Prof. Dr. jur. Tobias Huep
Grundsätzlich ist es arbeitsrechtlich unbeachtlich, wo der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz hat – auch wenn dieser in einem anderen Staat als der Arbeitsort liegt. Ob auf den Arbeitsvertrag des Grenzgängers das Arbeitsrecht des Wohnsitzes oder des Arbeitsorts anzuwenden ist, bestimmt sich in erster Linie nach der Vereinbarung der Parteien über das Rechtsstatut des Arbeitsvertrags. Ist vertraglich nichts vereinbart, gilt für Grenzgänger normalerweise das Arbeitsrecht des Arbeitsorts. Arbeitsort ist der Ort, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbringt. Dies kann zu Anwendungsproblemen und Abgrenzungsschwierigkeiten führen, wenn der Arbeitnehmer – wie anlässlich der Corona-Pandemie – über einen längeren Zeitraum überwiegend im Homeoffice von seinem Wohnsitz im Ausland aus arbeitet. Im Hinblick auf die zeitliche Dauer bestimmt Art. 8 Abs. 2 Satz 2 Rom I-VO, dass eine lediglich vorübergehende Erbringung der Arbeitsleistung in einem anderen Staat zu keinem Wechsel des anwendbaren Rechts führt. Um einen ständigen Wechsel des anwendbaren Rechts zu vermeiden, ist die Regelung restriktiv auszulegen und eine Änderung des Vertragsstatuts nur dann anzunehmen, wenn es zu längeren Entsendungen bis hin zur endgültigen Verlagerung des gewöhnlichen Arbeitsorts kommt. Anlassbezogene, aufgrund externer Umstände von vornherein zeitlich begrenzter Verlagerung der Arbeitstätigkeit ins Homeoffice gehören regelmäßig nicht dazu.
Durch die Vereinbarung über das anzuwendende Recht dürfen aber keine zwingenden arbeitsrechtlichen Vorschriften umgangen werden; so gilt das Mutterschutzgesetz zwingend bei deutschem Arbeitsort. Grenzgänger aus EU-Mitgliedstaaten (sog. Einpendler) sind den deutschen Arbeitnehmern gleichgestellt; insbesondere werden ihre sozial- und rentenversicherungsrechtlichen Ansprüche durch die Grundfreiheit der Freizügigkeit sowie entsprechende EU-Verordnungen und Richtlinien zur Freizügigkeit und Wanderarbeit geschützt. Dementsprechend können (tarifvertragliche) Regelungen, die (Entgelt-)Leistungen unter Zugrundelegung nationaler Berechnungsgrundlagen oder Bezugsgrößen ermitteln, unionsrechtswidrig sein. Gleiches gilt im Hinblick auf die tarifvertragliche eingeschränkte Berücksichtigung von bei einem anderen (Auslands-)Arbeitgeber erworbene Berufserfahrung bezüglich eines tariflichen Entgeltsystems. Bei der Berechnung von Insolvenzgeld gemäß § 167 Abs. 2 SGB III für Grenzgänger darf ein fiktiver Lohnsteuerabzug nach inländischem Recht auch dann vorgenommen werden, wenn dadurch der Grenzgänger keine seinem bisherigen Nettoarbeitsentgelt entsprechende Leistung erhält, da das Insolvenzgeld keiner Doppelbesteuerung unterliegt. Anspruch auf Elterngeld haben auch Grenzgänger aus den EU-Staaten, die keinen Beschränkungen der Freizügigkeit aus Art. 45 f. AEUV unterliegen. Soweit die VO (EG) Nr. 883/2004 anwendbar ist, sind "Wohnortklauseln", welche den Leistungsanspruch an einen Wohnsitz im Inland knüpfen, unionsrechtswidrig. Der Anspruch auf Kurzarbeitergeld für Grenzgänger scheitert nicht an § 30 Abs. 1 SGB I (Wohnsitz bzw. gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland als allgemeine Voraussetzung für die Leistungsberechtigung) und besteht somit bereits bei Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen.