1 Grundsatz – Zweck
Rz. 1
Die Vorschrift normiert eine weitere Schadensersatzpflicht des Vollstreckungsgläubigers gegenüber dem Schuldner (MünKo/mid, § 842 Rn. 1). Da der Vollstreckungsgläubiger, dem die Forderung zur Einziehung (vgl. § 835 Abs. 1 ZPO) – nicht an Zahlungs statt (diese führt zur Gläubigerbefriedigung, sodass der Gläubiger selbst das Insolvenzrisiko trägt; vgl. § 835 Rz. 21) – überwiesen ist, erst dann befriedigt ist, wenn ihm die Einziehung auch tatsächlich gelungen ist, trägt allein der Schuldner das Risiko des Forderungsausfalls – etwa wegen zwischenzeitlich eingetretener Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Drittschuldners (Insolvenzrisiko). Auf der anderen Seite kann der Schuldner im Falle der Pfändung und Überweisung der Forderung zur Einziehung die Beitreibung nur in wenigen Ausnahmefällen selbst beschleunigen, indem er z. B. den Drittschuldner auf Leistung an den Gläubiger verklagt. Ein eigenes Interesse wird er daran ohnehin nur dann haben, wenn er mit einem Überschuss rechnen kann, also seine Forderung gegen den Drittschuldner höher ist als die durch den Vollstreckungsschuldner titulierte Forderung. In diesen Fällen kann der Schuldner gegen den Drittschuldner auf Zahlung nach Befriedigung des/der Pfändungsgläubiger klagen (BGH, Rpfleger 2001, 435 = BGHZ 147, 225 = EBE/BGH 2001, 172 = WM 2001, 1075 = NJW 2001, 2178 = ZIP 2001, 1217 = BGHReport 2001, 526 = ZfIR 2001, 685 = MDR 2001, 1075 = InVo 2001, 326 = KTS 2001, 463 = JZ 2002, 44 = KKZ 2002, 41 = LM ZPO § 829 Nr 45 (3/2002) = BGHR ZPO § 259 Pfändungsschuldner 1 = BGHR ZPO § 835 Schuldner 1 = JR 2002, 234). Dies ist ihm aber dann nicht mehr möglich, wenn der Gläubiger bereits einen Titel gegen den Drittschuldner bezüglich der Forderung erlangt hat und daraus die Vollstreckung betreiben kann oder betreibt. Auf die Vollstreckung hat der Schuldner keinen Einfluss. Aus diesem Grund ist der Vollstreckungsgläubiger, verpflichtet (OLG Hamm, DB 1988, 1703), die Beitreibung der Forderung nicht zu verzögern. Ist dies dennoch der Fall, ist er dem Schuldner gegenüber zum Ersatz des daraus entstehenden (Verzögerungs-)Schadens verpflichtet. Den die Vollstreckung selbst betreibenden Gläubiger, der zuvor anwaltlich vertreten war, hat der Anwalt auf die sich aus der Vorschrift ergebende Pflicht und die Folgen der Pflichtverletzung hinzuweisen, andernfalls er sich selbst schadensersatzpflichtig machen kann (BGH, WM 1958, 531). Die Vorschrift findet auch im Verfahren vor der Vollstreckungsbehörde Anwendung (§ 316 Abs. 3 AO; OLG München, Beschluss v. 28.11.2011, 1 W 1242/11 – Juris).
2 Umfang der Pflicht
Rz. 2
Die Pflicht zur zügigen Einziehung der Forderung gilt für das gerichtliche wie für das außergerichtliche Beitreibungsverfahren. Eine Haftung besteht nur bei Verschulden (§ 276 BGB; LAG Hamm, DB 1988, 1703). § 278 BGB ist anwendbar, so dass der Gläubiger auch für das Verschulden von Erfüllungsgehilfen (z. B. des beauftragten Rechtsanwalts) wie für eigenes Verschulden haftet. Mitverschulden des Schuldners, z. B. verspätete Herausgabe von Urkunden, ist nach § 254 BGB zu berücksichtigen (vgl. LAG Hamm, DB 1988, 1703).
3 Umfang der Schadensersatzpflicht
Rz. 3
Die Vorschrift setzt zur Begründung einer Schadensersatzpflicht einen Rechtsverlust des Schuldners ggü. dem Drittschuldner voraus, nimmt jedoch keinen Einfluss auf den Inhalt der Rechtsbeziehungen zwischen beiden. Die Verantwortlichkeit des Gläubigers kann daher nicht dazu führen, schon das Entstehen eines sekundären Ersatzanspruchs des Schuldners gegen den Rechtsanwalt zu verneinen (BGH, MDR 1996, 206 = ZIP 1996, 28 = NJW 1996, 48 = DB 1995, 2597 = AnwBl 1996, 640 = EWiR 1996, 19 = NJW-RR 1996, 180).
Rz. 4
Der Umfang des Schadensersatzanspruchs richtet sich nach § 249 BGB (Musielak/Voit/Becker, § 842 Rn. 2; MünchKomm/ZPO-Smid, § 842 Rn. 3 m. w. N.). Zu ersetzen ist der Schaden, der dem Schuldner durch die verspätete Beitreibung entstanden ist. Der Schaden kann darin bestehen, dass die Forderung hernach nicht mehr beizutreiben ist oder nicht ersatzfähige Zinsen und Kosten beim Schuldner entstehen. Die materielle Schadensersatzpflicht gibt dem Schuldner keine vollstreckungsrechtlichen Einwendungen. Insbesondere kann er wegen der schuldhaften Verzögerung der Beitreibung der Forderung durch den Vollstreckungsgläubiger nicht die Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses betreiben. Mit der Schadensersatzforderung kann der Schuldner gegen die Forderung aus dem Titel des Vollstreckungsgläubigers aufrechnen (§§ 387 ff. BGB) und diese Einwendung im Wege der Klage nach § 767 ZPO geltend machen.
Literaturtipps
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App, Zur Schadensersatzpflicht wegen verzögerter Beitreibung einer gefährdeten und zur Einziehung überwiesenen Forderung und über Abwendung, JurBüro 1997, 127 |
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derselbe, Die Wirkung der Einziehungsverfügung, KKZ 2006, 75 |
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Dißars, Die Drittschuldnererklärung nach § 316 AO, DStZ 2011, 532 |
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Schmidt, Der Drittschuldnerprozeß – Teil 4, JurBüro 2011, 397 |
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derselbe, Neue Fragen und Antworten zum Drittschuldnerprozeß, JurBüro 2009, 233 |
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Strunk, Forderungspfändung, Drittschuldne... |