm 3 C zu § 3 ZSEG; Staudinger/Nipperdey/Mohnen, BGB 11. Aufl 1958, Rdn 48 zu § 616 BGB; Erman/Küchenhoff, BGB, 6. Aufl 1975, Rdn 77 zu § 616 BGB). Eine ähnliche Regelung besteht in § 2 EhrRiEG für die Entschädigung der ehrenamtlichen Richter.
bb) Auch die Arbeitsverhinderung auf Grund unschuldig erlittener Untersuchungshaft wird als in der Person des Arbeitnehmers liegendes Leistungshindernis im Sinne des § 616 BGB angesehen (Soergel/Wlotzke/Volze, BGB 10. Aufl, 1969, Rdn 24 zu § 616 BGB; Staudinger/Nipperdey/Mohnen aaO Rdn 15 zu § 616 BGB; vgl zur unschuldig erlittenen Untersuchungshaft als „unverschuldetem Unglück” im Sinne des § 63 HGB: RAG ARS 15, 570; Baumbach/Duden, HGB 23. Aufl 1978 Anm 2a zu § 63 HGB; offengelassen in BAG BB 1967, 630; ferner für § 133c GewO: Fuhr/Stahlhacke aaO Anm II 2).
c) In ähnlichem Sinne hat das Bundesarbeitsgericht (NJW 1978, 2316 und 2318) eine Subsidiarität des sozialversicherungsrechtlichen Anspruchs auf (Pflegegeld) Krankengeld nach § 85c RVO gegenüber den arbeitsrechtlichen Ansprüchen auf Arbeitsentgelt nach § 616 Abs 1 BGB und § 63 HGB angenommen (vgl auch BAG DB 1978, 2179 zu dem Grundsatz, daß ein gesetzliches Beschäftigungsverbot nach § 17 BSeuchG Ansprüche auf Lohnfortzahlung nach dem Lohnfortzahlungsgesetz nicht ausschließt, wenn das Verbot die Folge einer Erkrankung (offene Tuberkulose) ist).
d) Eine analoge Anwendung des Lohnfortzahlungsgesetzes auf Fälle eines seuchenpolizeilichen Tätigkeitsverbots – ähnlich derjenigen der §§ 9, 10 BUrlG (s oben Ziff I) – scheidet aus, da § 616 Abs 1 BGB für alle, auch die nicht auf Krankheit beruhenden Fälle einer unverschuldeten Dienstverhinderung einen Auffangtatbestand schafft.
e) Nach alledem ist entscheidend, ob den Gesellen während der Dauer des Tätigkeitsverbots ein Lohnfortzahlungsanspruch nach § 616 Abs 1 BGB zugestanden hat.
4. Der Anspruch aus § 616 Abs 1 BGB ist – im Gegensatz zu §§ 133c GewO, 63 HGB, 616 Abs 2 BGB und 1, 9 Lohnfortzahlungsgesetz – durch Einzelvertrag oder Tarifvertrag abdingbar (BAG (GS) 8, 285, 292; s auch BAG NJW 1978, 2318, 2319). Im übrigen besteht er nur dann, wenn sich die Verhinderung von vornherein auf einen „verhältnismäßig geringen Zeitraum” beschränkt; bei längerer Verhinderung entfällt er gänzlich, so daß der Arbeitgeber nicht etwa zunächst für eine verhältnismäßig geringe Zeit zur Zahlung verpflichtet bleibt (BAG GS 8, 314; BAG NJW 1978, 2318, 2319 mwNachw; Staudinger/Nipperdey/Mohnen aaO Rdn 21 zu § 616 BGB; Soergel/Siebert/Wlotzke/Volze aaO Rdn 29 zu § 616 BGB; aA Erman/Küchenhoff aaO Rdn 53, 54 zu § 616 BGB). Das Bundesarbeitsgericht (NJW 1978, 2318, 2319) hat die Frage aufgeworfen, ob diese unterschiedliche Ausgestaltung der Lohnfortzahlungsansprüche für nicht auf Krankheit beruhende Arbeitsverhinderungen nach § 616 Abs 1 BGB einerseits und § 133c GewO, § 63 HGB andererseits mit dem Gleichheitssatz (Art 3 GG) zu vereinbaren ist. Für den erkennenden Senat besteht kein Anlaß, dieser Frage im vorliegenden Fall nachzugehen. Denn das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits; eine etwaige Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern wirkt sich daher in diesem Rechtsstreit nicht zu deren Lasten, sondern lediglich zugunsten des gegen den Staat klagenden Arbeitgebers aus, da ein Entschädigungsanspruch nach dem Bundesseuchengesetz dann gegeben ist, wenn der Anspruch nach § 616 Abs 1 BGB entfällt. Sonach ist die Prüfung der Frage, ob der Anspruch aus § 616 Abs 1 BGB ausgeschlossen ist, im Rahmen der Erstattung nach § 49 Abs 4 Satz 2 BSeuchG in das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Behörde verlagert.
Ein Lohnfortzahlungsanspruch nach § 616 Abs 1 BGB besteht nur, wenn diese Vorschrift weder vertraglich abbedungen war noch die durch die Tätigkeitsverbote bewirkte Verhinderung eine verhältnismäßig geringe Zeit überstieg. Die Entscheidung darüber, welche Zeit einer Arbeitsverhinderung als nicht erheblich anzusehen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls; maßgeblich kommt es auf das Verhältnis der Dauer der Verhinderung zur Gesamtdauer des Dienstverhältnisses an (vgl Soergel/Siebert/Wlotzke/Volze aaO Rdn 26 zu § 616 mwNachw). Einheitliche Grenzen lassen sich nicht für alle Fälle bestimmen, weil die in Betracht kommenden Sachverhalte zu verschiedenartig sind. Verhinderungen des Arbeitnehmers an der Erfüllung des Dienstvertrages, etwa wegen eines Todesfalles in der Familie, wegen einer Einberufung zur Musterung oder einer Ladung als Schöffe, dauern ihrer Eigenart nach regelmäßig nur eine so kurze Zeit, daß insoweit allenfalls wenige Tage als eine nicht erhebliche Zeitspanne angesehen werden können (vgl Palandt/Putzo, BGB 37. Aufl 1978 Anm 2a bb zu § 616 BGB). Die Behandlung eines Ausscheiders kann sich dagegen über Wochen erstrecken. Ob diese Frist als erheblich anzusehen ist, hängt von mehreren Umständen, insbesondere der Eigenart, der Dauer des Arbeitsverhältnisses und den darüber getroffenen Abreden ab. Von besonderem Gewicht ist aber die Tatsache, daß die Arbeitsverhinderung eines Ausscheiders ihrem Wesen nach einer Verhinderung durch Krankheit nahekommt. Es ist daher angebracht, wenn nicht Besonderheiten des konkreten Arbeitsvertrages entgegenstehen, in solchen Fällen die allgemein für Erkrankungen geltende Sechs-Wochen-Frist jedenfalls bei einem länger andauernden unbefristeten und ungekündigten Arbeitsverhältnis grundsätzlich als Grenze einer verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit anzusehen (vgl zur Sechs-Wochen-Frist: § 616 Abs 2 BGB, § 1 Lohnfortzahlungsgesetz, § 133c GewO, § 63 HGB, § 48 Seemannsgesetz, § 12 Abs 1 Nr 2 Berufsbildungsgesetz und Erman/Küchenhoff aaO Rdn 57 zu § 616 BGB mwNachw).
III.
Nach alledem ist das beklagte Land nur dann verpflichtet, dem Kläger die Zahlung nach § 49 Abs 4 Satz 2 BSeuchG zu erstatten, wenn weder die Zeit des Tätigkeitsverbotes nach Maßgabe der oben unter I. entwickelten Grundsätze auf den Jahresmindesturlaub der Gesellen anzurechnen ist, noch ein Anspruch auf Lohnfortzahlung nach Maßgabe der Darlegungen zu II. bestanden hat. Da hiernach weitere tatrichterliche Feststellungen erforderlich sind, war die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 60230 |
BGHZ 73, 16-28 (LT1-2) |
BGHZ, 16 |
BB 1979, 213-215 (LT1-2) |
DB 1979, 1367-1370 (LT1-2) |
NJW 1979, 422-425 (LT1-2) |
LM § 616 BGB, Nr. 3 (L1-2) |
LM BSeuchenG, Nr. 9 (L1-2) |
WM IV 1979, 311 |
AP BSeuchG § 49, Nr. 1 |
AR-Blattei Arbeitsausfall IV, Entsch 18 |
AR-Blattei ES 140.4, Nr. 18 |
AR-Blattei ES 1640, Nr. 229 |
AR-Blattei Urlaub, Entsch 229 |
EzA BGB § 616, Nr. 18 |
Fremdenverkehrsrechtliche Entscheidungen Entscheidungen Arbeitsrecht, Nr. 19 (LT1) |
MDR 1979, 381-381 (LT1-2) |